Heute bin ich früher dran.
Als eine der Ersten sitze ich auf meinem Platz und richte meine Erdkunde-Sachen.
Von Maya ist noch nichts zu sehen.
Und als sie mit dem Gong ins Klassenzimmer hechtet, ist sie die Letzte vor Mrs Hale, der Geographielehrerin.
"Hi Maya!", sage ich, doch sie antwortet nicht, sondern setzt sich stumm neben mich und starrt stur geradeaus.
Verunsichert schaue ich sie von der Seite an.
Habe ich etwas falsch gemacht?
Nimmt sie es mir übel, dass ich gestern einfach gegangen bin?
Ich setzt zu einer Frage an, doch im selben Moment ertönt ein Pfiff von Mrs Hale und sofort sind alle still.
"Guten Morgen zusammen", grüßt sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ihre langen blonden Haare hat sie zu einem Dutt zusammengebunden.
Mit ihrem umwerfenden Aussehen und der freundlichen Art wurde sie schnell meine Lieblingslehrerin.
Heute kann ich mich allerdings kaum auf die Entstehung von Hurrikans konzentrieren, auch wenn mich das Fach sonst sehr interessiert.
Meine Gedanken schweifen ständig zu Maya und ihrem abweisenden Verhalten.
Gestern spricht sie mich einfach so aus heiterem Himmel an, und heute ignoriert sie mich wieder komplett?
Wie kann das sein?
Ich glaube jedoch kaum, dass es etwas mit der Kunststunde, oder vielmehr, mit ihrem Ende zu tun hat.
Da muss mehr dahinterstecken...In der kleinen Pause vor Englisch komme ich endlich dazu, die Frage zu stellen, die mir unter den Nägeln brennt:
"Ist alles OK?"
Maya nickt, schaut mich aber immer noch nicht an.
"Hör mal, Maya, das gestern in Kunst, das..."
"Es hat nichts mit dir zu tun!", unterbricht sie mich schroff.
Ich stutze.
Wie bitte?
"Ich bin einfach noch nicht so weit", redet sie weiter, "das gestern war ein bisschen .... überstürzt.
Wirklich, September, es hat nichts mit dir zu tun, glaub mir!
Gib mir einfach ein bisschen Zeit."
Ich bin so überrascht über ihre Worte, dass ich nichts erwidere.
Und als sie nach Englisch so schnell wie möglich einpackt und davoneilt, sehe ich mir mit ihr die erste Chance auf eine Freundin, die ich so bitter nötig habe, durch die Finger gleiten."Phhhh!"
Spucke landet knapp vor meinen Schuhspitzen auf dem Boden.
Ich schaue auf und direkt in ein hämisch grinsendes Gesicht.
Der Junge ist älter und bestimmt zwei Köpfe größer als ich, und mit den rotbraunen Haaren und dem runden Gesicht sieht er viel netter aus, als er gerade guckt.
Einen Moment lang scheint die Welt stillzustehen.
Ich sehe nur ihn, seine verzerrte Grimasse, seine Augen, zu Schlitzen verengt.
Er schaut mir direkt ins verängstigte Gesicht.
Dann sagt er so laut, dass alle es hören können:
"Da siehst du, was ich von dir halte,
du Schlampe!"
Und sofort fluten die Eindrücke der Umgebung auf mich ein:
Überall neugierige Menschen, die uns angaffen, Schüler, die mitten auf dem Gang stehen bleiben, um das Spektakel mit anzusehen.
Und weit und breit kein Lehrer, der mich erlösen könnte.Von irgendwoher ruft jemand:
"Mach sie fertig, Mattew!"
Und das tut er.
Das hat er schon getan.
Allein mit diesem einen Satz.
Tränen steigen mir in die Augen, ich versuche verzweifelt, sie zu unterdrücken.
Doch Mattew hat das Glänzen wohl bemerkt, denn er höhnt:
"Ooh, musst du jetzt heulen?
Warte, ich tröste dich!"
Er streckt den Arm nach mir aus, doch ich ducke mich weg, schlüpfe an ihm vorbei und renne so schnell ich kann den Flur entlang, weg von der glotzenden Menschenansammlung, die sich um Mattew und mich gebildet hat.Im Vorbeirennen bemerke ich ein vertrautes Gesicht.
Leo.
Schon wieder.
Er lehnt mit verschränkten Armen an der Wand und hat das Ganze anscheinend beobachtet.
Doch ich sehe ihn nur einen Augenblick lang, dann bin ich schon vorbeigerauscht.
Vielleicht habe ich ihn auch verwechselt.
Doch mein Gefühl sagt mir, dass ich mich keineswegs vertan habe."Ja, hau bloß ab!", brüllt Mattew mir nun hinterher.
"Am besten gleich nach Afrika!"Ich hechte um die nächste Ecke.
Der Gang vor mir ist menschenleer, was ungewöhnlich ist, da gerade große Pause ist und zu dieser Zeit gewöhnlich viele Schüler und Lehrer auf den Schulfluren unterwegs sind.
Links entdecke ich eine Tür, die zu den Toiletten führt.
Schnell drücke ich sie auf, denn jetzt spüre ich, dass ich die Tränen nicht mehr zurückhalten kann.
Auch auf der Toilette ist niemand, doch das kommt mir sehr entgegen.
Ich schließe mich in einer Kabine ein, die halbwegs sauber aussieht, klappe den Klodeckel herunter und setze mich darauf.
Sofort stürzt alles auf mich ein:
Mattew und das erneute Niedermachen,
Maya, die anscheinend nichts mit mir zu tun haben möchte,
Leo, der schon wieder zugeguckt hat.
Ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie wäre es mir lieber, er hätte es nicht gesehen.
Auch moralisch bin ich am Ende, da ich das mit Mike gestern noch immer nicht ganz verdaut habe.
Und jetzt die nächste Aktion.
Wie viele werden wohl noch folgen?
Die Tränen laufen mir in Sturzbächen über das Gesicht und ich weine leise.Plötzlich wird die Tür aufgestoßen und ich werde still.
Dann fragt eine männliche Stimme:
"Na, was hast du jetzt, Jack?"
"Bio", antwortet eine weitere Stimme
- wahrscheinlich die von Jack - und er stöhnt.
Moment mal, was machen Jungs auf der Mädchentoilette?
Auf einmal fällt mir siedend heiß ein, dass ich nicht auf das Schild an der Tür geachtet habe, sondern einfach blindlings in den Raum dahinter gegangen bin.
Und jetzt bin ich auf dem Jungsklo!Jack und der andere Junge unterhalten sich noch ein bisschen über ungeliebte Lehrer, während sie ... nun ja ... pinkeln.
Ich kann das Plätschern hören und würde mich am liebsten übergeben.
Doch ich muss leise bleiben.
"Wie konnte ich nur diese Schüsseln - Pissoirs, wie ich von Harry gelernt habe - übersehen?", denke ich und schlage mir vor die Stirn.
Augenblicklich verstummt das Gespräch der Jungen und Jack fragt:
"Hast du das auch gehört, Ben?" -
"Ja. Wer ist da?"
Starr vor Schreck sitze ich auf dem Klodeckel und halte den Atem an.
Denn wenn ich antworten würde, würden sie sicher bemerken, dass ich kein Junge bin.
Meine Stimme verstellen kommt auch nicht in Frage, denn darin bin ich gnadenlos schlecht.
Einmal habe ich versucht, Mia zu veräppeln, indem ich versuchte, meinen Vater zu imitieren und sie durch die Zimmertür fragte, ob sie in Kito verliebt wäre, da ich wusste, dass sie das am ehesten ihm erzählen würde.
Doch sie sagte nur gelangweilt:
"Nein, September."
Ich huschte daraufhin mit hochrotem Kopf weg. Und versuchte es nie wieder.Also verhalte ich mich ruhig und hoffe, sie würden einfach gehen.
Doch jetzt rüttelt jemand an der Klinke und Ben fragt:
"George, bist du das?"
Als ich immer noch keinen Mucks von mir gebe, gibt er schließlich auf.
"Das ist nicht George", sagt er zu Jack.
"Und wenn doch, verarschen können wir uns auch alleine!", sagt er laut.
Dann höre ich, wie die Tür auf- und wieder zugeht, und seufze erleichtert auf.
Allerdings währt meine Erleichterung nicht lange.
Da erst Mitte der Pause ist, kommen und gehen nun die Jungen.
Ich sitze zusammengekauert auf dem Toilettendeckel, versuche, nicht zu sehr auf die Geräusche zu achten und bete, dass die Jungen so schnell wie möglich verschwinden mögen.
Wie soll ich hier nur wieder rauskommen?
Es klingelt und eine ganze Weile kommt niemand.
Ich warte dennoch, sicherheitshalber, und überlege, welche Ausrede ich meiner Physiklehrerin für mein Zuspätkommen vorbringen soll.
Zum Glück, denn kurz darauf geht die Tür erneut auf.
Ich höre ein Fußtrappeln.
Direkt vor meiner Tür hört es auf.
Ich halte die Luft an.
Hat etwa jemand bemerkt, dass eine Tür ungewöhnlich lange verschlossen war?
Im selben Moment fragt eine Stimme:
"September?"
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September [ beendet ]
Novela JuvenilAus Kenia nach Amerika adoptiert, fühlt sich die 15-jährige September zunächst gar nicht wohl in ihrem neuen Zuhause: Außer ihrer Schwester kennt sie niemanden, zudem wird sie wegen ihrer Hautfarbe gehänselt. Weiteres Kopfzerbrechen bereitet ihr Leo...