Die Erevain

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„Seid gegrüßt!" Ein lauter Ruf ließ Elena aufhorchen und sie trieb Saphir zwischen die Reihen der Krieger, um etwas sehen zu können. Ein Tor, das größtenteils aus ineinander verflochtenen Ästen und Blüten von zwei stämmigen, hellen Bäumen zu bestehen schien, erhob sich über ihren Köpfen. Darunter stand in einiger Entfernung ein Mann, der auf sie zukam. Er war nicht sehr groß, wirkte jedoch respekteinflößend, und trug ein rot-goldenes Gewand, auf dem ein großer Baum mit tiefen Wurzeln und ausladenden Ästen zu sehen war, vor dessen Stamm sich zwei Schwerter kreuzten. Die Reiter neigten grüßend ihre Köpfe. „Das muss Animus sein", dachte Elena. „Ich grüße euch, Majestät, Eure Reiter und auch Euch, Elena." Diese neigte unsicher noch einmal den Kopf, und fragte sich, woher er wohl ihren Namen kannte. Die Pferde schritten durch das Tor auf eine große Lichtung, auf der mehrere rote Zelte, eine Feuerstelle und viele Elfen standen, die nun die Köpfe hoben um die Reiter, die soeben abstiegen, zu erblicken. Elena folgte ihrem Beispiel, glitt aus dem Sattel und reichte Saphir an einen der Männer weiter, die die Reittiere in Stallungen brachten. Die Elfen des Stammes umringten nun Luna's Gefolge, welches sich in der Mitte des Lagers befand. Animus erhob die tiefe Stimme und während er sprach, trat eine Frau neben ihn. „Die Erevain heißen euch im Nachtwald willkommen und laden euch ein, im Lager zu übernachten. Es ist genug Platz, für eure Pferde wird selbstverständlich gesorgt und das Abendessen ist bald fertig."

Die Frau neben dem Waldkönig beugte sich zu Animus und murmelte etwas. Sie war sehr schlank, trug ein weißes, bodenlanges Kleid und einen silbernen Haarreif, der ihre hüftlangen, blonden Haare zurückhielt. Es sah aus wie eine kleine, silbrige Krone. Bella stieß Elena an. „Die Frau neben Animus heißt Tiara und ist die Anführerin des Volkes. Siehst du den Jungen und das Mädchen da drüben? Das sind ihre Kinder. Der Junge ist Tarek, was „Königssohn" in Phillish bedeutet. Er ist der älteste von den Geschwistern. Seine Schwester heißt Livia, was wir mit „Sternenlicht" übersetzen, und ist die Jüngste. Dann gibt es noch Ales, der etwas jünger ist als Tarek. Sein Name heißt „Jäger"." Elena war fasziniert von den Namen, die offenbar alle eine unterschiedliche Bedeutung aufwiesen. Tarek senkte etwas den Kopf -die übliche Begrüßungsweise des Stammes, wie Elena feststellte-, als sie zu ihnen traten. Er war etwa zwei Köpfe größer als sie selbst, kräftig gebaut, mit muskulösen Armen, hatte dunkelbraune, lockige Haare und braune Augen, seine Schwester, die Elena bis zur Hüfte reichte, sah mit ihren blonden Locken, die ihr herzförmiges Gesicht umrahmten, und den hellblauen Augen aus wie ein Engel. „Hallo, Elena.", sagte sie. „Hey.", erwiderte Elena lächelnd und schloss die kleine Elfin sofort ins Herz. „Wo ist Ales?", fragte Bella, nachdem Tarek sie freundschaftlich umarmt hatte. Tarek sah über sie hinweg auf die Lichtung und zuckte schließlich die Schultern. „Ich kann ihn nicht entdecken, wahrscheinlich ist er noch auf der Jagd." Er wandte sich an Elena und nahm behutsam ihre Hand zwischen seine Finger. „Ich bin Tarek, Kronprinz der Erevain und stehe zu Diensten, my Lady." Er hauchte Elena einen Kuss auf den Handrücken. „Tarek, was ist denn mit dir los? Du bist doch sonst nicht so charmant.", feixte Bella und Tarek grinste sie an. „Habt ihr Hunger?", fragte er und gesellte sich mit ihnen zum Lagerfeuer, wo rundherum mehrere Steinbänke aufgestellt wurden.

Als das Essen auf großen, hölzernen Platten gebracht wurde, riet Bella ihr, unbedingt einmal einen Bissen Rehfleisch zu kosten. Anfangs war Elena unsicher, doch die Sorge, dass ihr es nicht schmecken würde, stellte sich als unbegründet heraus. Das Fleisch war erstaunlich zart und schmeckte köstlich. Von Kalesh erfuhr sie während dem Essen, dass alle Elfen sorgsam mit der Natur umgingen und nur das erlegten, was sie zum Leben brauchten. Für Elena, die eigentlich das Jagen von Tieren hasste, klang das vernünftig und seit sie im Lager der Elfen waren, kam es ihr auch irgendwie nicht mehr abscheulich vor, Rehfleisch zu essen. Das war nun mal die Lebensweise des Stammes.

Tarek, Bella, Livia und sie saßen bis in die Nacht hinein am Feuer, erzählten sich eine Menge und Elena musste den Geschwistern haarklein erklären, wie es in ihrer Welt aussah. Es war gar nicht so einfach den Elfenkriegern zu erklären, was Sachen wie Autos, Schulen, Shoppingcenter, Kinos und Internet waren. Es wurde viel gelacht, und Elena fühlte sich richtig wohl inmitten der neuen Freunde. „Hast du nicht einmal gesagt, ein Hirsch habe euch verfolgt, als ihr unten am Waldfluss schwimmen wart?", fragte Bella grinsend. Tarek nickte lachend. „Ales und ich waren vor einigen Wochen am Flussbett schwimmen, und ich bin auf die Idee gekommen, den Hirschen zu erlegen, der am Ufer graste. Ich stieg also aus dem Fluss und nahm meinen Bogen, als das Tier auf einmal hochsprang und quer durch den Fluss mit erhobenem Geweih auf mich zugestürmt kam. Ich glaube, ich bin noch nie so schnell um mein Leben gerannt.", lachte er. „Und dann?", hakten Elena und Bella gleichzeitig nach. „Ales sprang in unglaublicher Geschwindigkeit auf und erlegte den Hirsch mit zwei schnellen Schüssen. Ohne ihn wäre ich dran gewesen. Natürlich saß er mir noch Tage später damit im Nacken und sagte, ich solle meinen kleinen Bruder bloß nie wieder unterschätzen. Sonst würde er das nächste Mal ein Wildschwein auf mich hetzen." Bella und Elena prusteten bei der Vorstellung los. Die Nacht wurde länger, Sterne tauchten auf und der Himmel färbte sich allmählich rötlich-orange. Grillen zirpten im Gras und die Abendsonne verteilte ihren letzten Strahlen über dem Nachtwald. Alles wirkte so friedlich, doch die Jugendlichen ahnten nicht, was anderswo geschah ...

Die Prophezeiung von Avalon - Die AuserwählteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt