6. Kapitel

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Cormac stand an einem der Fenster und beobachtete das Geschehen draußen. Wie immer, wenn er bei Nuallan zu Besuch war, überkam ihn ein innerer Frieden, den er zu Hause schon lange nicht mehr hatte. Nuallan war ein guter Anführer und seine Leute lebten hier ohne Angst. Das war bei seinem Vater auch der Fall gewesen, aber seit der Mönch...nein, er wollte nicht darüber nachdenken. Cormac hatte nun andere Probleme.
Er hatte Nuallan die Situation erklärt, in der er feststeckte.
„Es ehrt dich, dass du es mir sagst, aber hast du dich dadurch nicht in mehr Schwierigkeiten gebracht? Dein Vater wird es nicht akzeptieren, wenn du ohne die Frauen wieder zurückkommst!"
Cormac nickte, starrte aber weiter aus dem Fenster. Sein Bruder kam aufgeregt in den Burghof. Aber er hatte ein Lachen im Gesicht. Er ging zu Clodagh und sprach aufgeregt auf ihn ein. Clodagh lächelte gütig, nahm Orans Arm und führte ihn ins Schloss.
Cormac runzelte die Stirn.
Er hatte gesehen, wie eine Meute von Jungen Oran hinterher gerannt war. Er wusste genau, was das zu bedeuten hatte, aber Oran schien nicht geärgert worden zu sein. Und er hatte so entschlossen gewirkt, als er Clodagh angesprochen hatte. Eigentlich wirkte er immer unsicher, besonders wenn er bei Fremden war. Aber jetzt wollte er unbedingt etwas von Clodagh.
Irgendwas hatte der Bengel doch vor?
Doch erst einmal musste er sich auf Nuallans Frage konzentrieren.
„Ja, ich weiß das. Ich werde mir etwas einfallen lassen. Ich erkläre ihm wahrscheinlich, dass du die Frauen kaum aus den Augen lässt wegen den Wikingern!"
Nuallan riss die Augen auf, dann lachte er schallend!
„Wenn du sie kennen würdest, dann wüsstest du, dass diese Aussage ziemlich verrückt ist. Aber du hast Recht. Dein Vater wird sie glauben! Na gut!"
Er stand auf und streckte sich.
„Du und dein Bruder seid so lange hier willkommen, wie ihr hier bleiben wollt! Ich werde eure Gemächer herrichten lassen!"
Cormac verneigte sich leicht in Nuallans Richtung und sah wieder aus dem Fenster.
Ein Mann kam gerade in den Innenhof. Cormac kannte ihn nicht. Er hatte dunkles Haar und er trug die typische Kleidung der Wikinger. Das war offenbar der Heiler.
Er scherzte mit den Wachen und ging dann in die Burg, als ob er hier zu Hause wäre.
„Wer ist das?", fragte er Nuallan.
Der Ältere beugte sich etwas vor und fing dann an zu lächeln.
„Das ist Tjelvar Egilson! Der Heiler! Aber unterschätze ihn nicht. Auch wenn er nicht wie ein Wikinger wirkt, ist er es durch und durch. Kierra hat seine Klinge schon zu spüren bekommen, weil sie den Fehler machte, ihn zu unterschätzen!"
Cormac hob ungläubig eine Augenbraue. Der Wikinger hatte sich wirklich mit Kierra angelegt? Das trauten sich nun wirklich nicht viele.
Wenn sie mit ihrer vollen Kampfmontur auf dem Schlachtfeld stand, das beeindruckte eine Menge Männer. Er selbst war das erste Mal schon erschrocken, als er sie so gesehen hatte.
Aber dass dieser Wikinger sich mit ihr angelegt hatte, das beeindruckte Cormac.
„Kann ich mit ihm sprechen? Versteht er mich?"
Nuallan lachte dröhnend.
„Oh ja. Er ist ein sehr schlauer Mann. Wie alle seiner Sippe. Mittlerweile haben alle unser gälisch gelernt. Ich wundere mich immer wieder, wie schnell sie es sprechen konnten."
Er erklärte Cormac, wie er in die Räume des Heilers kam und entließ ihn dann.
Cormac ging durch die Burg. Vor den Räumen des Heilers blieb er stehen, weil er seinen Bruder hörte.
„Du hast die alle gemacht?"
Er hörte ein leises, tiefes Lachen.
„Ja, die habe ich alle geschnitzt!"
Oran keuchte ungläubig auf.
„Warum? Spielst du damit?"
Wieder hörte er das tiefe Lachen.
„Nein! Aber weißt du, mein Bruder hat Kinder und die werden bald damit spielen!"
Oran seufzte enttäuscht.
„Dann darf ich sie nicht haben!"
„Warum nicht?"
Man konnte aus Orans Stimme heraus hören, dass er wieder bockig werden würde, wenn er das Teil nicht haben konnte, was er so sehr begehrte. Cormac hatte immer noch keine Ahnung, was es war.
„Ich habe es dir doch versprochen, nicht wahr? Und ein richtiger Mann hält sein Wort! Also, Junge, such dir zwei Tiere aus."
Oran jubelte leicht.
„Zwei? Du hast nur von einem gesprochen!"
Der Wikinger brummte.
„Ich habe es mir anders überlegt. Du kannst zwei Tiere haben. Oder ein Krieger und ein Tier?"
Oran überlegte lange. Cormac ging weiter, dass er die Zwei beobachten konnte. Sein Bruder tat sich mit Entscheidungen oft sehr schwer und manch einer verlor die Geduld.
Er sah, wie der Wikinger bei Oran stand, seine Arme vor der Brust gekreuzt. Er lächelte und wirkte weder ungeduldig noch genervt. Oran wühlte in einer Kiste und zog nach und nach Holzfiguren heraus. Es waren ziemlich viel und er würde wohl sehr lange brauchen um sich zu entscheiden.
„Oran! Du solltest dich entscheiden und dich danach bei dem Heiler bedanken!"
Oran zuckte zusammen, als er die Stimme seines Bruders hörte. Doch der Wikinger sah ihn nur lächelnd an.
„Er soll es sich gründlich überlegen. Solch eine Entscheidung will gut überlegt sein!"
Cormac war sich nun ganz sicher, dass er es wirklich mit einem ungewöhnlichen Krieger zu tun hatte. Nach einem Wink von ihm, kam er näher in den Raum. Er sah ganz anders aus, als der Raum, den sein Heiler besaß. Es war hell und es duftete angenehm. Der Tisch und der Boden waren gut geschrubbt und auch die Regale waren penibel gesäubert worden.
„Lass ihn ruhig. Er wurde von den Kindern geärgert. Es ist mir Recht, wenn er etwas abgelenkt wird."
Cormac nickte ihm dankbar zu.
„Mein Bruder...er ist...er ist nicht ganz..."
Der Wikinger nickte.
„Ich weiß. Ich habe so etwas schon bei Kindern in Konstantinopel gesehen. Mir war nicht bewusst, dass es Menschen gibt, die das Erwachsenenalter trotz dieser Krankheit erreichen können!"
Cormac zuckte zusammen. Er wusste, was man eigentlich mit solchen Kindern machte.
„Mein Vater hat ihn nicht den Fluten übergeben wollen. Er liebte meine Mutter zu sehr und sie hat ihn angefleht, es nicht zu tun! Wir haben deswegen mit Anfeindungen zu kämpfen. Viele nehmen es uns übel, dass Oran immer noch unter uns weilt, da er angeblich zu nichts zu gebrauchen ist und er wohl nicht sehr alt wird."
Der Wikinger nickte wissend.
„In manchen Situationen sind wir doch sehr...verbohrt, oder etwa nicht? Man sieht an deinem Bruder, dass solche Menschen auch gut leben können!"
Er schien kein Ekel davor zu haben wie andere Männer, wenn sie Oran begegneten. Auch hatte er wohl Verständnis dafür, dass sein Vater sich für den Sohn entschieden hatte, obwohl man schon bei der Geburt gesehen hatte, dass Oran anders war.
„Ja, es scheint so zu sein!"
Der Wikinger drehte sich zu ihm um.
„Oran braucht wohl noch eine Weile um seine Entscheidung zu überdenken!"
Cormac lächelte seinem Bruder zu, der sich keineswegs überlegte, was er wollte. Inzwischen hatte er alle Figuren auf dem Boden verteilt und spielte mit ihnen.
„Met? Oder etwas anderes?"
Cormac nickte und setzte sich nach einem Wink des Heilers an den Tisch.
„Met wäre mir Recht!"
Der Wikinger füllte zwei Trinkhörner und setzte sich Cormac gegenüber.
Beide betrachteten eine Weile Oran, der ganz vertieft in sein Spiel war.
„Wie ist dein Name, Kelte?", fing der Wikinger auf einmal an.
Cormac nahm einen tiefen Schluck. Es war anderes Met, als er von zu Hause gewohnt war, aber es schmeckte ihm sehr gut.
„Mein Name ist Cormac. Meinen Bruder kennst du ja schon!"
Der Wikinger nickte und legte eine Hand an seine Brust.
„Man nennt mich Tjelvar!" Er grinste Cormac an. „Ihr sollt also die beiden Töchter heiraten, ja?"
Cormac nickte.
„Das ist der Wille meines Vaters! Er will eine engere Beziehung zu Nuallan haben!"
Tjelvar lachte leise.
„Wenn es nach meinem Vater gegangen wäre, säße ich nun nicht hier bei dir, sondern hätte irgendein Weib, das ich mir nicht ausgesucht habe und würde Kinder zeugen!"
Cormac verschluckte sich beinahe an seinem Met.
„Du bist abgehauen?"
Tjelvar grinste.
„Du doch auch! Zumindest hat mir das Kierra erzählt!"
Cormac konnte nicht anders. Er grinste.
„Kierra hat mit dir gesprochen? Nachdem du sie herausgefordert hast?"
Tjelvar lachte dröhnend, was Oran erschreckte. Doch nachdem er sich vergewissert hatte, dass nichts Böses geschah, widmete er sich wieder den Holzfiguren.
„Neuigkeiten verbreiten sich wohl sehr schnell! Es war heute das erste Mal, dass sie wieder ernsthaft mit mir gesprochen hat. Ich kann dir sagen, dass ich dich nicht beneide. Sie ist eine sehr...schwierige Frau!"
Cormac zuckte mit den Schultern.
„Ich will sie nicht!"
Tjelvar nickte nachdenklich.
„Wie willst du das deinem Vater erklären?"
Cormac verzog das Gesicht.
„Das weiß ich noch nicht. Ich weiß nur eines. Es wird zu einer Schlacht kommen, wenn ich Kierra und Adeen nicht mitbringe!"
Tjelvar sah nachdenklich in sein Trinkhorn.
„Weiß Nuallan das auch?"
Cormac wusste es nicht. Darüber hatten sie nicht gesprochen, weil Cormac dieses Thema vermeiden wollte.
Tjelvar schien seine Gedanken zu erraten.
„Ich denke, er weiß es. Aber er scheint es in Kauf zu nehmen. Sonst hätte er dir seine Töchter aufgedrängt, um Frieden zu bewahren."
Cormac blickte ihn verblüfft an.
„Bist du dir sicher?"
Tjelvar nickte.
„Mein Vater würde genauso reagieren. Er hasst es, wenn man ihm Vorschriften machen will und setzt seinen eigenen Willen durch. Manchmal könnte man es als Halsstarrigkeit auslegen, aber mein Vater ist schlau. Er macht nichts, was er nicht bewerkstelligen kann. Und wenn er eine Möglichkeit hat, dann zieht er zwar eine friedliche Lösung vor, aber er weiß genau, dass seine Männer stark sind und hinter ihm stehen."
Cormac nahm noch einen Schluck.
„Dein Vater scheint anders zu sein als meiner. Er gleicht wohl Nuallan, den ich sehr bewundere. Schade, dass ich deinen Vater wohl nie kennen lernen werde!"
Tjelvar zuckte mit den Schultern.
„Er hätte dir zumindest einen Rat geben können. Aber Nuallans Entscheidungen sind seinen nicht unähnlich. Wenn du wegen deines Vaters unsicher bist, dann wende dich an ihn. Das würde ich tun!"
Cormac dachte nach.
Der Wikinger hatte Recht, denn das tat Cormac eigentlich schon seit Jahren. Tjelvar war wirklich anders als er erwartet hatte. Kein blutrünstiger Wilder, sondern ein sehr kluger Mann. Ihn sollten sich einige zum Vorbild nehmen.

TjelvarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt