NINE

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Während wir zu Harry nach Hause fahren, verläuft die Fahrt ganz still. Kein Lächeln, kein Kuss, kein Ich liebe dich. Nichts. Es ist nicht gerade unauffällig, dass etwas nicht stimmt. Ich kenne ihn so gar nicht. Eine Vorahnung hab ich schon, von dem was er 'besprechen' will. Ich weiß, ich bin eine echt schlechte Freundin in den letzten Wochen gewesen...

"Lizz, was ist los?" Mit rauer, etwas gekränkter Stimme leitet er die Diskussion, als wir in seinem Zimmer ankommen, ein.

"Okay. Dann mal die ganze Geschichte..." Ich beginne die ganzen letzten Wochen in ein paar Sätze zu fassen. Ich erzähle ihm von dem Streit mit meiner Mutter, wie sie mir mein Handy und meinen Laptop abgenommen hat, wie scheiße die ganze Situation ist und wie sehr ich jeden Tag gehofft habe, dass ich ihn sehen kann und ihm alles erklären kann. Ich erzähle alles. Bis ins kleinste Detail. Nur eine Sache lass ich weg. Die Narben an meinem Arm. Ich kann ihm das nicht erzählen. Nein. Er würde mich sofort zu irgendwelchen Ärzten und Psychologen schicken. Das würde alles noch viel schlimmer machen.  Wahrscheinlich würde er so eine Psycho-Tussi gar nicht mehr als Freundin haben wollen und sofort Schluss machen. Wer will schon jemanden als Partner, der nicht mal ein paar täglichen Auseinandersetzungen mit seinen Eltern gewachsen ist und meint sich jeden Tag aufs neue selber verletzen zu müssen? Richtig Niemand. Außerdem würde es dann jeder wissen. Als erstes meine Eltern, dann Harrys Familie, dann unsere Freunde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit verplappert sich dann noch jemand und am Ende weiß es die ganze Schule. Da kann ich mich ja gleich erschießen.

Ohne irgendein Wort auf meine 'Story' zu sagen, schließt er mich fest in den Arm. Eine Weile bleiben wir so. Niemand rührt sich von der Stelle. Wie ich das vermisst habe. Seine Nähe zu spüren, ihn zu spüren. 

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"Ich hol' dich am Freitag nach der Schule wieder ab ok?", grinst er als wir an der Bushaltestelle stehen, wo meine Bus gleich ankommen sollte, der mich wieder nach Hause - bzw. in die Hölle - bringt.

"Ich kanns jetzt schon kaum erwarten.", lächle ich zustimmend zurück. 

"Bleib stark. Lass dir zu Hause einfach nichts gefallen. Wenn was ist, dann komm zu mir. Du schaffst das schon." Noch einmal drückt er meinen Kopf fest auf seinen starken Oberkörper. "Bist doch mein Mädchen" flüstert er noch und gibt mir einen kleinen Kuss auf meinen Scheitel. Er ist der beste Freund den man sich vorstellen kann.

"Harry, der Bus kommt." stöhne ich nicht gerade erfreut auf. 

"Ich liebe dich, Schatz." flüstert er noch bevor er mir einen letzten Kuss auf meine Lippen drückt. 

"Ich dich auch Harold", grinse ich nach dem Kuss.

"Bis Freitag.", verabschiedet er sich mit einem gespielt genervten Blick, wegen dem 'Harold'. Lacht dann aber auf, so dass ich seine Grübchen nochmal kurz sehen kann.

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Zurück in der Hölle - wie ich mein Zuhause die letzten Woche gerne nenne - gibt es gleich nach betreten des Hauses die nächste Diskussion. Im Grunde ist es die selbe Moralpredigt, wie immer. Nur die Satzstellung ist ein paar mal verändert. Letztendlich läuft es darauf hinaus, dass sie mich von jetzt an nicht mehr als ihre Tochter ansieht sondern nur noch als pubertierender Teenager, der komischer Weise hier auch wohnt. So sitze ich wieder in meinem Zimmer mit einer kleinen Klinge in meiner Hand, die ich gleich nach dem Betreten meines Zimmers aus einer kleinen Schublade in meinem Schreibtisch aus ihrem Versteck gekramt habe. Wenn Harry das erfahren würde, würde er mich wahrscheinlich noch mehr dafür hassen, wie meine Mutter mich dafür hasst, dass ich wieder zu spät nach Hause gekommen bin und einen glücklichen Tag hatte. Das ist schon wirklich nicht schön, wenn man selber nur zu Hause sitzt und keine Hobbies hat und dann den hier-auch-wohnenden Teenager sieht, der mal einen schönen Tag verbringen konnte. Wie auch immer. Ich bin ja nicht mehr ihre Tochter, also sollte es ihr ja eigentlich egal sein, was dann der fremde Teenie in seiner Freizeit macht. Sie wiederspricht sich also selber. Da soll mal einer die Mütter verstehen.

Wie schnell sich ein Leben doch einfach so um 180 Grad drehen kann. Ich bin psychisch mittlerweile so weit unten angelangt. Jeder der in mich reinschauen könnte, würde mich wahrscheinlich augenblicklich in eine Nerven-Klinik einweisen. Wie lange kann ich alles noch unterdrücken und verstecken? Vorallem vor Harry. Die äußerlichen Anzeichen zeigen sich schon zu deutlich, um es noch lange Zeit für mich zu behalten. Er hat diesen Anblick von meinem zerstörten und mittlerweile auch schwachen Körper nicht verdient. Die Klamotten, die ich vor Wochen noch perfekt passend tragen konnte, hängen nur noch wie ein Kartoffelsack an mir herunter. Ich weiß selber, wie schlecht die ganze Situation meines Lebens im Moment für mich ist. Ich weiß, das mein Leben mich innerlich kaputt macht. Ich weiß, dass ich irgendwie alles wieder in den Griff kriegen muss. Mich in den Griff kriegen muss. Ja, das Verhältnis zu meiner Mutter war schon lange nicht mehr so, wie man sich ein schönes Mutter-Tochter-Verhältnis vorstellt. In den Jahren, in denen ich mich zu einem eher selbstständigen und selbstbewussten Mädchen entwickelt habe, bröckelte das Verhältnis durch kleine, unbedeutende Streitereien immer mehr und mehr. Aus der wundervollen, nahezu perfekten Mutter-Tochter-Liebe war nur noch ein kleiner Haufen auseinander gebröckelter Steine. Ohne Glanz - Ohne Liebe. Keine Ahnung wieso es nicht mehr mit uns beiden klappt. Wir entwickelten uns beide in verschiedene Richtungen. Die eine wollte die liebevolle, aber auch regeln-durchsetzende Mutter werden, deren Kind ihr zwar alles bedeutet (oder bedeutet hat) aber sie trotzdem mit wichtigen Regeln im Leben großziehen wollte. Die andere hingegen wollte das selbstständige, große, starke Mädchen werden, die schon früh selbst über ihr Leben entscheiden wollte, die schon früh selbstständig sein wollte. 

Wie es scheint sind beide Entwicklungen gescheitert. Die eine ist zur lieblosen, kalten Mutter geworden, die ihrem - mittlerweile halb-erwachsenem - Kind die Freiheiten im  Jugend-Leben zu nehmen versucht. 

Bei der anderen schien es zu Beginn ganz gut geklappt zu haben, wurde aber auf halber Strecke zur erwachsenen Frau von einigen Dingen zu stark abgebremst, so dass nur noch ein kleiner, schwacher, mit Narben geziehrter Körper und eine kaputte Seele von ihr übrig ist.

Ein lautes Klopfen an meiner Tür reißt mich aus meinen Gedanken. Schnelle springe ich auf, suche mir eine Jacke die ich schnell überziehen kann und verstecke die kleine Klinge wieder in der Schublade am Schreibtisch. 

"Kann ich mal kurz reinkommen, Lizz?", höre ich eine vertraute, männliche Stimme von außen. Daddy. Wie lange war er jetzt weg? Zwei Wochen? Drei Wochen? Ich hasse es wenn er auf Geschäftsreisen ist. Mit ihm komme ich noch besser klar, als mit meiner Mutter. Er versteht mich und meine Bedürfnisse besser. Keine Ahnung wieso. Ich bin eben ein Papa-Kind.

"Moment!" Ich werfe mir meine dunkelgrüne Stoffjacke über und lege mich wie für ihn gewohnt in mein Bett, um möglichst wenig Veränderung an mir zu zeigen.

"Kannst rein kommen", rufe ich mit einer freundlich aufgesetzten Stimme. 

Mit einem kleinen, aber besorgen Lächeln betritt mein Dad den Raum.

"Wir müssen mal reden, oder?" 

"Was gibts?", frage ich aufgeschlossen ohne mir etwas von all den letzten Diskussionen mit meiner Mom was anmerken zu lassen.

"Es geht um die gesamte Situation hier zu Hause. Muss ich, wenn ich unterwegs bin, wirklich schon Angst haben, dass ihr beide euch irgendwas um die Ohren haut? Merkst du nicht wie unsere Familie langsam zerbricht. Jeder macht nur noch sein Ding, das was er für richtig hält. Wie soll das denn noch weitergehen? Bis wir uns gegenseitig alle verkloppen? Bis zu Harry ziehst? Mit deinen 16 Jahren? Lizz du weißt, dass ich deine Mutter und vorallem DICH mein Schatz über alles auf der Welt liebe, aber wenn das so weiter geht, dann bin ich der, der geht..."

The Diary Of Us || harry stylesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt