Kapitel 2: Gespräch über die Zukunft

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Ich betrachte kurz unser Haus. Es ist sehr groß, vielleicht sogar das größte Haus in Meridian, nach dem Palast des Sonnenkönigs natürlich. Man kann es von fast überall in Meridian sehen, wenn man nicht gerade in den kleinen, schmalen Gassen zwischen den Häusern herumläuft. Vor allem für gerade mal vier Personen, inklusive unserer beiden Hausmädchen, hat das Haus viel zu viele Zimmer. In ein paar war ich auch erst ein mal.
Wir sind eine der wohlhabendsten Familien Meridians. Das Vermögen kommt von früheren Generationen unserer Familie, welche genau weiß ich nicht.
Warum ich keine Geschwister habe, weiß ich auch nicht. Darüber habe ich mit meiner Mutter nie geredet. Mir ist natürlich klar, dass der Tod meines Vaters nicht eingeplant war, aber sie hätten ja auch schon früher Kinder haben können. Ich hätte wirklich gerne eine Schwester oder sogar einen Bruder, weil ich durch meine andere Art nicht wirklich viele Freunde habe.

Nachdem ich mir noch einmal überlegt habe, wie ich mit meiner Mutter möglichst schonend über das Thema, dass ich Meridian verlassen will, reden kann, nehme ich allen Mut zusammen und klopfe an der Tür.

Nach einem kurzen Moment öffnet eines der Hausmädchen, Varla, die Haustür. Sie ist 21 Jahre alt und ich hab mich mit ihr in den letzten Jahren sehr gut angefreundet. Dass sie für mich arbeitet, steht uns dabei keineswegs im Weg. Sie trägt wie immer ihre normale Arbeitskleidung: Ein kurzes, purpurrotes Kleid mit einer weißen Schürze.
"Hallo Reeve, hast du alles gefunden, was du brauchst?", begrüßt sie mich und schließt die Tür hinter mir.
"Ja habe ich, danke Varla. Und, wie geht es dir heute morgen?". Varla lächelt.
"Sehr gut, danke. Wunderschönes Wetter heute Morgen oder?".
"Auf jeden Fall. Weißt du zufällig, ob meine Mutter schon wach ist?", frage ich sie. "Ja, sie ist gerade eben aufgestanden und bereitet gerade das Frühstück in der Küche zu. Ich komme auch gleich hoch. Wartet nicht auf mich", sagt sie und zeigt die große Haupttreppe hoch, welche in das erste Obergeschoss führt.
"Vielen Dank". Sie dreht sich um und geht in ihr Zimmer neben der kleinen Treppe, welche in den Keller führt. Während ich Varla hinterher gucke, wird mir bewusst, dass ich mich von ihr auch noch verabschieden muss. Da ich mit ihr darüber schon häufiger geredet habe, wird sie sich bestimmt für mich freuen, aber natürlich auch traurig darüber sein, dass ich sie verlasse.

Ich gehe mit meinen Einkäufen die dunkel geflieste Haupttreppe hoch. Bei jedem Schritt sinken meine Füße leicht in den roten Teppich ein, mit dem die Stufen bedeckt sind, und meine Hand gleitet sanft über das glänzende, goldene Geländer. Oben angekommen rieche ich schon das Frühstück. Ich folge dem verführerischen Duft in die Küche, wo meine Mutter neben dem Feuer steht und Speck in einer Pfanne anbrät.
"Guten Morgen Mom, hast du gut geschlafen?", frage ich sie und stelle die Einkäufe neben sie auf den Tisch.
"Guten Morgen, Reeve. Sehr gut, danke. Wo warst du denn schon so früh am Morgen?".
"Ich habe Varla Bescheid gesagt und die Einkäufe übernommen. Ich musste mal raus. Und nebenbei habe ich zufällig noch einen Kampf vor den Toren gesehen", antworte ich und setze mich an einen kleinen Tisch in der Küche.
"Mal wieder eine Horde wild gewordener Läufer?", fragt sie mich, während sie den Speck aus der Pfanne auf einem großen Teller ausbreitet.
"Nein, diesmal waren es zwei Pirscher, warum auch immer sie so nahe an das Dorf kommen," erzähle ich ihr, während sie das frische Brot aus dem Beutel holt. Nach einer kurzen Stille nimmt meine Mutter drei unserer hellblauen Porzellanteller und drei Paar Besteck aus dem Küchenschrank. "Würdest du das bitte auf den Esstisch stellen?", fragt sie mich und drückt mir die Sachen in die Hand. Ich stehe auf und laufe zu dem großen Esstisch. Meine Mutter nimmt das fertige Frühstück und folgt mir. Wir stellen beide die Sachen an eine Ecke des Tisches und setzen uns. Wenn wir nicht gerade Gäste haben, benutzen wir nur vier der zehn vorhandenen Plätze. "Guten Appetit", sagen wir beide gleichzeitig und fangen an zu essen. Kurz darauf kommt auch Varla und setzt sich leise auf einen Stuhl neben mir, wo ich schon ihren Teller hingestellt habe.
"Guten Appetit," sagt sie und nimmt sich eine Portion von dem Ei und ein bisschen Speck. Ich habe beschlossen nach dem Frühstück mit meiner Mutter zu reden, wenn Varla nicht mehr dabei ist, weil ich genau weiß, dass jeder von beiden anders reagieren wird.

Als ich als letzte fertig gegessen habe, nimmt Varla die benutzen Teller und Besteck in die Hand und stellt sie in die Spüle.
"Mom? Ich müsste mal mit dir reden. Am besten irgendwo, wo wir alleine sind," spreche ich meine Mutter an.
"Oh ok. Ist irgendetwas schlimmes passiert?", fragt sie und guckt mich besorgt an.
"Bitte, folge mir erstmal", antworte ich und gehe die Wendeltreppe hoch in das Dachgeschoss, wo ich und meine Mutter unsere Zimmer haben. Ich öffne die Tür zu meinem Zimmer und gehe mit meiner Mutter hinein.
"Bitte, setz dich". Wir setzen uns nebeneinander auf mein Bett und ich atme noch einmal durch.

"Also, bitte hör erstmal zu, bevor du irgendetwas dazu sagst und bitte, sei nicht wütend", beginne ich zu reden. "Ich habe sehr lange über meine Zukunft nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, Meridian zu verlassen. Ich werde hier auf Dauer nicht glücklich und habe beschlossen, außerhalb von Meridian nach jemandem zu suchen, der mir eine gute Kampfausbildung bieten kann. Du weißt, dass ich schon immer anders war und nie die typische Adelige war und ich habe einfach keine Lust mehr mir einzureden, dass ich hier schon irgendwie glücklich werde. Aber das bin ich nicht und werde ich auch nie sein." Einen Moment lang guckte mich meine Mutter nur an. Nach einiger Zeit begannen Tränen ihre Wange runter zu laufe.
"Es tut mir wirklich leid, aber ich kann dich nicht verstehen. Guck dich doch um! Du hast alles was du in deinem Leben brauchst. Wir sind eine angesehene Familie, du hast hier deine Bekannten, deine Freunde und am wichtigsten... Mich. Denk doch mal nicht nur an dich. Ich habe schon deinen Vater verloren, bitte verlass mich jetzt nicht auch noch." Die Tränen laufen über ihr Gesicht und tropfen auf ihr Kleid. Ich habe auch angefangen zu weinen.
"Mom, es tut mir so leid. Ich kann dir gar nicht sagen wie leid es mir tut. Wirklich. Aber ich muss jetzt mal an mich denken. Bitte, lass mich nicht mit einem schlechten Gewissen gehen. Das sollen nicht die letzten Erinnerungen an dich sein. Ich komme ja irgendwann wieder, aber ich brauche erstmal Zeit außerhalb der Stadt".
Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm wird. Ich hatte erwartet, dass sie wütend ist, aber dass sie weint, oder dass sogar ich weine, habe ich nicht erwartet. "Ich bin nicht wütend, Reeve. Ich bin nur enttäuscht".
Das scheinen ihre letzten Worte an mich zu sein. Sie steht auf und geht aus meinem Zimmer, ohne nur noch einmal einen Blick auf mich zu werfen. Ich habe nicht gehofft, dass das so ausgeht. Ich hoffe sie denkt noch einmal drüber nach und redet noch einmal mit mir, wenn ich morgen früh Meridian verlasse. Mit so einem schlechten Gewissen will und kann ich sie nicht verlassen.

Carja Outlander - Horizon Zero Dawn FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt