Ich bin hier...?

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Ich konnte Niklas nicht weiter ansehen und hatte auch keine Ahnung, wie das Gespräch weitergeführt werden sollte, also sah ich auf den Boden, spürte, dass es draußen warm sein musste, aber in diesem Raum drang kaum Tageslicht hinein.
Ich war froh deswegen, denn mein Zustand war nicht der beste.
Zwar war mein Hunger gestillt, aber mein Kopf pochte beinahe unentwegt, und meine Haut schien zu glühen, auch wenn ich mir nicht so sicher war, ob es womöglich nicht doch nur eine Einbildung war, denn das konnte durchaus sein, versuchte ich mir gedanklich einzureden.

"Hey. Du bist wach."
Ich schaute auf und blinzelte träge,
mein Kopf leicht nach vorne geneigt.
Zwar konnte ich nicht so genau ausmachen, ob es mir eben besser ging, doch kurz nachdem ich etwas getrunken hatte, fühlte ich meine Erschöpfung noch stärker, doch meine Neugier hielt mich noch wach.
Leise bedankte ich mich, als der Kleinere, breit gebaute meinen Arm um seine Schulter legte, mich an der Taille mit stützte und wieder zurück ins Bett brachte, wo ich wohl die Decke halb mitgerissen hatte, als ich mich irgendwo festhalten wollte.
Da ich mich nicht traute, mich an jemandem festzuhalten, zog ich eine Ecke der weichen Decke bis zu meiner Wange hoch, schlang die Arme darum und seufzte leise, bis der mir vermutlich bekannteste mit den schmalen Lippen, den markanten Gesichtszügen und den freundlichen, aber irgendwie auch melancholischen Augen sich zu mir an den Rand setzte, ein Bein angewinkelt, dass andere herunterbaumelnd.

Ich starrte seine Unterarme an, welche von einer Schicht eines dünnen, hellgrauen Sweaters verdeckt wurden, ehe ich die Lippen öffnete, um zu sprechen.

"Ich kenne dich.
Ja. Ich habe dich schon einmal gesehen, in meiner Wohnung.
Du bist irgendwie dort hinein gekommen..."

Ich machte eine Pause, ehe ich wusste, was ich fragen wollte.
Meine Gedanken waren zäh und ein Nebel schien sich auf meine Konzentration zu legen.
Das Bein zog sich etwas näher heran.

"Deine Fragen über mich...hast du sie beantwortet bekommen? Auch wenn mir nicht ganz erschließt, wie du so ohne richtige Antwort etwas von mir erfahren konntest."

Eine der drängensten Fragen konnte und wollte ich noch nicht stellen.
Vermutlich auch, weil ich nicht zu dumm wirken wollte.

Bin ich.....tot?

Mein Bettgeselle fasste sich kurz nachdenklich an das Kinn, ehe er langsam nickte, leicht schien er überrascht zu sein über meine teils vorhandenen Erinnerungsfetzen.
Denn ich konnte mich absolut nicht mehr erinnern, wo ich die letzten Tage oder Wochen war, nur der Geschmack dieser dunkelroten Flüssigkeit war noch übrig.
Natürlich wusste ich, wie ich hieß, wie alt ich war und wer meine Familie und Freunde waren.
Mehr war da allerdings nicht mehr.
Und ausgerechnet diese Nacht blieb hängen, oder zumindest Fragmente davon. Verrückterweise war meine Waffe zur Verteidigung ein Schuhanzieher, und dann war da der Geruch von Kohle und Unterholz und etwas eigenes, und ich war auf einmal furchtbar müde. Und irgendwas wollte er herausfinden, ohne dass ich auch nur den Mund geöffnet hatte, um von mir zu erzählen.

Mir fiel sein Name wieder ein.
"Jakob. Wie hast du etwas über mich rauskriegen können? Ich meine, wie hast du das gemacht?"

Wie gewohnt fasste ich mir an den Hals, um mich dort zu kratzen, ehe ich leise fluchte und mir auf die Unterlippe biss.

"Du darfst dich da die nächste Zeit nicht kratzen. Seltsamerweise dauert diese Narbe am Anfang am längsten, um zu verheilen. Und ja, es ist wie ein hartnäckiger Mückenstich. Aber du solltest das wirklich nicht anfassen.", sprach Jako eindringlich auf mich ein und verstärkte den Druck auf meine Hand, welche aus Reflex gegen die offene Wunde presste.

Ich wimmerte aus zusammengepressten Lippen.
"Das brennt wie die Hölle."
Schritte entfernten sich, ehe der breiter Gebaute, Bärtige meine Hand mit einem geübten Handgriff von der scheinbar pochenden Stelle löste und ein weißes, dickeres Tuch auf die offene Stelle drückte, meine Hand wieder dazulegte und sich sich wieder langsam erhob.
Leise bedankte ich mich.

"Das geht wieder vorbei.
Es gibt weitaus schlimmere Schmerzen, glaub mir.", sagte Jakob sehr leise und warf seinem Gegenüber einen Blick zu, der traurig wirkte.
"Nicht nur physischer Natur.
Alles, was der Geist zusätzlich ertragen muss, ist fast noch unerträglicher. Dein Schmerz wird bald vorbeigehen. Nur manche Dinge, die ich mit meinem Freund Felix vor Jahren erlebt habe...ich hoffe für dich, dass du das niemals erleben musst."

"Jakob."

Ein warnendes Knurren erklang.

"Felix, lass mich erzählen."

"Nein. Nicht jetzt, Jakob.
Sie ist verletzt und erschöpft.
Verdammt, ein bisschen mehr Feingefühl wäre angebracht.
Falls du vergessen hast, wie das geht.
Sie braucht Ruhe. Sie hatte in den letzten Stunden zu viel Aufregung.
Und zu ihrem Glück hat sie wen, der etwas Erfahrung damit hat und nicht alleine sein muss."

Wir waren nur noch zu dritt, denn Niklas schien sich unbemerkt verzogen zu haben, um dem Streitgespräch zu entgehen.

Was bei der etwas brodelnden Situation gar nicht so abwegig war, und wäre ich fit, hätte ich vermutlich genauso gehandelt.
Eine etwas brodelnde Stimmung war zu vernehmen. Der Langhaarige stand so schnell auf den Beinen, dass ich kaum mit kam.

"Ich bin feinfühlig.
Manchmal sogar mehr als du.
Wenn ich mich recht entsinne, hättest du sie sogar sterben lassen.", knurrte Jakob beunruhigend leise.
Er stand angespannt im Raum, sein ganzer Körper war steinhart, nur seine Augen waren bereits so reumütig und sanft, dass fast schon klar war, welche Emotion Überhand nehmen würde in den nächsten Sekunden. Und ich behielt Recht.

"Das stimmt nicht, Jakob.
Mein Gewissen hätte das niemals zugelassen, das weißt du.", sprach Felix leise und seufzte, nun entspannten beide Seiten sich wieder und auch ich stieß unbewusst erleichtert Luft aus.

"Es tut mir leid, dass ich so emotional bin, Felix. Es ist nur so viel, das nochmal durchmachen zu müssen."

Die beiden Männer lagen sich in den Armen und schwiegen.
"Ich weiß, Jakob. Für mich ist das auch nicht so leicht.", nuschelte der Blonde schließlich, murmelte was von 'Ich gehe den Tee holen', löste sich aus der Umarmung und ging leise aus dem Zimmer.




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