Kapitel 1

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„Elisabeth, wie wäre es, wenn du uns noch etwas Schönes auf dem Klavier vorspielst?"

„Ja, Mutter."

Ich stand auf, darauf achtend, dass ich nicht auf den Saum meines Kleides trat und setzte mich auf den hohen Stuhl.

Ich war grade mal 8 aber es gab schon einiges, was ich spielen konnte.

Vor 4 Jahren saß ich das erste Mal an einem Klavier, seitdem hatte ich herausgefunden, welche Töne wie klangen und welch schöne und emotionale Melodien man aus den Tasten hervorzaubern konnte.

Es faszinierte mich wirklich sehr, ebenso wie das Malen, bei dem man mit einfachen Mitteln wunderschöne und bewegende Bilder hervorbrachte.

Und das überhaupt allerschönste daran war, dass es mir mit meinen Gefühlen half.

Langsam ließ ich meine Finger über die Tasten gleiten, eine traurige, aber zugleich auch durch einige schnellere, höhere Noten in Dur-Akkorden verzweifelt-hoffnungsvolle Melodie erzeugend.

Als ich fertig war, stand ich auf und wollte mich zurück an meinen Platz setzen, als jemand hinten auf mein Kleid trat, sodass ich der Länge nach hinfiel.

„Hey, wenn du so eine Klaviernärrin bist, gesell dich doch zu diesen dämlichen Österreichern!", hörte ich eine wohlbekannte Stimme über mir hämisch lachen.

Mein Gesicht lief vor Scham und Ärger rot an und Tränen stiegen mir in die Augen.

„Ach, Gilbert, sei nicht immer so...", hörte ich Friedrich ruhig sagen.

Ich sprang auf, murmelte eine Entschuldigung und ging so schnell, aber dabei so angemessen wie möglich hinaus, nur um dann, als ich aus dem Blickfeld meiner Eltern verschwunden war, anzufangen, zu rennen, den Saum meines Kleides dabei hochhebend, damit ich nicht noch einmal stolperte.

Mein Weg führte mich in den Sizilianischen Garten, dort hatte ich meistens meine Ruhe.

Ich setzte mich auf den Rand eines kleinen Springbrunnens und ließ meinen Tränen freien Lauf, die nun zusammen mit dem Wasser aus den Fontänen Wellen im Auffangbecken schlugen, wenn auch so geringe, dass sie kaum ins Gewicht fielen.

Warum war ich immer so ungeschickt?

Und was hatte ich Gilbert getan, dass er mich immer so ärgerte?

Jedes Mal, wenn ich mit meinen Eltern Prinz Heinrich von Preußen und Wilhelmine von Hessen-Kassel in die Sommerresidenz von meinem Onkel, meines Vaters Bruder, Friedrich dem Zweiten, fuhren, war er auch da und ärgerte mich die ganze Zeit, unaufhörlich.

Sei es, dass er mich damit aufzog, dass ich Klavier spielte, mir auf den Kleidersaum trat, mir ein Bein stellte, mich dumm und ein Weichei nannte oder mich hämisch und ironisch mit Süße ansprach.

Wie gut, dass er noch nicht herausgefunden hatte, dass ich malte...

Vor allem, dass er die Bilder nicht kannte, die ich schon gemalt hatte...

Denn bei all dem, was er mir immer antat, fand ich ihn unheimlich gutaussehend und irgendwie süß mit seinem kleinen gelben Küken als seinen ständigen Begleiter, was ihn des Öfteren zum Motiv meiner Bilder machte.

Ich hörte Schritte und wischte mir die Tränen von den Augen. Es durfte niemand erfahren, dass ich geweint hatte, weder Friedrich, noch Vater und erst recht nicht Gilbert.

Es war meine Mutter.

Sie setzte sich neben mich, sagte aber kein Wort.

„Hab ich Gilbert irgendetwas getan?", fragte ich sie die Frage, die mir so sehr auf dem Herzen brannte.

„Nein, hast du nicht. So sind Männer immer. Gefühllos, herzlos, grausam. Das ändert sich nie.", antwortete sie und seufzte.

Ich fragte nicht nach ihrer Beziehung zu Vater.

Das brauchte ich nicht, ich war nicht dumm, auch wenn Gilbert das immer sagte.

Es war eine rein politische Ehe, da hatte Liebe keinen Platz, es war, wenn überhaupt, ein positiver Nebeneffekt, dass hatte ich mit selbst mit 8 schon verstanden.

Ebenso wie die Tatsache, dass es bei mir nicht anders laufen würde.

Ich hoffte nur inständig, dass Vater mir einen netten Gemahl suchte.

„Lass uns zurückgehen.", meinte Mutter.

Blut Rot [Gilbert BeilschmidtxOC]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt