Schweigend betrat ich die kleine Berghütte. Falls man es so nennen konnte. Es war eher zwei kleine Räume übereinander gestapelt.
Meine Tasche ließ ich auf den staubigen Boden fallen. Hier sah noch alles so aus wie vor zwei Jahren. Nichts war angefasst worden. Die Weihnachtsdekoration hing noch immer an Ort und Stelle. Leise ging ich weiter in die Küche. Ich schaltete das Licht an. Sofort fiel mir die gemütliche Eckbank mit den aufgesessenen Polsterbezügen auf. Überall lagen noch die Sachen herum. Die leer gegessene Müslischale, die Pfanne in der noch das Fett schwamm, die Messer, die noch benutzt in der Spüle lagen.
Ich zog wahllos eine der vielen Schubladen auf und blickte auf Bunt gebundene Bücher hinunter. Notizbücher. Planlos fischte ich eines heraus und setzte mich auf die Bank.
Beachtlich öffnete ich den Deckel und entzifferte die ersten Buchstaben darauf.
Einsatzbuch von 2012
Mit einem zierlichen Lächeln blätterte ich das gesamte Buch durch. Sämtliche Erinnerungen spülten sich durch mein Gedächtnis. Sämtliche Einsätze, die mein Team erlebt hatte. Alle Opfer, die wir aus dem Fluten eines Bergbaches retten mussten, alle Lawinenopfer und alle Verletzten Kletterer waren darin aufgezeichnet. Auch die, die wir nicht mehr hatten retten können. Doch davon waren es glücklicherweise nur sehr wenige.
***
Es war später Abend als ich in das Obergeschoss ging. Dieses bestand nur aus einem einzigen Raum. Ich schaltete das Licht an und blickte mich um. Das Bett war nicht gemacht, der Kalender und die ganzen Bilder hingen schief an den Holwänden, während der Schrank Sperrangelweit offen stand und seinen Blick auf ein Chaotisches Durcheinander preisgab.
Mit kleinen Schritten ging ich auf die Bilder zu. Das erste Bild zeigte Moritz und mich. Ich schluckte schwer. Als es aufgenommen worden war wussten wir Beide noch nicht, dass einer bald von uns auf der Intensivstation liegen würde. Ich ging einen Schritt weiter. Das nächste Bild zog mein Herz zusammen.
Auf dem kleinen Bild sah man mich und einen jungen Braunhaarigen Mann, der mich auf die Stirn küsste. Ich wusste noch ganz genau wie Rot ich damals geworden war. Mein rechter Mundwinkel zog sich traurig nach oben. Jacob und ich. Die meisten dachten unsere Beziehung würde für die Ewigkeit halten. Jeden Streit und jede noch so weite Entfernung würde sie überstehen. Doch diesen einen schweren Unfall nicht.
Ich seufzte laut und ließ mich auf dem großen Bett nieder. Sofort gab es nach und quietschte ein bisschen. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, das ganze Bettzeug neu zu beziehen, doch meine Müdigkeit gewann und schon lag ich mit gemütlichen Sachen im Bett und schloss meine Augen. Und heute träumte ich mal nicht von dem Unfall, sondern von den guten Alten Zeiten, die ich mit meinen Freunden erlebt hatte.
***
Am nächsten Morgen war ich voller Tatendrang. Noch gestern hatte ich mir einen genauen Plan gemacht, was ich heute alles machen wollte. Als Erstes zog ich mein Bett ab und gab alles in einen neuen Bezug. Es hatte in der Nacht, doch ziemlich gekratzt.
DU LIEST GERADE
Den Bergen so nah
ChickLitDie einundzwanzigjährige Marlene Leitner ist eine waschechte Sanitäterin im Salzburger Land. Regelmäßig sitzt sie im Hubschrauber und fliegt mit dem Bergretter-Team zu den verschiedesten Einsatzorten. Doch als eines Wintermorgens ein Notruf gesetzt...