9. Kapitel

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Ich finde keinen Schlaf, denn jemand weckt uns mitten in der Nacht. Es ist ein älterer Ferox mit roten Haaren. "In zwei Minuten an den Gleisen, beeilt euch!" Ein genervtes Stöhnen fährt durch die Gruppe, während alle beginnen, sich anzuziehen. Während ich mir meine Jacke überstreife, spüre ich ein Augenpaar auf mir, aber ich ignoriere seine Blicke.

Alle Initianten, Ferox und Fraktionswechsler, stehen zusammen gescharrt an den Gleisen und warten. Hinter ihnen sind Kisten gestapelt, auf denen etwas geschrieben steht, aber ich kann im Dunkeln nicht erkennen, was genau. Four und Eric sind auch da, aber sie reden nicht miteinander.
Als der Zug einfährt, machen sich alle bereit zum Aufspringen und instinktiv weiß jeder, was zu tun ist.
Eric erklärt uns, dass wir ein Spiel spielen werden, welches Tradition bei der Initiation ist. Es heißt Capture The Flag. Die beiden werden die Teamcaptains sein und wählen jetzt gleich nach und nach ihre Teams zusammen.
Ich, Rebecca und Christina sind in Fours Team, Al und Will in Erics, zusammen mit Peter und Molly. Drew allerdings ist bei uns. Eric lacht spöttisch: "Du legst es wohl drauf an zu verlieren, was?" Mein Bruder erwidert allerdings nichts dazu.
Rebecca lehnt sich zu mir und raunt: " Ich will ja nichts sagen, aber wieso sind die ganzen Starken unsere Gegner?" Da fällt es mir auch auf. Unsere Teammitglieder sind kleiner, demnach also unauffälliger, als Erics. Ein schlauer Schachzug.
Der Zug hält irgendwo im nirgendwo und die Teams teilen sich auf.
Wir hecken eine Strategie aus und haben auch schon ein gutes Versteck für unsere Flagge gefunden. Ein Mädchen namens Lynn, die ich erst für einen Jungen hielt, da sie eine Glatze hat, und Drew bewachen das Versteck. Der Rest von uns macht sich in zweier Teams auf, um die Flagge zu suchen. Ich gehe mit Rebecca. Alles ist seltsam ruhig, aber die Flagge finden wir erstmal nicht. Mir macht das Spiel Spaß, die Schießübungen beim Training machen mir zusammen mit dem Messerwerfen am meisten Freude und ich kann es auch ganz gut, Four hat mir einige Tricks gezeigt, die wirklich helfen.
Jemand stößt zu uns und legt die Arme um unsere Schultern. "Na, wie gehts?" Es ist Uriah.
Bitte nicht jetzt.
Rebeccas Miene verzieht sich und sie schiebt seinen Arm weg von ihr, ich kann mir ein Lachen einfach nicht verkneifen, auch wenn wir leise sein sollten. Wir begeben uns in ein schlammiges Areal, auf dem einige morsche Container stehen.
Mir fällt plötzlich ein, dass das hier irgendwann mal ein Freizeitpark gewesen sein muss. Darüber haben wir in Geschichte der Fraktionen gelesen.
"Da drüben!", ruft plötzlich jemand aus der Ferne und wir rennen los. Wir suchen Schutz zwischen den Containern, aber da hat sich das andere Team bereits versteckt und uns in den Hinterhalt geführt. Überall hört man Pistolenschüsse und Pfeile fliegen durch die Nacht. Im Zug hat Eric uns erklärt, dass diese Pfeile Neurostym Pfeile genannt werden und für ein paar Minuten den Schmerz einer echten Schusswaffe simulieren. Getroffen zu werden ist also keine Option.
"Rebecca!", rufe ich, "hier lang!" Wir rennen etwas weiter abseits der Container entlang und schießen so gut wir können. "Sollen wir uns aufteilen?", ruft Rebecca über den Lärm hinweg. Ich nicke. "Wir treffen uns auf der anderen Seite!" So teilen sich unsere Wege, sie rennt nach links, ich nach rechts.
Das Gemetzel ist auf den äußeren Seiten nicht so stark, weshalb uns keiner beachtet. Als ich Schüsse in meiner Nähe höre, drücke ich meinen Rücken gegen eine Containerwand und atme leise. Ich spähe, ob die Luft rein ist und laufe dann um die Ecke.
Dort wartet allerdings der Lauf einer Waffe auf mich. Ich bleibe stehen und starre die Waffe an. Es ist Peter, der auf mich zielt, aber nicht abdrückt. Ich zittere ein wenig, aber ich halte meine Waffe ebenfalls hoch. Er wirft einen schnellen Blick nach hinten, sieht mich an und drückt mich gegen die Containerwand.
Dann senkt er seine Waffe und
küsst mich.
Es ist kein flüchtiger Kuss, er ist leidenschaftlich und bringt mein Herz zum schlagen. Ich kann nicht rebellieren, ich bin machtlos, er macht mich schwach.
Der Kuss endet abrupt, als sich uns Stimmen nähern. Er sieht erst nach links, dann sieht er mich an. Wir sind beide vollkommen außer Atem und Hitze schießt mir in die Wangen. Keiner von uns beiden rührt sich, bis ich die Waffe auf ihn richte, ihm in die Schulter schieße und weg renne.

"Das hat aber gedauert. Wurdest du getroffen?" Rebeccas Gesicht ist gerötet und sie atmet flach. Ich schüttle nur den Kopf. "Nein, alles gut", lüge ich. Nichts ist gut. Ich kann keinen einzigen Gedanken beisammen halten, aber ich muss mich auf das Spiel konzentrieren.
Rebecca deutet auf einen nahegelegenen Leuchtturm. "Die Flagge muss da drin sein, Christina ist rein gerannt, um sie zu holen." Ich nicke. Ich freue mich zwar, dass wir gewinnen, aber ich hätte die Flagge auch gern gefunden.
Wenige Minuten später schwenkt Christina auch schon die Flagge und unser Team bricht in Jubelschreie aus.
So muss es sich anfühlen, eine Ferox zu sein.

Insufficient (Die Bestimmung - Divergent / Peter FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt