16. Kapitel

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Es ist neunzehn Uhr zweiundvierzig. Ich bin bereits ganz hibbelig und ernte dafür strafende Blicke von Rebecca, die mir die Haare bürstet und zurecht legt. Sie hat mir ein schlichtes schwarzes Kleid mit langen Ärmeln ausgesucht, dazu eine schwarze Strumpfhose und Ankle Boots. Sie hat intensiv mit mir geübt, halbwegs vernünftig auf hohen Schuhen zu laufen und ich glaube, ich kriege das zumindest für diesen einen Abend hin.
Das Kleid liegt eng an und ich fühle mich ein wenig unwohl, da ich sowas zuvor noch nie getragen habe. Ich habe auch immer noch keine Ahnung, wo es hingeht, was meine Aufregung nicht grade lindert. "Hör auf so zu zappeln!", befiehlt Rebecca streng, als sie mein Haar in glatten Bahnen über meine Schultern legt. "Was soll denn passieren, he? Mach dich nicht verrückt."
Ich seufze. "Alles könnte passieren! Was wenn ich mich blamiere? Stolpere?", leiser füge ich hinzu: "was wenn, das alles nur ein Scherz ist...?"
Ich kann quasi hören wie sie mit den Augen rollt. "Wie meinst du das denn?"
Ich beginne, mit meinem Haar zu spielen, ein nervösee Tick von mir. "Na ja, er war mir ja nie so gut gesonnen. Und aufeinmal ist er so nett und süß und perfekt, irgendwie kommt mir das falsch vor."
Sie ist nun etwas ruhiger, verständlicher. "Mach dir keine Sorgen. Zur Not muss ich ihn eben vermöbeln" Jetzt lachen wir beide und die Angespanntheit fällt von mir ab.
Ich frage mich, wo Peter überhaupt steckt. Nach unserem "Training" habe ich ihn nicht mehr gesehen. Was wenn er mich abserviert und gar nicht kommt?
"Fertig", verkündet Rebecca, die mich aus meinen Gedanken reißt. Sie dreht mich Richtung Spiegel und ich staune nicht schlecht. Rebecca ist wirklich talentiert, was Haare und Make - Up angeht. Ich erkenne mich fast kaum wieder. Ich kann gar nichts sagen, umarme sie nur und wispere ein "Danke".
Es ist acht Uhr.
Rebecca begleitet mich bis vor die Schlafraumtür und wartet mit mir. Nervös wippe ich hin und her. Und dann sehe ich ihn. Er sieht gut aus, obwohl er sich dafür ja sowieso nicht anstrengen muss. Er trägt Jeans und Hemd und sieht lässig aus, wie immer. Drew läuft neben ihm her und wirkt irgendwie fehl am Platz, wie ein Hund der seinem Herrchen hinterher läuft. Als Peter mich sieht, lächelt er, was mein Herz hüpfen lässt.
"Hi", sagt er.
"Hi", antworte ich. Und dann stehen wir so da und starren uns an.
"Sollen wir... los?", frage ich verlegen.
"Ja", sagt er, noch verlegener.
"Bring sie nicht zu spät zurück", ermahnt Rebecca. "Und lass deine Finger bei dir." Jap, ganz die Mama. Peter nimmts gelassen. Drew jedoch sagt: "Du glaubst, er würde auf dich hören?"
Rebecca zieht nur eine Augenbraue hoch. "Auf dich etwa, Karotte?"
Als wir uns von den beiden weg bewegen, können wir sie von weitem noch streiten hören. Die erste Zeit sagen wir nichts, sind beide nervös. Es beruhigt mich, dass es ihm geht wie mir. "Du siehst gut aus", sagt er schließlich und Hitze schießt mir in die Wangen. "Danke. Du siehst auch toll aus." Ich räuspere mich kurz. "Und wohin entführst du mich?" Er schmunzelt. Ich stelle fest, dass ich sein Schmunzeln liebe. "Na ja, ich dachte wir spazieren ein wenig hier rum und sehen, wohin es uns treibt. Ist das okay?"
Ich lächle. "Ja, das ist perfekt."
Dann bemerke ich, wie er meine Hand greift und sie drückt. Innerlich bricht ein Vulkan in mir aus, äußerlich lächle ich und versuche cool zu bleiben.

Die Zeit vergeht viel zu schnell und dennoch beginnt alles wacher und wacher zu werden. Viele Ferox laufen uns über den Weg, einige angetrunken, andere lachen und unterhalten sich laut. Das Mondlicht spiegelt sich im Wasser, als wir über die Brücke laufen und taucht alles in ein gedämpftes Licht.
„So", beginnt Peter und ich schaue in fragend an.
„Erzähl mir etwas über dich, Liz Eaton."
Ich schmunzle. „Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen. Ich bin bei den Altruan geboren, habe einen Bruder, bin 16 Jahre alt..."
„Nein", unterbricht er. „Nicht einfach irgendwelche Fakten. Erzähl mir, wer du bist."
„Dann stell' mir eine Frage.", lache ich, um ihn ein wenig auf die Probe zu stellen.
„Okay, wann ist dein Geburtstag?"
Und schon werde ich verlegen und schaue lieber aufs Wasser. „Ähm... ich weiss nicht."
Ich sehe zwar nicht hin, kann mir seinen Blick aber genau vorstellen.
„Wie, das weisst du nicht?"
Ein, vielleicht zwei Augenblicke verstreichen bis ich meine Worte wieder finde. „Bei den Altruan wird uns unser Geburtstag nicht gesagt, weil wir ihn nicht feiern", erkläre ich, „Wegen der Sache mit der Selbstlosigkeit." Mein Versuch lässig zu klingen scheitert ziemlich kläglich.
Peter hingegen sieht ernsthaft schockiert aus. „Ist das dein Ernst?"
Ein schüchternes Lächeln.
„Das ist ja mega scheiße. Das müssen wir ändern!" Meine Verlegenheit fällt schlagartig von mir ab und ich fange an zu lachen. „Wie willst du das bitte ändern?"
Er schweigt einen Moment. „Keine Ahnung. Aber das mache ich schon, keine Sorge."
Wenn ich ihn so ansehe, wird mir ganz warm und ich fühle mich einfach gut. Dieses Gefühl hab ich vorher noch nie gespürt.
Dennoch bin ich mir bewusst, dass ich die Person vor mir quasi überhaupt nicht kenne. „Ich bin dran, mit Fragen stellen." Er zieht belustigt eine Augenbraue nach oben. „Okay, ich spiele gern. Schieß los."
„Wann ist dein Geburtstag?"
Er lacht. „Wie kreativ du bist. Am 29. März."
„Okay, du bist dran."
„Hm...", macht er. „Wieso hast du dich für die Ferox entschieden?"
Mit dieser Frage habe ich nicht gerechnet. „Wow, das ist ein Unterschied zu ‚Wann ist dein Geburtstag'."
Er zuckt nur mit den Schultern und ich seufze. „Na ja, ich habe eigentlich immer gedacht, ich bleibe bei den Altruan und gehe in die Politik wie mein Vater, obwohl das nie das war, was ich wollte. Plötzlich war eben der Entscheidungstag da und ich hab einfach gehandelt ohne groß nachzudenken." Er hört interessiert zu und ich fahre fort: „Aber die Ferox haben mich schon immer fasziniert. Sie sind wirklich frei, weisst du? Ich war noch nie frei. Ich glaube, das habe ich mir einfach am allermeisten gewünscht."
Ein paar Sekunden verstreichen, während ich seine Reaktion abwarte. Ich habe vorher noch nie mit jemandem so wirklich darüber gesprochen.
Okay, es hat mich ja auch niemand danach gefragt.
Irgendwann zieht er einen Mundwinkel nach oben, packt mich an den Hüften und zieht mich zu sich.
„Ich bin froh, dass du nicht bei den Altruan geblieben bist"

Insufficient (Die Bestimmung - Divergent / Peter FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt