10. Kapitel

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Am nächsten Tag ist meine Konzentration unten durch. Die letzte Nacht hat mich viel zu sehr aufgewühlt, es war einfach zu viel auf einmal.
Heute stehen die letzten Kämpfe an, bevor erstmals das Ranking bekannt gegeben wird und das hilft meinem Gemütszustand nicht wirklich. Ich werde gegen Myra kämpfen müssen, einem Mädchen von den Ken. Sie ist Edwards Freundin, dass hat Rebecca mir erklärt, jedoch ist sie nicht halb so gut wie er. Es muss schön sein, sich absolut keine Sorgen darüber machen zu müssen, ob man weiter kommt oder nicht. Edward wird definitiv an der Spitze des Rankings stehen. Ich hoffe wirklich, dass zusätzliche Training hat wenigstens so viel genützt, dass ich knapp weiter komme, dafür wäre ich schon dankbar. "Du siehst echt schlecht aus. Ist alles okay?" Ich habe Rebecca gar nicht bemerkt, die plötzlich neben mir steht. Ich blinzle sie ein paar Mal an. "Ja, alles gut." Dabei ist gar nichts gut. Nicht nur bin ich nervös wegen der Bewertungen, sondern Peters Verhalten mir gegenüber macht mich immer wieder stutzig und ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann oder was das alles überhaupt bedeutet. "Hey, die erste Runde ist fast überstanden, folgen noch zwei. Wie schwer kann das werden, he?" Was sie nicht sagt. "Dafür müssen wir erstmal die erste Runde überstehen, Rebecca." Sie verdreht nur die Augen. "Ach bitte, mach dir darum keine Sorgen."
Wenn es doch so einfach wäre.

Ich habe den Kampf tatsächlich gewonnen und meine Stimmung hat sich ein wenig gebessert. Beim Essen verdrücken wir gerade den leckersten Schokokuchen aller Zeiten. Auch an das Essen hier habe ich mich gewöhnt, es gefällt mir sogar. Ich erwische mich dabei, wie ich zu Peters Tisch hinüber sehe. Seit dem er mich geküsst hat, lässt er mich komplett in Ruhe, als gäbe es mich gar nicht. Zu meinem Überraschen sehen auch er und seine Minions leicht zerstreut aus. Aber  so geht es fast allen heute. Jeder hat nur seine Platzierung im Kopf und bangt darum, weiter zu kommen.

Als wir alle in den Schlafsaal kommen, steht dort eine kleine, unscheinbare Holztafel. Four steht plötzlich mit uns im Schlafsaal und stellt sich vor die Tafel. Ein Raunen geht durch die Runde, als uns langsam klar wird, wobei es sich bei der Tafel handelt.
"Okay, wir machens kurz", Four sieht uns scharf an. "Steht ihr drauf, seid ihr weiter. Wenn nicht, müsst ihr uns noch heute verlassen." Unsere Menge zappelt nervös und angespannt. Four fährt fort: "Außerdem ist hier eure Platzierung drauf. Diejenigen von euch, die weiter unten stehen sollten sich in Phase 2 besser mehr anstrengen." Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber ich meine, seine Augen auf mir zu spüren. Er beendet seine Rede mit diesen Worten und dreht die Tafel um, bevor er uns mit unseren Platzierungen alleine lässt. Er ist noch nicht ganz aus dem Schlafsaal gegangen, da bricht schon das Chaos aus. Alle drängeln sich nach vorne, um einen Blick zu erhaschen. Mir als Gartenzwerg bleibt nichts anderes übrig als zu warten, bis die Menge sich abgeregt hat. Schließlich schaffe ich es nach vorne und suche gierig nach meinem Namen- während ich gleichzeitig bange, dass er überhaupt im Ranking aufgeführt ist.

1. Edward
2. Peter

Na, das war ja klar.
Die weiteren Namen, habe ich vorher noch nie gehört.

5. Molly
6. Rebecca
7. Will
8. Christina
9. Liz

Ich atme vor Erleichterung aus und erst da fällt mir auf, dass ich die Luft angehalten habe.
Nach meinem Namen stehen noch ein paar andere, unter anderem Drew und Al.
"Das muss gefeiert werden!", verkündet Christina und wir lachen alle vor Erleichterung, die Anspannung verfliegt binnen Sekunden.

"Seid ihr sicher, dass wir es nicht übertreiben?", frage ich später in der Grube. Christina verdreht die Augen und setzt zu einem erneuten Schluck aus einer Glasflasche an. "Sei keine Stiff." Ich balle die Hände zu Fäusten und schnaube ein wenig verärgert. Ich weiß zwar, dass sie es nicht so meint, trotzdem kann man sich solche Kommentare sparen. Sie erwidert nichts, sondern reicht mir nur die Flasche. "Komm schon, morgen ist schließlich unser freier Tag."
Es stimmt, morgen ist der Besuchstag. Die Familien besuchen die Initianten und wir müssen nicht zum Training. Ich nehme einen Schluck und die herbe Flüssigkeit brennt etwas in meiner Kehle. Ich schlucke wortlos herunter, damit Christina nicht noch etwas sagen kann. Nachdem er einen Schluck genommen hat, fragt Will: "Kommen eure Familien morgen?" Ich sehe woanders hin. Ich will dieses Gespräch nicht führen. Also zucke ich nur mit den Schultern und lasse das Antwort genug sein. In der Tat habe ich bisher nicht viele Gedanken an mein altes Leben verschwendet, glücklicherweise lenkt mich die Initiation davon ab. Aber jetzt muss ich daran denken, was mein Vater sagen oder tun würde, würde er mich jetzt sehen. Tatoowiert und Alkohol trinkend.
Zu meinem eigenen Überraschen stelle ich fest, dass es mir egal wäre, was er denken würde.
"Ich glaube nicht", sagt Rebecca und sieht dabei enttäuscht aus. "Meine Mum arbeitet für Jeanine, sie wird keine Zeit haben." Sie tut mir wirklich leid. Anscheinend is Jeanine auch bei ihren eigenen Leuten nicht sehr gnädig. Ich wünschte, ich könnte jemanden finden, der sie besucht. Will und Christina sagen, dass sie hoffen, dass jemand für sie kommt. Al ist heute sehr still und sagt gar nichts, und niemand von uns drängt ihn dazu.

Al hat sich verabschiedet und wir anderen sind zum Tattoostudio gegangen, um uns weitere stechen zu lassen. Auf meinem gesamten Unterarm erstreckt sich nun ein verzierter Pfeil und ich könnte nicht zufriedener sein. Ich bin zufrieden mit mir. Vielleicht zum ersten Mal, in meinem Leben. Ich habe die erste Runde der Initiation geschafft, habe neue Freunde gefunden und einen Platz, an dem ich mich wohl fühle. Was kann jetzt noch kommen?

Ich habe keine Ahnung wie spät es ist, als mich ein Schrei aus dem Schlaf reißt, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Verträumt blinzle ich die Dunkelheit fort und als ich mich frage, ob ich nur schlecht geträumt habe, fährt mir der gequälte Schrei wieder durch Mark und Bein. Auch die anderen Initianten sind wach und sehen sich verwirrt um. Ein weiterer Test oder ein Spiel von den Trainern? Nein, das hier ist etwas anderes, ernster, das spüre ich. Es ist Rebecca, die entdeckt, woher der Schrei kommt und kurz darauf erschrocken zurück weicht. "Edward!", schreit sie, die Augen weit aufgerissen. Der Anblick ist furchtbar. Edward liegt in seinem Bett, Kopfkissen und Haare getränkt von seinem eigenen Blut. Er windet sich wie ein Wurm, während er seine Hände auf sein linkes Auge presst, aus dem ein Messer aus der Kantine ragt. Ich schaffe es nicht näher zu treten. Myra kreicht hysterisch seinen Namen, Rebecca kann ihre vor Panik geweitet Augen nicht von ihrem Kindheitsfreund abwenden. Einige tuscheln aufgeregt, andere schreien, alles in allem ist es das reinste Chaos- und mittendrin, der blutende Edward.
Ich merke kaum, dass das Licht an geht und einige ältere Ferox, unter ihnen Four, in den Schlafraum stapfen. Ich bekomme auch nur am Rand mit, wie sie Edward hinaus transportieren und keiner von uns wirklich weiß, was nun zu tun ist.
Aber was ich merke ist, dass zwei Personen fehlen.

Meinen Freunden habe ich gesagt, dass ich frische Luft brauche, obwohl ich in Wahrheit die verschachtelten Gänge nach Peter und Drew absuche. Ich habe keine Ahnung, was nun mit Edward passiert, doch weder seine Schreie, noch sein blutiger Anblick wollen aus meinem Kopf verschwinden.
In einigen Metern Entfernung lehnen die beiden Jungen an einer Mauer. Schon von weitem schreie ich: "Was stimmt nicht mit euch?!" Ich bin wütend. Verwirrt. Wie kann man so etwas unfassbar dummes, schreckliches tun?
Sie schauen nichtsahnend in meine Richtung. "Was meinst du, Stiff?", fragt Drew, als ich vor ihnen stehe. Ich starre ihn wütend an. "Ach, sei leise!", fahre ich in an und sehe zu Peter, dem meine Wut eigentlich gilt. Auf so eine Idee, wäre Drew allein nicht gekommen. "Rede nicht so mit ihm", sagt er gelassen, "das darf nur ich."
Überheblich sieht Drew mich an, aber ein Blick in seine Richtung genügt und er schaut lieber zu Boden. "Ihr beide seid doch wahnsinnig! Was hatte das ganze überhaupt auf sich, he? Und tut bloß nicht so, als wüsstest ihr nicht wovon ich spreche!" Peter verdreht die Augen. "Du solltest auf dein loses Mundwerk achten, Stiff. Sonst-"
"Was?", unterbreche ich, "stichst du mir das Auge mit einem Buttermesser aus?"
Ein leichtes Schmunzeln stiehlt sich auf seine Lippen. "Vielleicht."
"Du bist abscheulich, Peter Hayes. Glaub bloß nicht, dass ich weiterhin auf irgendeine deiner Maschen reinfalle!" Ich bohre meinen Zeigefinger förmlich in seine Brust. Drew sieht Peter interessiert an, doch dieser bellt nur: "Lass uns allein, Drew."
"Wohin soll ich denn-"
"Geh"
Die kleine, krumme Gestalt verschwindet im Dunklen. Als mir klar wird, dass ich nun allein mit Peter bin, jemandem, der gerade einen Jungen abgestochen hat, bemerke ich, dass ich keine Angst vor ihm habe.
Er seufzt. "Du hast keine Ahnung, was meine Gründe sind, also lass mich in Frieden, Stiff"
Was könnte eine logische Erklärung für so ein Verhalten sein?
"Oh bitte, ich brenne darauf, dass du es mir erklärst." Er schüttelt nur den Kopf. "Du bist abartig, Peter. Denk mal drüber nach. Du läufst rum, als wärst du der Größte, dabei bist du in Wahrheit nichts weiter als ein egoistischer Feigling."
Das Funkeln aus seinen Augen ist verschwunden, als er mich einfach nur ansieht. Doch er sagt nichts, ich habe einen Nerv getroffen.
Ich bin auf einmal unfassbar müde und will einfach nur diese Nacht hinter mich bringen. "Ich werde dich nicht verraten", füge ich noch hinzu, während ich schon den Rückweg antrete. "Wenn du doch kein Feigling bist, musst du dich selbst stellen."
Ich sehe nicht zurück, sehe sein Gesicht nicht mehr, als ich wieder zurück zum Schlafraum gehe, in dem es sich mittlerweile wieder beruhigt hat.
Ich habe keine Angst vor Peter Hayes.
Ich habe Angst, dass ich mein Herz an ihn verlieren werde.
Und dass mich nichts vom Fallen retten wird.

Hey Leute,
ich weiß, dass Kapitel hat auf sich warten lassen, es tut mir wirklich Leid! 🙈 Dafür ist es ein bisschen länger geworden! :) Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen, denn ich hatte sehr viel Spaß beim schreiben.

Und keine Sorge; Kapitel 11 wird nicht so lange auf sich warten lassen ;)

Lg, Jolene

P.S. Danke an alle von euch, die meine Geschichte lesen und dann auch noch für sie stimmen, ihr macht mich unglaublig glücklich mit eurer Unterstützung! :)

Insufficient (Die Bestimmung - Divergent / Peter FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt