Sieh an, sieh an / Kapitel 9

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S, danke für s Helfe mit de Näme <3

Also war ab jetzt ignorieren angesagt. Das Letzte, was ich erreichen wollte war, ihn auf den Gedanken zu bringen, ich würde ihm immer noch hinterherlaufen. Komm schon. Als bräuchte ich ihn. Pfff...

In diesem Schuljahr hatte ich Italienisch als Freifach gewählt. Dabei wurden Acht – und Neuntklässler zusammen in einem Kurs unterrichtet, weil sich meistens nur wenige dafür anmeldeten. Manuele (noch so einer von Maels Truppe) war ebenfalls dort, und irgendwie schien er ganz okay zu sein.

Das hört sich jetzt bescheuert an, aber am Anfang setzte mich seine blosse Anwesenheit unter Druck, nur weil die Möglichkeit bestand, dass er Mael irgendetwas über mich erzählen könnte. Ich bekam fast den Mund nicht auf, aber mit der Zeit redete ich sogar mit ihm und benahm mich fast schon normal.

Eines Mittwochs, die Glocke hatte uns gerade in die Mittagspause entlassen, schlenderte ich aus dem Schulhaus in Richtung Fahrradunterstand. Ich kann mich noch ganz genau erinnern, was ich angehabt hatte (obwohl das eigentlich irrelevant ist). An meinen Füssen waren bunte Chucks, ich trug braune Stulpen, Jeans und mein rotes Lieblings-T-Shirt (das hat besser zusammengepasst, als es sich jetzt anhört). Schon in der Sekunde in der ich die Türe öffnete, scannte ich unauffällig (in Agentenmanier, höhö) den Schulplatz ab. Mael und Manuele standen beim Eingang der Turnhalle. Sie schauten umher – besser gesagt zu mir rüber. Natürlich merkte ich es ganz genau, doch ich versuchte cool zu bleiben, und mein Ziel (den Fahrradständer) im Auge zu behalten. Im Augenwinkel merkte ich, wie die beiden Jungs mich musterten, und ich hatte dieses mulmige Gefühl, dass sie über mich redeten, was auch immer. Ich lief GANZ COOL weiter, und tat so, als würde ich ganz konzentriert ein Lied auf meinem iPod suchen, die Lautstärke hochdrehen, irgendwas in der Art.

„Hey, Estelle!“ Oh shit. Mein Kopf schnellte herum und meine Füsse bewegten sich keinen Zentimeter mehr. Mael und Manuele blickten mich jetzt direkt an, und der Zweitgenannte setzte sich in Bewegung.

„Jaaa...?“ rief ich misstrauisch. Was will der denn? Schickt Mael ihn jetzt etwa, um mit mir zu reden? What the...?  Er kam auf mich zu, doch ich schaffte es nicht, meinen Blick bei ihm zu behalten, meine Augen switchten die ganze Zeit zwischen Mael und ihm hin und her. Als er vor mir stehen geblieben war, schaute er mir in die Augen, klappte den Mund auf und stockte dann. Was kommt jetzt? Ich hatte echt keine Ahnung, was er mir mitteilen wollte.

„...Hallo“ 

Was soll das denn jetzt?

Fragend schaute ich ihn an. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, er wolle mir noch etwas Wichtiges sagen, doch er lief einfach weg. Ich drehte mich nach ihm um. „Äh..Hallo...“

..unnötig.

Die ganze Zeit über hatte Mael uns beobachtet. Natürlich hatte ich ihn nie direkt angeschaut, aber meinen Augenwinkeln und meinem Bauchgefühl entgeht nichts.

Und irgendwann kurz vor den Herbstferien, veränderte sich etwas. In letzter Zeit war ich ihm zunehmend aus dem Weg gegangen, hatte es vermieden, in den Pausen in der Nähe seiner Clique zu stehen, und oft absichtlich einen Schlenker an den Spinds vorbei gemacht, um ihm nicht direkt unter die Augen treten zu müssen.

Doch dieses Mal sah ich ihn zu spät.

Er trug seine schwarze New Era Cap mit dem hellgrünen Zeichen vorne drauf, passend zum hellgrünen T-Shirt und dem weissen Hoodie. Die Jeans hing ihm wieder mal verdammt tief in den Knien, was seinen ohnehin schon relativ seltsamen Gang nur noch komischer aussehen liess. Als hätte er Windeln an. Höhö. Unter tausenden hätte ich diesen Gang erkannt. Seine Füsse zeigten immer ein wenig nach aussen und er schien mit seinen Beinen ständig ein O zu formen. Dazu stopfte er seine Hosenbeine unten immer in die Socken – ja, über seinen Kleidungsstil konnte man sich streiten. Wie auch immer – irgendwie fand ich sogar das süss an ihm.

Jedenfalls stiess er gerade dann die grosse Glastür des Haupteingangs auf, als ich auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes aus dem anderen ‚Bunker’ rauskam. Jetzt konnte ich natürlich keinen Rückzieher mehr machen. Immer das Ziel im Auge behalten sagte ich mir selbst und behielt meinen Blick krampfhaft auf den Eingang des anderen Gebäudes unserer Irrenanstalt geheftet. Ich hätte schwören können, dass er mich die ganze Zeit über, als wir uns entgegenkamen, anstarrte. Sowas spürt man. Ich würdigte ihn keines Blickes, und  setzte dem ganzen noch einen obendrauf, indem ich einen leichten Bogen um ihn machte, als wir in der Mitte des Weges – es hätten sich keine 50 Zentimeter mehr zwischen uns befunden – eigentlich aneinander vorbeilaufen hätten müssen. Wir waren übrigens beide allein – das kam selten vor. Irgendwie fühlte es sich verdammt gut an, ihn zu ignorieren, und zu wissen, dass er mich anstarrte (und wahrscheinlich dachte, ich würde es nicht merken). Das mit dem Bogen war ihm hundertpro nicht entgangen. Ich verkniff mir ein Lächeln.

„Na siehst du! Die Taktik mit dem Ignorieren ist gar nicht so schlecht! Vielleicht merkt er einfach erst jetzt, dass er nicht so mit dir umgehen kann!“ Julia war total begeistert, als ich es ihr (stolz x) ) erzählte.

„Mhm, aber ich lass ihn ein bisschen schmoren, der wird erstmal noch ‚ne Weile nicht beachtet“ ich grinste sie an und hob verheissungsvoll eine Augenbraue.

Sein Ego und ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt