1. Kapitel

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Kierra stand auf einem Hügel und sah auf das Meer, das im Moment noch einigermaßen ruhig war. Aber das täuschte! Kierra kannte das Meer schon lange und sie erkannte die Anzeichen für einen Sturm. Und es würde bald ein Sturm aufkommen.

Sie liebte die Stürme.

Sie waren genau wie ihr Temperament.

Wild, gefährlich und unberechenbar!

Das behauptete man zumindest über sie!

Als ob die Natur auf ihre Gedanken gewartet hatte, kam Wind auf und fuhr durch ihr rotes Haar, dass sie immer offen trug. Ganz zum Ärger ihrer Mutter, die sie lieber mit Haube und Kleidern gesehen hätte.

Doch das war nichts für Kierra.

Sie war eine Kriegerin!

Nur wenn sie eine Schlacht bestritt band sie ihr Haar mit einem Lederband zusammen. Und sie bestritt viele Schlachten. Aber ansonsten stand ihr Haar wild ab und sie hatte es schon aufgegeben, es zu bändigen. Es war ihr viel zu mühsam. Da ertrug sie lieber den missbilligenden Blick ihrer Mutter.

Sie war das dritte von insgesamt zehn Kindern und die älteste Tochter. Eigentlich sollte sie ihre Mutter bei all den häuslichen Arbeiten unterstützen, aber das hatte sie noch nie gemocht. Immer wieder hatte sie sich davon geschlichen. Sie war einfach nicht geduldig genug, um stundenlang zu sticken oder zu nähen. Und wenn sie weben sollte, war das die größte Strafe für sie.

Sie zog ihre Nase geräuschvoll hoch.

Auch etwas, was ihre Mutter zur Weißglut brachte.

„Du bist mehr Mann als Frau!", schimpfte sie immer wieder. "So wirst du nie einen Mann abbekommen. Die Männer haben Angst vor dir!"

Aber Kierra lachte nur. Sollten die Männer Angst haben. Dann ließen sie Kierra wenigstens in Ruhe.

Schon als kleines Kind war sie mit ihren älteren Brüdern auf den Kampfplatz geschlichen und hatte ihrem Vater bei den Übungen zugeschaut. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie sich ein Schwert gestohlen hatte und heimlich übte.

Ihr ältester Bruder Aodh hatte sie im Wald erwischt, als sie das Schwert gegen einen toten Baum geschlagen hatte. Erst hatte er gelacht, doch als er merkte, wie ernst es ihr dabei war, hatte er ihr das Kämpfen beigebracht. Und auch ihr Bruder Mael hatte ihr geholfen. In aller Heimlichkeit natürlich,denn wenn ihre Mutter das mitbekommen hätte, wären sie alle drei bestraft worden. Also blieben sie im Wald und übten nur für sich selbst.

Bis sie eines Tages von ihrem Vater, Nuallan O'Lorcan erwischt wurden.

Nuallan hatte es sich angeschaut und dann bestimmt, dass Kierra auch ausgebildet werden sollte. Zum großen Ärger ihrer Mutter. Aber Nuallan war hart geblieben. In seiner Familie war es schon immer Tradition gewesen, dass auch die Frauen zu Kriegerinnen ausgebildet wurden und so war es eine beschlossene Sache.

Kierra wurde zur Kriegerin und sie war sehr gut, wie immer wieder von anderen bestätigt wurde.

„Kierra!"

Ihre Schwester Adeen riss sie aus ihren Gedanken. Kierra drehte sich zu ihr um und lächelte ihr entgegen.

„Was gibt es, Adeen?"

Ihre Schwester hob ihre Röcke, als sie über einen Stein sprang. Ihr Atem rasselte leicht. Den ganzen Winter über war sie sehr krank gewesen und auch jetzt war sie nicht vollständig genesen. Leider hatten sie keinen Heiler, nur ein Kräuterweib, das aber schon sehr alt war. Kierra hatte manchmal das Gefühl, dass sie nicht mehr genau wusste, was sie überhaupt tat. Außerdem lag sie schon seit Tagen in ihrem Bett und rührte nicht einmal mehr das Essen an, dass ihr jeden Tag gebracht wurde. Jeder befürchtete, dass sie bald sterben würde.

TjelvarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt