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"Das kommt aber reichlich spät. Immerhin bin ich schon fast über drei Wochen hier", entgegnete George der feinen Dame. Dass er hier ist, hatte Kate erst jetzt bemerkt. Sie hoffte, dass er sie noch nicht entdeckt hatte.

Die Frau ignorierte ihn und fing an zu reden. "James meinte vorhin, er habe euch das Wichtigste schon erklärt. Den Rest übernehme ich. Ich möchte mich möglichst kurz fassen. Ihr seid eine Reinkarnation. Laut Wikipedia stammt das Wort aus dem Lateinischen und wird wortwörtlich als ‚Wiederfleischwerdung' oder ‚Wiederverkörperung' übersetzt. Eure Seelen sind Teil der Vergangenheit. Sie können von überall herkommen. Aus der Antike, der Neuzeit, dem Mittelalter und sonst was. Diese Seelen wurden wiedergeboren. Und das in euren Körpern. Ihr dürft euch jetzt fragen, wieso ausgerechnet eure Seelen wiedergeboren wurden. Gute Frage. Ob ihr wiedergeboren werden könnt oder nicht entscheidet Jahwe, der Schöpfer. Der, der die zehn Gebote aufstellte. Wir Menschen sind in Sünde geboren und leben in Sünde. Das ist das Schicksal des Menschen seit Adam und Eva den Garten Eden verließen." In Kate regte sich gewisser Widerstand. In Sünde geboren und leben...Was hatte sie den bitte schön als Kleinkind verbrochen? Ein Bonbon stibitzt?

"Aber ihr seid gewissermaßen...Schwerverbrecher. Ihr habt nicht nur gegen vermutlich mehr als die Hälfte der Gebote verstoßen, sondern auch noch den Herrn an sich in Frage gestellt. Blasphemie, ihr Würmer. Ihr habt den Schöpfer von euch gestoßen. Aber er erwieß Gnade. ‚Euch wurde Bös' getan, so tut ihr auch Bös'. So die Natur des Menschen.' Ihr seid gestorben, aber der Herr versperrte euch das Himmelstor. ‚Geht, bereut und reinigt eure Seelen. Dann kommt wieder.' So eurer Befehl. Ihr werdet erst glücklich sterben, wenn ihr bereut. So weit klar?"

Kates Gedanken drehten sich wild im Kreis. Sie war nicht tot, weil...Gott es so gewollt hatte? Mittlerweile konnte sie verstehen, wieso es Dr Smith so schwer fiel, das Wort ‚Gott' in den Mund zu nehmen. Er war wissenschaftler. Er gaubte nur, was er sah. Und es würde Kate schwer wundern, wenn jemand überhaupt schon einmal einen unabstreitbaren Beweis für Gottes Existenz gefunden hatte. Kate merkte, das sie wohl Atheist war. Sie glaubte nicht an Gottes Existenz. Kate fragte in einem nachdenklichen Ton: "Und wie bereuen wir? Jeden Sonntag in die Kirche und vor dem Essen immer schön beten?" Die Frau starrte ihr in die Augen. "Gar nicht."

Kate klappte überrascht der Mund auf. Im Raum lachte jemand laut auf und fragte, halb amüsiert, halb resigniert: "Also werden wir für immer als Untote auf dieser Welt wandeln? Das stelle ich mir nicht so schön vor." Manche stöhnten leise auf und ein relativ junges Mädchen, vielleicht dreizehn, schluchzte leise. Für immer verdammt zu sein war aber auch nicht der schönste Gedanke. Die Frau redete einfach weiter. "Kriegt euch wieder ein. Glaubt ihr, wir haben euch nur aufgesammelt, damit ihr hier für immer vor euch hinvegetieren könnt und wir euch bis an unser Lebensende am Arsch kleben haben? Wohl kaum. Ihr sorgt einfach dafür, dass ihr nie gesündigt habt. Basta." Das war natürlich um einiges hilfreicher. "Wieso haben sie uns das nicht gleich gesagt? Wir springen eben mal kurz in die Zeit zurück und verhindern unsere ewige Verdammung. Nichts leichter als das", spöttlete George. "Du kannst dir natürlich auch den unmöglichen Weg aussuchen, du Vollidiot!", zischte die Frau. "Bereuen und leben ohne auch nur gegen eins der Gebote zu verstoßen. Aber sicher, dass du noch nie gelogen hast? Das du noch nie neidisch auf die supergeilen Adidas deines Kumpels warst? Glaubst du das wirklich? Steh auf, du Wurm, sieh mir in die Augen und schwöre bei unserem Herrn, dass du ein erbahrer und frommer Christ bist!" George schluckte seine nächsten Worte verbissen hinunter und sah demonstrativ weg. Das war der Moment, in dem er Kate entdeckte, ein paar Betten weiter. Lappen, formte sie mit ihren Lippen und grinste breit.

"Aber zu verhindern, dass wir sündigen, also dass unsere ‚alten' Seelen sündigen, ist doch genauso unmöglich. Dafür müssten wir zeitreisen. Haben sie etwa eine Zeitreisemaschine irgendwo rumstehen?" Diesmal hatte sich Helema eingeschaltet. "Nein, haben wir nicht." "Also werden wir hier für immer fest stecken?" "Nein, werdet ihr nicht." Helena schwieg. Sie war mit ihrem Latein am Ende. "Nein, nein, wartet. Ich berichtige mich: Doch, wir haben Zeitmaschinen, wenn man es aus einem anderen Aspekt betrachtet. Und wenn wir es schon aus diesem Blickwinkel sehen, muss ich mitteilen, dass wir aber ganz sicher nicht genug Zeitmaschinen haben." Das weckte eine gewisse Unruhe. "Und ich berichtige mich nochmal: Nein, die meisten von euch werden nicht für immer hier fest stecken." Wieso uns nicht gleich eine Waffe an den Kopf halten, fragte sich Kate in diesem Moment. Sie verstand zwar immer noch nicht so wirklich, was ihnen die Dame puncto Zeitreise versuchte zu erklären, oder eher versuchte nicht zu erklären, aber sie hoffte, dass nicht sie eine von den Personen war, die hier bleiben müssten. Verstoß schon das nicht gegen eines der Gebote? Bestimmt. Da kam Kate eine Frage auf. "Ist das der Grund, weshalb in der zweiten Klasse nur noch so wenige drin sind? Das sind die, die es nicht geschafft haben?" "Genau. So werden mindestens ein drittel von euch auch enden. Und wie euch vielleicht aufgefallen sein mag, seid ihr momentan nicht vollzählig. Nur ungefähr eine Hälfte der ersten Klasse ist umgekippt. Die andere Hälfte befindet sich noch im Klassenzimmer. Ihnen erklärt Mr Daves die Umstände." Kate wusste zwar nicht, wer Mr Daves war, aber das empfand sie nicht als besonders schlimm. Den würde sich schon noch kennenlernen.

"Damit ihr nicht noch länger im Dunkeln herumtappen müsst, löse ich das Rätsel auf." Danke auch. "Ihr seid unsere Zeitmaschinen. Es ist quasi eine ‚Fähigkeit', die aufgrund der Wiedergeburt in euren Seelen verankert ist. Ihr werdet durch eure eigene Kraft zurück reisen und alles ins Lot bringen. Dann steht euch das Himmelsttor offen."

Die Offenbarung, so nannten es die Adepten mittlerweile, war bereits zwei Tage her. In den zwei Tagen hatte Kate sich mit George versöhnt, die kränkliche Helena wieder auf Vordermann gebracht und den Sinn in Kampfsport für Untote begriffen. Immerhin mussten sie sich in der Vergangenheit verteidigen können. Sie würden den Lauf der Geschichte ändern. Herr Aggarwal hatte gesagt: "Wenn ihr euch beispielsweise entscheidet in die linke statt rechte Gasse zu laufen, kann es sein, dass in der rechten Gasse ein Schurke lauert." Dauraufhin musste Kate erst einmal ziemlich lachen und sich über das Wort ‚Schurke' lustig machen. Danach hatte sie mit neu gewonner Motivation am Unterricht teilgenommen. Neben Kampfsport standen auch noch, Gechichte, Fremdsprachen, Sitten und Benehmen an. Alles Fächer, die die Tutoren notwendig für die Adepten hielten. Für die Nuller, die Verdammten. Kate fühlte sich, wie in einem schlechten Science-Fiction-Film. Das würde alles bestimmt noch ziemlich witzig werden.


‚Das Rad der Zeit beginnt sich zu drehen.'


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