Äusserst Verdächtig

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Ehe ich mich versehe, wirft Jaehyun mich auf den harten Asphalt, die Ellbogen links und rechts von mir gestemmt. Sein hektischer Atem peitscht in mein Gesicht wie ein wilder Herbstwind.

Luftzug rauscht kräftig an uns vorbei, zerrt an uns. Ich sehe mit an wie ein Feuerball sich aus einer dunklen Rauchwolke erhebt, aufsteigt wie die Sonne. Er verschlingt ein Teil des Krankenhauses. Es fällt in sich zusammen, als ob es Pappe wäre. Es erscheint mir unwirklich, als könnte all dies niemals der Realität entsprechen.

Ein heftiger Tinnitus erschüttert meine Trommelfelle, zerreißt meine Gedanken. Es ist so laut, so zerstörerisch. Leidlich kneife ich die Augen zusammen, doch öffne sie sogleich wieder als Jaehyun an meinen Schultern rüttelt.

Mir expensiv etwas zuschreiend – was nicht ansatzweise durch den Tinnitus zu mir dringt – streckt er seinen Finger in eine Richtung aus. Das Krankenhaus steht noch, lediglich ein Teil ist ausgebrannt und Feuer frisst sich durch die Mauerungen. Allerdings macht Jaehyun auf etwas Anderes aufmerksam. Ein Mann rennt auf uns zu. Sein Mund ist schreiend aufgerissen und der weiß Arztkittel flattert um seine Beine. Hinter ihm humpelt eine Frau her, das Gesicht seltsam verzogen, sodass sie ihre Zähne offenbart. Ihr Bein wird von einem Gips umschlossen, weswegen sie humpelt. Doch sie humpelt viel zu schnell. Wie ein wildes Tier stürzt sie sich auf den Arzt. Ihre Finger krallen sich in seinen Arm. Blut durchtränkt den Kittel. Der Mann streckt flehend seine Hand nach uns aus, ruft bitterlich nach Hilfe. Doch ich kann mich nicht bewegen, ich bin wie gelähmt. Der Schock sitzt in meinen Knochen, die Wirklichkeit hat mich mit dem Asphalt zusammengeschmolzen. Ich kann nicht anders als zu starren. Den Mann anzustarren und zuzusehen, wie die Frau die Zähne in sein Fleisch bohrt, so tief.

Mein Tinnitus verschluckt den schmerzlichen Schrei, doch meine Augen erfassen wie seine Pupillen sich in die Höhlen drehen. Vor Schmerz rinnt ihm Speichel über den Kiefer. Die Frau beißt zu, beißt, beißt und beißt. Rote Wolken malen sich auf den grauen Asphalt und das Leben erlischt in den Augen des Mannes. Während ich nur dasitze.

Die Frau sieht auf, ihre dunklen, besessenen Augen fixieren mich. Knurrend entblößt sie ihre Zähne. Sie sind rotbefleckt, verschmiert mit Blut, so wie ihre Hände. So wie ihr Gesicht. Ihre Augen werden von einem unmenschlichen Verlangen heimgesucht, einer Gier.

Ich atme tief ein, versuche dieses Gefühl des Erstickens zu beseitigen. Doch da ist nur dieses heiße Stechen in meiner Brust und die schwarzen Punkte vor meinen Augen.

Ich kann mich nicht bewegen, rast es mir durch den Schädel, explodiert in ihm und raubt mir jeglichen Verstand.

Dieser Unmensch krabbelt auf mich zu, auf Händen und Knien. Schürfungen bilden sich auf ihrer Haut, noch mehr Blut ziert den Asphalt. Hinter ihr stürmen weitere dieser Monster aus dem Krankenhaus. Ihre Lippen werden von einem Grinsen umspielt, all die lustvollen Augenpaare richten sich auf mich. Sie gieren nach frischem Fleisch und warmem Blut.

Ich blicke ihnen entgegen und kann es nicht wahrhaben, kann all dies nicht wahrhaben.

Finger tanzen über meinen Körper, Hände ergreifen mich und ziehen mich rasch auf die Füße. Jaehyun umklammert mein Handgelenk, wirft den Unmenschen einen furchtvollen Blick zu. Ich bleibe taub, fühle nichts.

„Das ist nicht gut, definitiv nicht gut", bricht es panisch aus ihm heraus, „Wir müssen schnell hier weg." Er setzt sich hektisch in Bewegung, ich stolpere ihm betreten hinterher. Doch halte abrupt an. Eine Hand umschließt mein Knöchel, Fingernägel bohren sich tief in meine Haut. Unwillkürlich schreie ich schmerzvoll auf. Glühende Flüssigkeit rinnt meinen Fuß hinunter und nun erwache ich aus der Trance. Ich fühle es brennend in einem schnellen Puls und empfinde es kochend in meinen Adern – Die grausame Furcht, wie sie mir ihre Hände um den Hals legt, mir ihre Daumen in die Drosselgrube drückt.

Purple ExplosionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt