8. Kapitel

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Tadhg musste sich zusammen reißen, dass er seinen ältesten Sohn nicht vor all seinen Leuten verprügelte. Er hatte es tatsächlich gewagt, ohne wenigstens einer der beiden Frauen zurück zukommen. Das war in seinen Augen eine Befehlsverweigerung. Andere Männer hätte er hart dafür bestraft.
„Ich habe dir befohlen, die Töchter des Nuallans hier her zu bringen, damit ich sie mit euch verheiraten kann. Du hast es nicht fertig gebracht, wenigstens eine zu bringen. Ich frage dich, warum du dazu nicht in der Lage warst!"
Oran, der neben seinem Bruder stand, wimmerte leise und hielt sich wie ein kleiner Junge an der Hand seines Bruders fest. In der Hand hielt er die zwei Holzfiguren, die Tadgh nicht kannte. Aber damit würde er sich später beschäftigen.
Oran mochte es nicht, wenn Tadhg seinen Bruder ausschimpfte. Eigentlich sollte dieser Anblick Tadhg erweichen, aber er war im Moment doch sehr wütend auf Cormac, dass ihn nicht einmal Oran beruhigen konnte. Und das wollte schon etwas heißen, denn Oran schaffte es eigentlich immer mit seiner naiven Art.
„Es sind die Wikinger, Vater! Sie beschützen Nuallans Leute. Egal ob es sich um Kinder, Frauen oder Männer handelt. Die Frauen waren nie alleine!"
Tadhg schaute erneut zu Oran.
„Ist das wahr, mein Sohn?"
Auch wenn Oran im Prinzip kein Mann war, so erzählte er ihm immer die Wahrheit. Wie ein kleiner Junge eben. Man musste ihn nur scharf anschauen und er knickte ein.

Tadhg seufzte leise. Er wusste genau, dass er Oran damals hätte verstoßen müssen. Oder Schlimmeres. Aber er hatte ihm so leid getan. Und auch seine Frau hatte ihn angefleht, Oran nichts zu tun. Er hatte sie geliebt und deswegen ihrem Wunsch entsprochen, auch wenn es ihm Hohn eingebracht hatte. Aber er liebte den Jungen genauso, wie er Cormac liebte. Er machte da keine Unterschiede zwischen ihnen, auch wenn er wusste, dass Oran niemals seinen Bruder vertreten konnte. Doch immer keimte die Hoffnung in ihm, dass sich Oran wenigstens etwas weiter entwickeln würde. Aber leider war das vergebene Hoffnung. Oran würde immer ein kleines Kind bleiben, auch wenn er wie ein Mann aussah.

Oran sah zu seinem Bruder, als ob er ihn um Erlaubnis fragen wollte. Cormac nickte ihm aufmunternd zu und der Junge begann zu erzählen:
„Ich habe die Wikinger gesehen, Vater. Sie haben mir Angst eingejagt und es waren ganz viele. Sie sind groß und gemein!"
Tadhg hob eine Augenbraue.
„Nuallan hat also die Wikinger immer noch bei sich?", fragte er dieses Mal Cormac.
Dieser nickte ernst.
„Ja! Aber so wie ich herausgefunden habe, werden sie bald wieder gen Heimat segeln. Dann kann ich einen erneuten Versuch starten! Wir müssen uns nur einige Monate noch gedulden!"
Tadhg lehnte sich zurück und faltete die Hände vor seiner Brust. Er überlegte, ob Cormac wirklich einen neuen Versuch starten sollte. Es lohnte sich eigentlich nicht, dass er seinen Sohn wegen ein paar Weibern in Gefahr brachte. Und er wusste, dass Cormac Kierra eigentlich nicht haben wollte. Vielleicht sollte er nachgeben und es einfach gut sein lassen.
Auf einmal teilte sich die Menge und der Mönch kam nach vorne.
Tadhg wurde auf einmal sehr ernst. Wenn Bruder Anselm sich Gehör verschaffen wollte, bedeutete es meist nichts Gutes.
„Ich muss mich nun einmischen, Herr! Ich habe zugehört und ich finde, man sollte Nuallan eine Lektion erteilen. Schließlich habt ihr ihm Forderungen gestellt, die er nicht erfüllt hat. Er hat weder seine Töchter frei gegeben, noch hat er diese gottlosen Wikinger davon gejagt! Es ist nicht im Sinne unseres Herrn Jesus Christus, dass wir so ein Verhalten tolerieren."
Tadhg runzelte die Stirn.
„Was erwartest du nun von mir?", fragte er den Mönch ernst.
Anselm richtete sich auf. Eigentlich lief er meist gebückt, um so Schwäche vor zu täuschen, doch Tadhg hatte ihn schon ein paar Mal erwischt, wie er sich aufrichtete. Der Mann vor ihm war hinterlistig und man konnte ihm eigentlich nicht trauen. Trotzdem behielt er ihn hier, weil einige seiner Leute nun seinen Gott anbeteten und sie empört wären, sollte Tadhg ihn davon jagen.
Dass der Mönch nun seine Deckung aufgab, verwunderte Tadhg allerdings.
Er tat es wahrscheinlich, um seine nächsten Worte mehr Ausdruck zu geben.
„Greift ihn an! Er hat es verdient!"
Cormac kam einen Schritt auf ihn zu. Entsetzen spiegelte sich in seinen Augen wieder.
„Vater...", begann er, doch Tadhg schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
Er überlegte kurz. War es das alles wert? Konnte er einen Angriff wagen?
„Er hat starke Männer und auch die Wikinger sind nicht zu unterschätzen!", überlegte er laut.
Anselm lachte hämisch.
„Eine Handvoll Wikinger, die euren schwachsinnigen Sohn erschreckten! Außerdem denke ich, das sie auf der faulen Haut lagen und nicht richtig kämpfen konnten. Du kennst Nuallan und seine Gastfreundschaft! Und wie ich schon erwähnt habe, gebe ich nichts darauf, dass sie Oran erschreckt haben. Eine kleine Maus erschreckt Oran!"
Tadhg sah ihn böse an und der Mönch verfiel wieder in seine demütige Haltung.
„Ihr solltet es euch wirklich reiflich überlegen. Aber meiner Meinung nach hat Nuallan es verdient! Und dann wird er euch freiwillig seine Töchter geben, wenn er sieht, wie stark ihr in Wirklichkeit seid! Ihr werdet mehr Reichtum mit nach Hause bringen, als ihr je hattet!"
Tadhg lächelte. Er vergaß, dass Anselm gerade seinen Sohn beleidigt hatte. Dieser Einfall gefiel ihm immer mehr. Endlich würde er den Ruhm einfahren, der ihm zustand. Und auch Nuallans Reichtum war beachtlich. Allein seine Rinder waren eine Menge wert. Sie waren fett und vollgefressen. Wenn er an seine eigenen Herde dachte, konnte er den Neid nicht ganz unterdrücken. Trotz seiner ganzen Versuche blieben die Rinder bei ihm dürr und sahen krank aus. Wenn er sie nur mit Nuallans starken Tieren zusammen bringen konnte, wäre ein Problem bestimmt gelöst und sie konnten den Winter überstehen.
Entschlossen stand er auf.
„Wir werden Nuallan angreifen. Macht euch kampfbereit! Im Morgengrauen ziehen wir los!"
Cormacs Kiefer spannte sich an. Er war ganz und gar nicht damit einverstanden, aber er würde ihm gehorchen.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, sah er ihn noch einmal eindringlich an. Aber Tadhgs Entscheidung stand. Er würde Nuallan angreifen.
Cormac drehte sich um und verließ den Saal.
Oran folgte ihm wie ein junger Hund.
Tadhg würde beide Söhne mitnehmen, auch wenn man Oran bei einer Schlacht nicht gebrauchen könnte. Vielleicht würde ihm das etwas mehr zum Mann machen.
Er sah zu dem Mönch.
„Du wirst hierbleiben, Mönch. Ich weiß ja, dass es dein Wunsch ist!"
Seine Worte trieften nur so vor Ironie, doch Bruder Anselm war unbeeindruckt. Er zuckte nur mit den Schultern.
„Wie ihr wünscht, Herr. Ich werde zum Herrn beten und um eure sichere Heimkehr bitten!"
Tadhg lächelte.
„Das könnt ihr halten, wie ihr wollt!"
Ohne auf das entsetzte Gesicht des Mönches zu achten, stand er auf und ging aus dem Saal.
Er hatte Vorbereitungen zu treffen!

TjelvarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt