Meine Gedanken

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Es dauert ungefähr eine halbe Stunde, bis ich mich wieder im Griff habe und dann nur noch ein paar Sekunden, bis die Wut wieder in mir ausbricht. Die Wut darüber, dass ich mich so habe gehen lassen. Dass sie sich immer noch in meinem Leben befindet. Und dass ich sie einfach nicht vergessen kann.
Es ist vielleicht nicht das klügste was ich tun könnte und vielleicht werde ich es danach bereuen, aber als Tom kurze Zeit später sachte an die Tür klopft, reiße ich sie auf, ziehe ihn an mich und tue genau das, wonach er mich 30 Minuten zuvor gebeten hatte. Ich kann spüren dass er verwirrt ist, aber ich gebe ihm keine Chance nachzufragen. Die blinde Wut leitet mich, übernimmt die Kontrolle und ebbt erst wieder ab, als Tom sich angezogen hat und mit einem letzten Abschiedskuss aus der Wohnung verschwunden ist. Zu seiner Schwester.
Auch ich suche mir ein paar Klamotten und verlasse das Schlafzimmer, gehe nachdenklich zu Toms Couch und setze mich dort im Schneidersitz hin.
Es verwirrt mich selbst, wie sehr meine Stimmung innerhalb der letzten 24 Stunden kippt und wie stark die Wut war, die mich plötzlich überkam. Und weswegen.
Nachdenklich spiele ich mit den Fransen der Decke, die ich mir über die Beine gelegt habe und versuche meine Gedanken zu ordnen.
Die Mädchen in der Bar.
Es kann fast nur deswegen sein. Denn solche Ausbrüche und Heulkrämpfe wie gerade eben, sind in den letzten Jahren immer seltener geworden. Besonders seit ich mit Tom zusammen bin, scheinen sie fast verschwunden zu sein und ich führe eine glückliche und liebevolle Beziehung mit ihm.
Aber wie glücklich?
Eine Frage, die ich mir schon länger stelle. Ich weiß, dass ich Toms Anwesenheit genieße, seine Zuwendung und seine Liebe und ich würde mich selbst auch wirklich als glücklich und zufrieden beschreiben, wenn...ja wenn nur nicht diese Tiefs immer wieder zurückkommen würden. Denn wenn ich in eines dieser Löcher gefallen bin, beginne ich wieder von ihr zu träumen, habe Flashbacks und in mir fühlt sich alles vollkommen zerrissen an. Das einzige was ich dann will, ist sie zurück. Und ich glaube nicht, dass das normal ist wenn man bereits 4 Jahre getrennt ist und ein Jahr davon in einer neuen Beziehung. Einer ansonsten recht guten Beziehung, auch wenn ich oft das Prickeln und das Feuer darin vermisse. Aber vielleicht liegt es daran, dass Tom und ich beide älter geworden sind. Er ist 32, ich gerade noch 29. Vielleicht ist es nur die erste große Liebe, die so leidenschaftlich ist.
"Du musst endlich damit abschließen."
Diesen Satz habe ich mir in den letzten vier Jahren bereits tausendmal gesagt, aber diesmal begreife ich auch die Dringlichkeit dahinter. Ich darf nicht mehr in so ein Loch fallen. Und ich muss es endlich schaffen mich vollkommen auf meine jetzige Beziehung zu konzentrieren. Nach vorne zu schauen und das Leben zu genießen. Meine Ex wird immer ein Teil von mir bleiben, aber unsere Beziehung ist Vergangenheit. Und die Vergangenheit sollte ruhen. Auch wenn ich mich gerne für meine Worte damals bei ihr entschuldigt hätte. Die Worte, die unsere Beziehung zerstört haben und mit denen ich A- sie damals so verletzt habe.
Ich seufze. Selbst den Namen zu denken tut immer noch weh. Zwar nicht so schlimm wie in einem Tief, wo ich vor Sehnsucht förmlich zerbreche, aber auch jetzt schmerzt der Gedanke immer noch. Aber ich hätte es ahnen sollen. Schon bei unserer ersten Trennung habe ich es vor Kummer kaum ausgehalten und auch vor knapp vier Jahren bin ich förmlich durch die Hölle gegangen. Und selbst jetzt stehe ich immer noch mit einen Bein darin, stecke dort fest. Ich weiß nicht, wie ich mich befreien soll. Und ob ich überhaupt genug Willensstärke habe, mich zu befreien.
Denn gegen alle Vernunft sind die Erinnerungen an all das was war und die damit verbundenen Träume und Flashbacks alles, was mir von ihr noch geblieben ist. Ich habe sie seit vier Jahren nicht mehr gesehen, habe keine Ahnung wo sie wohnt oder was sie macht. Alle Verbindungen sind gekappt und ihre Nummer gelöscht. Ich habe wirklich versucht sie zu vergessen, aber es war hart. Sehr hart. Ich arbeite immer noch daran.
Meine Gedanken kreisen noch lange um dieses Thema, bis Tom am späten Nachmittag wieder nachhause kommt.
"Hi, Schatz, alles wieder gut? Du siehst besser aus."
Ich gehe zu ihm und küsse ihn sanft, er schenkt mir in eine kurze Umarmung.
"Ja, ich habe nachgedacht. Und ich glaube, ich bin jetzt auf einem guten Weg, diese Phasen endgültig hinter mir zu lassen", antworte ich und lächle.
Tom hebt die Augenbraue.
"Das war also eine dieser berüchtigten Phasen. Die erste, die ich miterlebt habe, oder?"
Ich nicke.
"Und hoffentlich wird es auch nie wieder eine geben."
"Das wäre schön", er lächelt und holt schließlich ein Blatt Papier aus seiner Hosentasche.
"Was ist das?", frage ich verwundert, doch er schüttelt nur den Kopf.
"Mach auf und lies es!"
Ich folge seiner Anweisung, während er sich auf das Sofa fallen lässt.
"Oh, deine Schwester hat Geburtstag? Wusste ich gar nicht", sage ich verwundert, nachdem ich die Zeilen kurz überflogen habe. Eine Einladung.
"Es ist nichts großes. Wir treffen uns in drei Tagen abends in einer Bar und gehen was trinken. Aber lustig ist das jedes Mal."
"Ja, das steht auch hier drin. Gut, dann wissen wir ja was wir in drei Tagen machen."
Wir lächeln uns an. Dann schaltet Tom den Fernseher ein und ich setze mich neben ihn, kuschle mich an ihn. Vielleicht ist der Geburtstag seiner Schwester ja genau das, was ich brauche, um von dem ganzen Trip wieder runter zu kommen. Um wieder neue Kraft zu tanken und endlich in die Zukunft zu schauen.

With you everything changed-againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt