Ich konnte keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen. Mein Gehirn nahm nichts auf, nichts wahr. Tränen flossen über meine Wangen, sie schienen nie wieder aufzuhören. Meine Unterlippe zitterte, ich spürte den eisernen Geschmack auf meiner Zunge.
Meine Finger glitten über die Tastatur, schlugen Buchstaben hinein.
Ich wollte ihn anschreien, zur Rechenschaft ziehen.
Mein Gegenüber war ein Mörder.
Bevor ich mich dazu entschied, die Mail abzusenden, klappte ich meinen Laptop zu. Ich musste raus. Weg von hier, von der Stadt, von all den kranken Leuten .
Wie in Trance stürzte ich die Treppen hinunter, öffnete die Tür und hielt kurz Inne, als mich die warme Nachtluft umhüllte. Meine nackten Füße krallten sich in den Beton.
Vor mir Schwärze. Schwärze die alles zu verschlingen schien, sie wirkte gefährlich und einschüchternd, aber dennoch hatte sie etwas anziehendes. Ich begann zu laufen.
Meine Kondition war in den letzten Wochen nicht unbedingt in der Aufbauphase gewesen und dies schien sich nun zu rächen.
Ich lief an der Bushaltestelle vorbei, dem Friedhof, an all den Bäumen und Wäldern, die am Tag so wunderschön aussahen.
Bis ich mit schmerzender Brust zusammensackte. Meine Knie knallten auf den Schotterweg, meine Haare verklebten.
Das Stechen in mir wurde immer stärker, meine Kleidung durchgeschwitzt.
Lass mich doch endlich aufwachen, endlich gehen. Zerstör diese Blase, ich bitte dich.
Mein Mund ausgetrocknet, ich konnte nicht schreien, nichts sagen. Das Weinen schien nicht mehr aufzuhören, ich wollte nicht aufhören.
Viel zu lange, hatte ich all das zurückgehalten, viel zu lange hatte ich nichts gesagt.
Das Rauschen des Wassers vor mir unter der Brücke, durchschnitt die sonst so ruhige Nacht. Es schrie mit mir.
"Jasmin". Mein Name. Wer sagte meinen Namen? Woher kannte er meinen Namen? Wollte er mich auch töten? Würde ich ihr sofort ins Grab folgen?
Ich drehte mich um, schlug mit meinen Händen um mich. Er packte meine Hände, hielt sie fest, ich konnte nichts tun. Meine Schreie wurde immer lauter in mir. Hilflos.
"Jasmin, kannst du mich hören?". So musste sich meine Schwester gefühlt haben. Ohne irgendwelche Hilfe, mit dem Wissen zu sterben und sie konnte nichts dagegen tun.
"Ich bin es. Samuel". Stille. Mein Körper realisierte den Namen, der sich anhörte, als würde ihn ganz weit weg irgendjemand flüstern. Es drehte sich alles, ein bekanntes Gesicht blickte mich an. Mein Sichtfeld war verschwommen. Arme schlossen sich um meinen Körper, ich wurde immer ruhiger.
Wie hatte er mich gefunden?
"Samuel. Ich hatte keine Ahnung, entschuldige", murmelte ich gepresst, meine Tränen und das Blut wischte ich mir zur Seite. Ich löste mich aus seiner Umarmung und versuchte so gut es ging, aufzustehen. Er durfte mich so nicht sehen, niemand durfte mich so sehen. Eleanor hätte das nicht gewollt. Sie war eine Kämpferin, schon immer gewesen.
Weil wir Zwillinge waren, wurden wir zu früh geboren. Unsere Mutter hatte die Wehen viel zu früh bekommen. Wir waren winzig gewesen. Ich konnte mich nur zu gut an die Fußabdrücke im Familienalbum von Eleanor und mir erinnern, die genauso gut einer Puppe gehören konnten. Bei der Geburt lief alles geplant, wir waren Frühgeburten, aber nicht tragisch. Doch zwei Tage später veränderte sich die Lage. Mama hat immer mit Tränen in den Augen davon erzählt und uns ganz Stolz dabei angelächelt und betont, wie stark wir doch gewesen waren.
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Aeternum
Teen Fiction"Der Tod ist eine von vielen Ewigkeiten, die man kaum ertragen kann. Das Sterben ist nicht so grässlich, wie das Vakuum in dem du dich befindest, nachdem eine Person von dir gegangen ist." Er war von ihrer Schönheit überrumpelt und es tat ihm so ung...