19. Kapitel

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Wir laufen zurück zu den anderen bis wir nach einiger Zeit am Abgrund vorbei kommen, der Abgrund, in dem fast jemand wegen Drew und zwei anderen ums Leben gekommen wäre.
Mir wird schlagartig etwas flau im Magen, als ich vor Peter den schmalen Pfad herlaufe.
Er war daran beteiligt.
„Ist alles okay?", fragt er als ich einen Blick die Schlucht hinunter werfe.
„Hast du von dem Überfall hier gehört?"
Ich kann sehen, wie er schluckt. „Was?"
„Drew war daran beteiligt. Du musst sicher etwas mitbekommen haben."
Eine lange Zeit sagt er nichts. Dann: „Drew sagt mir auch nicht alles."
Als ich lache, wirkt es irgendwie fehl am Platz. „Ihr hängt doch ständig zusammen. Er würde dir alles erzählen."
Etwas in seinem Blick verändert sich. „Du denkst, ich hätte was damit zu tun gehabt." Keine Frage, sondern eine Feststellung. „Sag mir, dass das nicht stimmt", bitte ich ihn. „Sag mir, dass ich mich irre."
Eine Weile sieht er mich nur an, ohne ein Wort zu sagen, bis er schließlich den Blick abwendet.
Ich nicke nur. Ich weiss nicht, mit welcher Antwort ich gerechnet habe. Ich wusste die Wahrheit eigentlich schon, trotzdem hätte ich mir gewünscht, es wäre nicht so.
„Hättest du nicht lügen können", flüstere ich. „Ich will dich nicht anlügen. Sonst fällt mir lügen viel zu leicht, aber bei dir nicht." Er macht einen Schritt auf mich zu, aber ich weiche zurück. „Hast du Angst vor mir?"
„Du bist unberechenbar", entgegne ich nur. Er lächelt traurig. „Ich bin kein guter Mensch", sagt er, „ich habe Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin und werde wahrscheinlich noch tausend weitere davon tun. Aber ich würde mir Mühe geben, weisst du? Und ich dachte, dass ich dir das grade deutlich gemacht habe."
Er fügt noch ein bitteres „Aber na gut." hinzu.
„Aber wieso?" Langsam gehe ich einen Schritt auf ihn zu. „Wieso tust du das dann alles? Wieso die Sache mit Edward, der Angriff, all die Streitereien in der Schule?"
„Das würdest du nicht verstehen."
„Verdammt, dann erklär's mir!"
Er atmet hörbar aus. „Ich kann mir keine Fehler leisten. Ich muss immer an der Spitze sein. Versagen akzeptiere ich schon lange nicht mehr und da war Edward einfach im Weg und das Feroxmädchen auch. Sie wären höher platziert als ich. Also wollte ich sie aus dem Weg räumen. Und du... ich weiß noch, als wir als Kinder befreundet waren. Aber irgendwann bist du zu diesem Vorzeige - Altruanmädchen herangewachsen, dass alle geliebt haben und ich wollte nicht in deinem Schatten stehen. Und später bist du trotz all der Gerüchte und Anschuldigungen mit erhobenem Kopf in die Schule gegangen und ich denke, damit konnte ich nicht umgehen. Ich wollte, dass du dich so klein fühlst, wie ich es immer musste und das tut mir unfassbar leid. Vielleicht tröstet es dich, dass ich dich auch schikaniert habe, um deine Aufmerksamkeit zu bekommen und um in deiner Nähe zu sein."
Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Das alles hatte ich nicht erwartet. Ich bringe kein Wort zustande.
Etwas leiser fügt er hinzu: „Ich bin ein schrecklicher Mensch. Und du hast wahrscheinlich was besseres verdient." Dann dreht er sich um, um zu gehen. Ich habe keine Ahnung, was mich reitet, ihn festzuhalten.
„Ich glaube, daran können wir arbeiten."

„Du bist also mit Peter Hayes in den Kontrollraum geschlichen."
Mit verschränkten Armen steht mein Bruder wenige Stunden später vor mir. Er hat mich mit in sein Appartment genommen, um ungestört mit mir zu reden. Oder besser gesagt, um mir ungestört eine Standpauke zu halten.
„Dachtest du wirklich, das kriegt niemand mit? Du kannst von Glück reden, dass ich im Kontrollraum arbeite und die Aufnahmen von euch löschen konnte!"
„Wir haben doch überhaupt nichts schlimmes gemacht, es war harmlos", kontere ich.
Tobias zieht eine Augenbraue hoch. „Was ihr gemacht oder nicht gemacht habt ist doch völlig egal! Ist seid dort eingebrochen, Elizabeth! Ihr könnt beide von Glück reden, dass ihr nicht rausgeworfen werdet. Was wolltet ihr denn überhaupt da?"
Ein wenig kleinlaut gebe ich zu: „Ich wollte nur wissen, wann ich Geburtstag habe..."
Seine kantigen Züge werden weicher. „Lizzy..." Kopfschüttelnd fast er mich an den Armen. „Sei einfach demnächst vorsichtiger, okay? Oder frag einfach mich." Ich nicke und er nimmt mich in den Arm. „Und halt dich von ihm fern." Keine Bitte, sondern eine Anordnung. Ich löse mich aus der Umarmung. „Er ist nicht so, wie man zuerst denkt, Toby."
„Er ist gefährlich und ein schlechter Einfluss."
Ich versuche, ihn zu besänftigen: „Das denkt man vielleicht erst, aber-"
„Ich habe das ganze Überwachungsvideo gesehen, Liz." Mein Gesicht nimmt die Farbe einer Tomate an. „Tobias, ich bin nicht dumm. Ich passe auf mich auf."
„Wegen dir mache ich mir keine Sorgen, sondern wegen ihm. Er benutzt die Leute um sich herum nur. Hast du mal gesehen, wie er seine Freunde behandelt? Warum sollte er denn bei dir eine Außnahme machen?" Seine Worte treffen mich härter, als beabsichtigt und er scheint es sofort zu bemerken: „Lizzy, so meinte ich das doch nicht-."
„Und du kannst nicht einfach zwei Jahre lang ohne ein Wort verschwinden und jetzt einen auf besorgten Bruder machen, denn die Chance hast du verspielt!", keife ich und stürme aus dem Appartement, wo ich direkt in Peter hineinlaufe.
„Oh", bringe ich hervor, „entschuldige. Ich hab dich nicht gesehen."
„Schon gut", sein Blick wandert zu der Tür, aus der ich grad gerannt kam. Sein Blick verdüstert sich. „Fours Wohnung, he."
Ein Moment oder zwei verstreichen. „Ja, ich- Nein, warte, so wie du denkst ist das wirklich nicht."
„Kein Wunder, dass du in letzter Zeit so gut bist. Er will ja ziemlich oft mit dir sprechen."
„Warte, was? Peter, das denkst du doch nicht wirklich." Man kann förmlich spüren, wie seine Stimmung umschlägt. Wie soll ich ihm das nur erklären, ohne Tobias zu verraten?
Peter war ehrlich zu mir, also muss ich wohl ehrlich zu ihm sein. Rebecca weiss es schließlich auch. „Bitte komm runter und lass mich erklären, bevor du etwas dummes tust."
Verächtlich schnaubt er. „Ich höre."
Also erzähle ich ihm alles, dass Four eigentlich mein Bruder ist und sich hier ein neues Leben mit neuem Namen aufgebaut hat. Und auch, dass er uns beiden aus der Patsche geholfen hat. Ich verschweige allerdings Tobias' Warnung vor Peter.
Verlegen fährt er sich durchs Haar. „Tut mir leid", murmelt er, „ich weiss eigentlich, dass du so nicht bist. Tut mir leid."
„Nur bitte erzähl es keinem."
„Versprochen", sagt er

Insufficient (Die Bestimmung - Divergent / Peter FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt