Ich drücke mich in die Ecke, mache mich so klein wie möglich und bete, sie mögen vorübergehen, ohne mich zu entdecken.
Ich habe Angst, Angst davor, dass es wieder passiert, dass auch sie mich schräg angucken, verspotten und beschimpfen. Das, was mir hier an diesem schrecklichen Ort, der Kennedy High School in Calamite Hills, fast jeden Tag widerfährt.
Nur weil ich anders aussehe als sie und weil sie das verunsichert, machen sie mir das Leben zur Hölle.
Diese Gruppe von drei Jungen und zwei Mädchen, die zudem älter aussehen als ich, scheinen mich jedoch nicht zu bemerken. Sie schlendern quatschend und kichernd (die Mädchen), sprücheklopfend und lässig (die Jungs) vorbei. Ich will schon aufatmen, da dreht einer der Jungen sich zur Seite und sieht mir geradewegs in die Augen.
Panik steigt in mir auf.
Jetzt ist es vorbei.
Jetzt wird er es seiner Clique sagen und dann...
Doch nichts dergleichen geschieht.
Er nickt nur leicht und dreht sich wieder um. "Hey, Leute", sagt er laut. "Ich hab noch was in meinem Spind vergessen. Bin gleich zurück." Er dreht sich erneut um, zwinkert mir zu und rennt dann an meinem Versteck vorbei den Gang hinunter.
Seine Freunde biegen um die Ecke und ich wage mich aus dem Schatten heraus.
Der Junge ist schon zurück, anscheinend hat er doch nichts vergessen.
Wir stehen uns eine Weile schweigend gegenüber, dann räuspert er sich.
"Hi."
Ich antworte nicht und starre ihn misstrauisch an.
Was will er von mir? Will er mich alleine fertig machen, ohne seine Freunde?
"Ich bin Leo", fährt er fort.
"Und du?"
"Ich heiße September", antworte ich leise.
"September", wiederholt er.
"Hübscher Name. Bist du im September geboren?" -
"Nein, im Mai."
Er lächelt. "Dann mögen deine Eltern den September?" -
"Meine Eltern sind tot."
Sein Lächeln verschwindet. "Oh," sagt er betreten. "Tut mir leid."
Ich frage mich, warum ich ausgerechnet ihm so viel von mir verrate. Ich kenne ihn doch gar nicht.
"Nun, September", sagt Leo nach einer kurzen Pause.
"Ich wollte dich einfach nur mal kennenlernen. Ich meine, du bist neu, und du bist mir gleich aufgefallen." Verlegen knetet er seine Hände.
"Und außerdem..."
"Leo!", ruft da eine Mädchenstimme. "Leo, kommst du?"
"Das ist Lydia", sagt er und verdreht die Augen. "Also, ich muss los. Bis dann." Lässig hebt er die Hand, macht auf dem Absatz kehrt und läuft zügig in Richtung der Stimme.
Ich bleibe verwirrt zurück.
Er ist der Erste, der mich kennenlernen wollte.
Und der mich nicht sofort nach meinem Aussehen und meiner Hautfarbe verurteilt hat.
Und was meinte er mit 'Bis dann'?
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September [ beendet ]
Teen FictionAus Kenia nach Amerika adoptiert, fühlt sich die 15-jährige September zunächst gar nicht wohl in ihrem neuen Zuhause: Außer ihrer Schwester kennt sie niemanden, zudem wird sie wegen ihrer Hautfarbe gehänselt. Weiteres Kopfzerbrechen bereitet ihr Leo...