„Wach bleiben Frau Fischer!", „Sie müssen jetzt stark sein!", „Nicht einschlafen! Erzählen sie mir was!", „Frau Fischer!". Erschrocken riss Helene die Augen auf. Die Stimmen hallten noch in ihrem Kopf. Immer wieder hörte sie die nervösen Stimmen der Ärzte, die sie in den OP gefahren hatten. „Sie stirbt uns unter den Händen weg!". Ein Satz, der ihr stets Angst einjagte. Sie konnte die Schmerzen immer noch genau so spüren, wir vor dreizehn Jahre. Es waren Höllenschmerzen. Sie hatte sosehr geschrien. Hatte versucht die Schmerzen wegzuschreien, doch sie wurden immer schlimmer. Sie zerrissen ihr beinahe den Unterleib. Es waren die schlimmsten Stunden in ihrem Leben. Sie hatte so unendlich gelitten. In diesen Stunden hatten die Ärzte um ihr Leben gekämpft. Um ihr Leben und um das ihrer Tochter. Sie hatte ihrem Sternzeichen alle Ehre gemacht. Sie war stur wie ein Stier. Dabei wäre sie fast gestorben. Beide. Dreizehn Jahren war es nun her und dennoch konnte sich Helene an jedes Detail erinnern. An jedes Wort. An jede Bodenwelle, über die sie mit dem Bett drübergefahren wurde. Jeder noch so kleine Hubbel versetzte ihr unheimlich Schmerzen zu. An diesem Tag war alles schief gegangen was nur schiefgehen konnte. Helene konnte ihre Gedanken an dieses Ereignis nicht abstellen. Sie dachte automatisch immer und immer wieder daran. Sie wollte nicht, aber sie konnte es nicht kontrollieren. Es war so, als säße sie in einem Trichter ohne Ausgang. Schweiß nass saß Helene nun in ihrem Bett. Ihre Haare warn klatsch nass und ihr Atem schwer und schnell. Sie hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Sie brauchte Luft. Brauchte Freiheit. Brauchte das Gefühl, dass sie lebte und das im Jetzt und nicht in der Vergangenheit. Sie hatte stets versucht die Vergangenheit auszublenden. Sie zu vergessen. Zu verdrängen. Aber es hat nie geklappt und nun holte sie sie noch schneller ein. Jetzt, wo sie ihre Tochter kennengelernt hat. Erschöpft sank sie in sich zusammen. Ihr Herzschlag war viel zu schnell. Sie musste sich beruhigen. Vorsichtig stieg sie aus ihrem Bett und begab sich zu ihrer Balkontüre, des gemieteten Hauses. Langsam öffnete sie sie und genoss den Moment, indem die kalte Nachtluft sie umhüllte.
Nicht nur Helene konnte nicht schlafen, sondern auch Uwe konnte es nicht. Er dachte darüber nach, wie sich das entwickeln würde mit Helene und Leyla. Helene ging schließlich nicht zu selten auf Tournee. Wo sollte Leyla denn dann hin? Sie konnte ja schlecht mit und für ein paar Monate die Schule versäumen. Was hatte sich Helene denn nur gedacht. Sie stellt sich das alles viel zu leicht vor, dachte Uwe. Aber das würde sie schon selber wissen müssen. Er konnte ihr nicht diese Entscheidung abnehmen. Er dachte darüber nach, wie Helene ihm erzählt hatte, dass die Geburt von Leyla sehr schwierig war und sie beinahe gestorben wäre. Die Ärzte hatten Stundenlang um ihr Leben gekämpft und nach der Geburt, lag sie direkt im Koma. Es war zu viel für ihren Körper. Aus den Akten, die er sich von den damaligen Ärzten besorgt hatte, hatte er entnommen, dass Helene Herz immer wieder aufgehört hatte zu schlagen. Dass sie immer wieder erneut reanimiert werden musste. Dass sie nur knapp dem Tod entkommen war. Aus Helene selbst, erfuhr er nicht viel. Verständlicherweise sprach sie nicht gerne darüber. Seufzend stieg er aus seinem Bett und stellte sich an das Geländer des durchgehenden Balkons von ihnen. „Helene.", flüsterte er ihr zu. Sie lächelte ihn vorsichtig an und sofort stiegen ihr Tränen in die Augen. Uwe ging zu ihr rüber und nahm sie in den Arm. Versuchte sie zu beruhigen. „Ich hab von ihr geträumt. Von der Geburt. Es war so schrecklich.", „Aber es ist vorbei. Es liegt dreizehn Jahre hinter dir.", „Uwe, ich weiß nicht, ob ich das schaffe mit Leyla. Ich weiß nicht, ob ich ihr das bieten kann, was sie brauch. Ich bin eine Entertainerin. Ich bin so viel unterwegs.", „Wenn ich ehrlich bin, ging mir das gerade eben auch durch den Kopf.", nun sah Uwe sie vertrauensvoll an. „Aber ich weiß, dass wir es zusammen schaffen. Und Frau Rieke und Frau Sommerfeld wollen uns auch unterstützen.", zustimmend nickte sie. „Ich habe Angst sie zu enttäuschen.", „Du machst das schon. Geh jetzt rein und leg dich hin. Morgen wird ein anstrengender Tag.". daraufhin drehte sich Helene um und ging zurück auf ihr Zimmer und auch Uwe schloss wieder die Balkontüre hinter sich.
Die warme Morgensonne schien in Leylas Zimmer herein und weckte sie ganz sanft. Heute war es also soweit, dachte sie. Sie hatte von der Schule frei bekommen, natürlich ohne zu sagen, dass Helene Fischer der Grund ist, warum sie nicht kam. Ihre Mutter. In Ruhe zog sie sich an und gesellte sich freiwillig zu den anderen Kinder, was sonst gar nicht ihr Ding war. Sie blieb lieber bei den Erwachsenen. „Na, bist du schon aufgeregt?", fragte Frau Rieke, die sich gerade zu ihr setzte. „Ja, ein bisschen. Ich würde jetzt gerne in die Zukunft sehen können.", „Das kann ich mir gut vorstellen, aber es wird auch so gut gehen. Und du weißt, wenn irgendetwas ist, kannst du mich immer erreichen und wieder zurück kommen.", „Ja, ich weiß. Danke.", Leyla umarmte Frau Rieke, die völlig überrascht war. Leyla war nicht der Type gewesen, der auf andere zu ging und sie umarmte. Jedenfalls nicht, seit dem ihre Eltern verstorben waren. „Hat dich eigentlich irgendjemand in der Schule auf deine Situation angesprochen. Auf den Tod deiner Eltern?", „Nein, keiner. Nicht mal die Lehrer. Aber es stand ja auch groß genug in der Zeitung. Ich denke, da wollte niemand das ich in Tränen ausbreche.", verständlich nickte Frau Rieke. „Was machen denn heute die anderen alle, wenn Helene kommt?", „Sie gehen rau, die Straße weiter runter ist ein großer Kinderspielplatz. Da können sie sich amüsieren.". Leyla nickte nur und sah zum Fenster raus. „Es dauert noch eine Stunde und vom bloßen rausgucken geht die Zeit nicht schneller um.", „Da hast du recht.", grinste Leyla.
Die Stunde war wie im Flug vergangen. Leyla hatte ihre Sachen alle fertig zusammen gepackt und bereit gestellt. Jetzt wartete sie nur noch auf ihre Mutter. Die anderen waren alle schon weg. Ihr schlug das Herz wieder bis zum Hals. Gleich steht sie wieder vor mir, dachte Leyla und steckte sich die Ohrstöpsel rein. Das Lied 'Der Augenblick' ertönt und fängt direkt im Satz an 'leise tickt die Uhr, doch jetzt will ich nur, meinen Herzschlag hörn'. Es traf zu Leylas Situation zu. Sie wollte nur ihren schnellen Herzschlag hören. Hörte das leise ticken der Uhr. Sie wartete darauf, dass die Uhr eins anzeigt, denn dann sollte sie da sein. Ihre Mutter.
Nervös blickte Helene auf die Uhr im Auto. Fünf vor eins. Gleich war er da. Der große Moment. Sie holte ihre Tochter nach Hause, dachte sie. „Alles gut?", „Ja, alles gut. Ich bin nur ein bisschen aufgeregt.", „Ist ja auch ein großer Moment.", „Ja. Ein eigentlich kleiner Moment, der aber mein ganzes Leben verändert.", zustimmend nickte Uwe.
Langsam fuhren sie in den Hof rein und hielten an. Leyla stand schon mit Frau Rieke und Frau Sommerfeld draußen und sah dem Auto entgegen. „Hallo.", rief Helene, als sie ausstieg und auf die drei zu kam. „Hallo", entgegneten Frau Rieke und Frau Sommerfeld freundlich. Mit ein wenig Abstand blieb Helene vor Leyla stehen. Unschlüssig, ob sie sie jetzt umarmen soll oder nicht. Diese Entscheidung nahm ihr Leyla jedoch sofort ab. Leyla ging auf sie zu und umarmte sie. „Hallo Süße.", „Hallo.", entgegnete Leyla zufrieden. Sie spürten den Herzschlag voneinander. Spürten die Wärme. Es war richtig, ging es Leyla und Helene durch den Kopf. Als sie sich lösten fragte Helene, „Sind deine Sachen schon gepackt?", und Leyla nickte und zeigte auf die Koffer, welche ein wenig weiter weg standen. „Sehr gut. Murfy, packen sie die Sachen bitte schon mal ins Auto.", orderte er den Fahrer. „Also dann.", kam es zögernd aus Leyla hervor, während sie sich umdrehte und Frau Rieke ansah. „Also dann.", gab sie nickend zurück. Einen kurzen Moment verweilten beide, dann ging Leyla auf Frau Rieke zu und umarmte sie. Sie fühlte, wie die Tränen hochkamen, wollte sie jedoch tapfer verdrücken. Dann standen sie sich gegenüber. „Mach es gut, meine kleine.", Leyla wollte was sagen, doch konnte nicht. „Denk dran, wenn etwas ist, ich bin immer für dich da. Ich bin immer erreichbar und du kannst jeder Zeit zu mir kommen.", Leyla nickte. „Mach es gut. Wir sehen uns bestimmt mal.", „Mach's gut.". Mit diesen Worten konnte Leyla ihre Tränen nicht zurückhalten. „Ich werde sie ganz schrecklich vermissen!", schluchzte sie heraus und fiel Frau Rieke um den Arm. „Ich dich auch, meine kleine. Ich dich auch. Aber du wirst es gut haben bei Frau Fischer.", sanft stieß sie Leyla weg, in Richtung Helene. Leyla verstand. Sie drehte sich um und sah Helene an, die mit einem fragenden Blick Leyla ansah. Auch das verstand sie. Es war Zeit zugehen. Zusammen mit Helene und Uwe ging sie zu dem schwarzen Mercedes. Helene öffnete ihr die hintere Türe und Leyla drehte sich noch einmal um zu Frau Rieke und Frau Sommerfeld und winkte. Dann stieg sie ein. Helene ging einmal um den Wagen herum und stieg von der anderen Seite hinten ein und dann ging es auch schon los. Los, in einen neuen Abschnitt ihres Lebens. Los, in eine ungewisse Zukunft.
Wie wird es sein mit der Helene Fischer unterwegs zu sein. Wird sie überhaupt mitdürfen oder muss sie zu Hause bleiben und brav in die Schule gehen? Das letzte mal, als sie brav in die Schule gegangen war und alleine zu Hause geblieben war, sind ihre Eltern ums Leben gekommen. Kein schöner Gedanke. Leyla sah aus dem Fenster und winkte mit Tränen in den Augen ihrer Erzieherin. Als Frau Rieke dann Frau Sommerfeld in den Arm fiel und anfing zu weinen, brach es Leyla das Herz, aber ihr stand eine neue Reise bevor.
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Bezeichnung Liebe
Fanfiction"Helene!", "Fischer, wachen sie auf!", "Sie stirbt uns unter der Hand weg!" Hektik verbreitete sich und keiner hatte mehr den Durchblick. Als er vorbei war, war es zu spät. Zu spät für Entschuldigung. Zu spät für Vertrauen. Zu spät für 'Ich habe dic...