10. Kapitel

5.6K 348 13
                                    

Sobald sie alleine waren, entfernte Nuallan die Stricke, die um Cormacs Hände gebunden waren. Cormac rieb sich die Handgelenke und schaute beschämt zu Boden. Er traute sich kaum dem Älteren ins Gesicht zu schauen. Er schämte sich. Nicht nur wegen dem Angriff, auch wegen des feigen Todes seines Vaters, der sich so aus der Verantwortung gestohlen hatte.
„Halt dich gerade, Junge. Du bist nun Clanführer!"
Cormac schnaubte.
„Weil mein Vater sich ins Schwert geworfen hat. Feige, im Angesicht der Niederlage. Das ist wahrlich nicht die Art, mit der ich Anführer werden wollte! Und ich werde deswegen bestimmt kein Ansehen bei meinem Clan haben!"
Nuallan schenkte Wein in zwei Becher und reichte ihm einen Becher.
Cormac trank dankbar.
Nuallan schwieg eine Weile, beobachtete nur Cormac, der gedankenverloren aus dem Fenster starrte.
„Du darfst dich nicht grämen, Cormac. Du musst nur überlegen, was du zu tun hast."
Cormac stieß einen kurzen Laut aus. Es sollte wohl ein ironisches Lachen sein.
„Wo soll ich da anfangen? Mein Vater hat sich von dem Mönch blenden lassen! Er war nicht dumm! Aber die Aussicht, dass er deinen Reichtum bekommen könnte, hat ihn gierig gemacht! Und der Mönch hat Öl ins Feuer gegossen und diese Gier auch noch genährt."
Nuallan setzte sich an den Tisch.
„Also weißt du doch, was zu tun ist?"
Cormac atmete tief ein.
„Ja! Der Mönch muss mundtot gemacht werden.  Aber das Problem ist, dass er die meisten meiner Leute schon in seiner Tasche hat. Sie haben den Glauben gewechselt und glauben seinen Lügen!"
Nuallan nickte.
Das hatte er auch schon von Bruder Eberwin gehört. Anselm war intrigant und hatte eine gewisse Stellung. Leider hatte Tadhg ihn nicht rechtzeitig unter Kontrolle gebracht. Cormac würde es schwer haben, das war Nuallan klar. trotzdem glaubte er daran, dass Cormac ein großer Führer sein konnte. Denn im Gegensatz zu anderen dachte er fortschrittlich und scheute sich auch nicht, andere um Rat zu fragen.
„Hör zu! Ich will, dass du mit deinem Bruder eine angemessene Zeit hier bleibst. Ich will keine Genugtuung von dir, aber wir sollten den Anschein wahren, dass es so ist. Dann werden deine Leute auch erkennen, dass du für ihre Taten gerade stehen musstest. Dann solltest du alles in Ordnung bringen. Ich werde dich unterstützen, so gut es geht!"
Cormac lachte wieder ironisch.
„Der Mönch hat seine eigenen Pläne. Er wird auch mich überreden wollen! Er hat es auf Adeen abgesehen!"
Nuallan hob eine Augenbraue.
„Auf meine Tochter? Wie das?"
Cormac nahm noch einen Schluck Wein.
„Vater wollte, dass Oran Adeen ehelicht. Du weißt selbst, dass Oran nicht in der Lage ist, sie in irgendeiner Art zu versorgen. Das wollte der Mönch übernehmen."
Nuallan schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Das ist frevelhaft! Er hat sich an das Keuschheitsgelübde zu halten! Adeen würde sich ihm nie hingeben!"
Cormac schloss kurz die Augen.
„Es gibt schon einige Bastarde von ihm auf der Burg. Er denkt, er hätte bei Adeen ein leichtes Spiel, weil sie gehorsam und still ist! Aber ich weiß, dass sie jemand anderes in Liebe zugetan ist!"
Nuallan nickte seufzend.
„Ich weiß! Der ruhige Wikinger ist es, der ihr Herz gestohlen hat!"
Cormac hob verwundert eine Augenbraue.
„Du weißt es?"
Nuallan nickte.
„Ich habe sie gesehen. Ich habe bisher nichts gesagt, weil Runar sehr respektvoll mit ihr umgeht Und ich weiß, dass Adeen ihre Tugend noch hat! Wenn ich nur wüsste, ob er es wirklich ernst mit ihr meint, oder ob er sich nur einen Zeitvertreib sucht!"
Cormac schüttelte entschieden den Kopf.
„Adeen hat auch sein Herz! Er ist verliebt in deine Tochter, aber er denkt, er ist nicht gut genug für sie, weil er nur Zimmermann ist!"
Nuallan lachte stockend.
„Das ist mir doch egal! Wenn er sie glücklich macht, soll es mir Recht sein. Ich werde sie vermissen, aber sie soll mit ihm gehen. Dann ist sie wenigstens vor dem Mönch sicher!"
Er hielt einen Moment inne, dann verzog er das Gesicht.
„Fionnghula wird zetern, aber wenn ich es ihr erkläre, wird sie nicht dagegen sein. Wir haben noch andere Töchter, die sie hier verheiraten kann! Kierra zum Beispiel! Sie wäre doch eine Frau für dich!"
Cormac hob abwehrend die Hände.
„Oh nein! Kierra braucht einen starken Mann! Ich habe sie noch nie gewollt!"
Nuallan wirkte erleichtert. Also war es ihm auch klar, dass seine Tochter einen bestimmten Mann brauchte.
„Gut, ich werde mit Runar reden und ihn wissen lassen, dass ich nicht gegen eine Verbindung bin. Und du solltest dich erholen. Es wird einiges auf dich zukommen!"
Cormac nickte.
Oh ja!
Das war ihm sehr wohl bewusst! Und er hatte nicht übel Lust, alles hinter sich zu lassen, Morwenna zu schnappen und ein einfaches Leben als Bauer zu führen. Aber dafür war er viel zu verantwortungsbewusst. Er musste sich der Aufgabe stellen. Und er würde versuchen, sein Volk zum Wohlstand zu führen. Wenn nur dieser Mönch nicht wäre.

TjelvarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt