2. Kapitel

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Tjelvar stand in einem düsteren Raum und musste sich zusammenreißen, dass er sein Mittagessen bei sich behielt. Die Iren hatten ihm einen sehr kleinen Raum in dem Keller der Burg gegeben, nachdem sie erfahren hatten, dass er ein Heiler war und ihn auch schon bei der Arbeit beobachten konnten. Der Raum hatte keine Fenster und war wohl schon seit einigen Jahren nicht gesäubert worden. Er war einfach nur schmutzig und es erinnerte ihn an eine Höhle. Seine Mutter würde nun wieder nach oben stürmen und einige Iren an den Ohren hier herunter ziehen und fragen, ob sie noch bei Verstand wären.
Hier konnte man doch keine Kranken behandeln!
Er wusste genau, wie die Hütte seiner Mutter ausgesehen hatte. Sie und seine Tante Ylvie hatten immer penibel darauf geachtet, dass die Räume sehr sauber waren. Und sie waren sich nicht zu schade dafür gewesen, selbst Hand anzulegen oder ihre Söhne zum Putzdienst zu verdonnern. Beinahe jeden Tag wurde dort die Bürste geschwungen, doch hier war das wohl seit Jahren nicht geschehen.
Er strich mit zwei Fingern über die Tischplatte, die auch nicht die Stabilste war und verzog angeekelt das Gesicht, als er sah, was sich auf seinen Fingern angesammelt hatte.
„Du bist nicht zufrieden?"
Die rothaarige große Frau stand an der Tür. Sie hatte die Arme vor der Brust gekreuzt und man sah ihr an, dass sie nicht gerne hier war.
Tjelvar hatte endlich einmal Zeit, sie genauer zu betrachten. Bisher war es ihm nicht vergönnt gewesen. Nachdem er verkündet hatte, dass er ein Heiler war, hatten die Iren ihn kaum in Ruhe gelassen. Ständig wurde ihm ein Kind auf den Schoß gesetzt, oder ältere Personen waren zu ihm gekommen. Und er hatte alle behandelt. So gut es eben ging. Denn seine Tasche war nicht aufgetaucht, aber diese Iren waren ein sehr optimistisches Volk. Sie suchten schon seit Tagen den Strand ab und versicherten ihm immer wieder, dass sie die Tasche schon noch finden würden.
Tjelvar glaubte nicht daran.
Nun drehte er sich zu der Rothaarigen um.
„Sei ganz ehrlich zu mir! Würdest du hier behandelt werden wollen, wenn du krank bist?"
Der Vorteil daran, dass er die ganzen Iren behandelt hatte, bestand darin, dass er nun das Gälisch halbwegs gut beherrschte und keinen Übersetzer mehr brauchte. Selbst seine Männer hatten schon einige Brocken aufgeschnappt und konnten sich gut mit den anderen unterhalten.
Sie lachte leise und kam näher.
Verflucht, diese Frau war groß!
Er war ja eigentlich kein kleiner Mann, aber sie konnte ihm in die Augen sehen, ohne auf zu blicken. Und solche Augen hatte er noch nie gesehen. Sie waren so grün wie das Gras einer Frühlingswiese.
Aber es passte zu ihrem roten Haar, das immer etwas ungepflegt aussah, obwohl er schon beobachtet hatte, dass sie es öfters durchkämmte.
Sie lachte leise.
„Nein! Nicht unbedingt. Deswegen wurde ich wahrscheinlich auch nie krank! Aber unsere Kräuterfrau hat hier gearbeitet, bevor sie vor ein paar Tagen gestorben ist. Wir dachten allerdings, dass du vielleicht mit ihren Kräutern was anfangen könntest."
Tjelvar seufzte und blickte sich um.
Nein, hier würde er bestimmt keine Kranken behandeln.
„Ich helfe euch sehr gerne, aber ich würde einen anderen Raum bevorzugen."
Sie nickte.
„Was hast du dir vorgestellt?"
Er zuckte mit den Schultern.
„Ein größerer Raum. Mit Fenster. Und sauber geschrubbt!"
Nun war sie es, die sich umblickte.
„Ich habe noch nie einen Mann erlebt, der so auf Sauberkeit achtet wie du!"
Er lachte leise.
„Du müsstest mein Dorf sehen. Mein Vater hat schon seit jeher darauf geachtet, dass alles sauber ist. Aber meine Mutter, die eine große Heilerin ist, setzte dem alles noch eins drauf. Du wirst schon sehen, dass wir alle auf Sauberkeit achten."
Er ging zu den Regalen und zog einen Topf heraus. Der war nicht einmal verschlossen und die Kräuter darin, die bestimmt einmal sehr wertvoll gewesen waren, schimmelten vor sich hin. Angewidert schmiss er den Inhalt in den Kamin, den er vorher entfacht hatte.
„Kein Wunder, dass ihr so viel Kranke hier habt! So viel Dreck und Verschwendung habe ich noch nie bei einem Heiler gesehen!", murmelte er leise.
Die Irin setzte sich auf einen Hocker, der noch einigermaßen sauber war.
„Wie kommt es eigentlich, dass ein Heiler sein eigenes Boot besitzt und er herum reist?"
Tjelvar hatte den nächsten Topf in der Hand und verfuhr mit dessen Inhalt genauso, wie mit dem vorherigen.
„Ich weiß, dass es erst einmal seltsam ist. Aber ich habe mein Boot nicht umsonst. Wie ist eigentlich dein Name? Du hast den Vorteil, dass du meinen schon kennst. Meinen Bruder scheinst du ja schon zu kennen! Er hat mir allerdings noch nie von einer Keltin erzählt, die so ist wie du!"
Sie zuckte mit den Schultern.
„Wer hat nicht schon von dem schwarzen Teufel gehört? Ich bin ihm nie begegnet, aber als ich dein dunkles Haar sah, vermutete ich, dass du Eirik seist. Mein Name ist übrigens Kierra!"
Er zog seine Nase kraus.
„Eirik jetzt noch als schwarzen Teufel zu beschreiben, wäre nicht das Richtige. Seit er seine Frau hat, ist er sehr ruhig geworden. Zumindest ist das meine Meinung. Und seine Kinder tun ein Übriges dazu. Aber seinen Feinden gegenüber hat er sich kaum geändert."
Erschrocken holte sie Luft.
„Er hat eine Frau und Kinder? Wie alt ist er denn?"
Tjelvar drehte sich zu ihr um.
„Er ist fünfundzwanzig. Er hat sichviel Zeit gelassen, eine Frau zu finden. Und die er jetzt hat, wurde ihm von meinem Vater vermittelt."
Er erzählte ihr nicht, dass sein Vater Eirik gezwungen hatte, Flora zu heiraten. Die Geschichte schien ihm etwas zu persönlich und zu kompliziert.
Wieder holte er einen Topf aus dem Regal. Dieses Mal war er verschlossen. Er öffnete ihn und der würzige Duft von Thymian kam ihm entgegen.
Er schloss die Augen und zog das Aroma ein.
Thymian!
Dass er so etwas hier finden würde, hätte er nicht gedacht.
„Eure Kräuterfrau war wohl doch nicht ganz so nutzlos, wie ihr sie beschrieben habt!"
Er öffnete eine Flasche und lächelte. Feinstes Öl!
Kierra stand auf und stellte sich neben ihn.
„Diese Sachen hat sie so gut wie nie benutzt. Immer nur die anderen Sachen. Kann es sein, dass die Leute deswegen kränker wurden?"
Tjelvar nickte.
„Wenn man die Preise von einigen Kräutern bedenkt, sehe ich einen Sinn darin. Sie wollte wohl alles sparen. Aber das war der falsche Weg. Ich denke, ich werde hier in der Umgebung auch viele Pflanzen und Kräuter finden. Leider kenne ich sie nicht und muss mich auf mein Wissen verlassen."
Sie starrte ihn ungläubig an.
„Du meinst, du findest hier etwas? Das kann ich beinahe nicht glauben!"
Er hob eine Augenbraue.
„Du nennst mich einen Lügner?"
Sie hob ihre Hände.
„Mitnichten. Ich kenne mich gar nicht aus. Niemand hier tut es. Außer der Kräuterfrau weiß niemand etwas über Pflanzen. Und sie wollte es niemanden beibringen! Sie fühlte sich wohl zu wichtig und bestimmte auch keinen Nachfolger."
Tjelvar schnaubte.
„Das ist dumm. Meine Mutter versucht jedem ihr Wissen bei zu bringen, ob er will oder nicht. Sie ist der Meinung, dass jeder zumindest wissen sollte, wie man Kinder bei Fieber behandelt! Oder wie man Wunden richtig versorgt! Sie kann nicht überall sein, deswegen sollte man schon etwas Wissen darüber haben. Und ich habe hier schon einige Kräuter gesehen, die man gut benutzen kann. Und auch Pflanzen!"
Sie zuckte mit den Schultern.
„Aber du bleibst nicht lange genug da, um jemanden die Sachen bei zu bringen!"
Wieder zuckte er mit den Schultern.
„Jetzt bin ich erst einmal hier! Und so lange ich da bin, kann ich dir auch etwas beibringen!"
Sie ging einen Schritt zurück und hob entsetzt beide Hände.
„Oh nein! Ich bin eine Kriegerin. Ich benötige solches Wissen nicht!"
Er schnaubte laut aus.
„Denkst du, ich kann nicht kämpfen, weil ich ein Heiler bin? Ich bin auch ein Krieger! Ich habe einige Schlachten geschlagen und mir trotzdem Wissen angeeignet!"
Sie betrachtete ihn zweifelnd, sagte aber dazu nichts.
Tjelvar riss verblüfft die Augen auf. Glaubte sie wirklich, dass er kein Krieger war? Verdammt, er war der Sohn von Egil Magnusson. Er und seine Brüder waren schon als kleine Kinder auf das Kämpfen vorbereitet worden. Und nun kam dieses Weib und bezweifelte, dass er kämpfen konnte?
Bevor er seinem Ärger Luft machen konnte, war sie schon aus dem Raum verschwunden.
Er hörte nur noch ihre Stimme.
„Ich werde Aodh bitten, dir einen anderen Raum zu suchen!"


Runar ging um das Boot herum.
Er schnalzte mit der Zunge, als er die Schäden betrachtete. Bei den Göttern, sie hatten wirklich Glück gehabt, dass so viele überlebt hatten. Es hätte auch schlimmer für sie ausgehen können.
Der größte Teil des Rumpfes war aufgerissen. Man konnte das Wrack kaum noch als Boot bezeichnen. 

TjelvarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt