24.September

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Wann habe ich wieder einmal die Ehre?

Bist du jetzt doch nicht mehr so begeistert von mir?

Ich kann es dir beim besten Willen nicht verübeln. Wer möchte denn schon Smalltalk mit einem Mörder führen.

Wow. Ich bezeichne mich eigentlich nicht gerne als solch einer.

Bitte melde dich doch.

Wir können uns gegenseitig helfen.

Als ich das Chatportal öffnete, schienen sofort die unzähligen Nachrichten von meinem anonymen Gesprächspartner auf.

Benutzer2510.

Fast schon hatte ich vergessen, dass er existiert hatte. Fast schon hätte ich ihn verdrängt.

Aber die größten Dämonen fanden es bekanntlich am angenehmsten zu unmenschlichen Zeiten in deinem Kopf herum zu spuken.

Ich bin dem Alltagstrott unterlegen und habe mich einige Zeit von der Plattform ferngehalten, um meine beginnenden Wahrnehmungsstörungen nicht noch zu verschlimmern. Man verzeihe hier meinen Egoismus, aber ich bin Einzelgänger und kann nicht einmal mit Menschen im echten Leben ordentlich reden, also kann ich auf Stimmen in meinem Kopf verzichten. Wie ist die Lage sieben Tage? Alles Fit im Schritt? Du kannst hier einen Spruch aus dem Internet deiner Wahl einfügen. Du weißt schon, die Art von Sprüchen, die der peinliche Alkohol-Onkel bei Familienfeiern zu dir sagt, nachdem er den Wassergehalt in seinem Körper gegen Nussschnaps ausgetauscht hat.

Es wunderte mich nicht, dass er nicht lange auf eine Antwort warten ließ.

Die größten Dämonen spukten nicht nur herum, sondern fanden auch keine Ruhe in solchen Zeiten.

Kann es sein, dass in deinem Leben der Alkohol eine sehr große Rolle spielt? Ich kenne diesen Alkohol-Onkel tatsächlich nicht, auch wenn ich gerade in meinem Kopf meinen Stammbaum drei Mal durchgegangen bin. Dafür kann ich dir eine durchgeknallte Tante anbieten, die in ihr Wasser Steine reinlegt, damit es mehr Informationen besitzt und ihr ganzes Haus in den Schwaden ihrer Esoterik erstickt.

Mir entwich ein schulterzuckendes Lachen und ein Lächeln umspielte für kurze Zeit meinen Mund. Ich bildete mir ein, dass mein Gesicht anfing zu schmerzen, weil es die Verzerrungen nicht mehr gewohnt war.

Das mit den esoterischen Ölen beherrscht meine Therapeutin auch wahnsinnig gut. Es ist wahrscheinlich so ein Ding von spirituellen Leuten.

Oder gestörten. Aber ich wollte nicht zwangsläufig seine Familie beleidigen.

Klingt nicht sonderlich positiv eingestellt gegenüber deiner Therapeutin. Wie läuft denn deine Therapie sonst so? Du hast Glück. Du bist Opfer, du kannst behandelt werden und die Leute haben Mitleid mit dir. Ich muss mir selbst helfen, wenn ich nicht ins Gefängnis wandern will. Denn ich glaube kaum, dass die ärztliche Schweigepflicht auch für Mörder gilt.

Es wunderte mich, dass er auf einmal mit dem Wort „Mörder" so leichtsinnig umging. Normalerweise war er sehr darauf bedacht, das Wort weitgehend zu vermeiden.

Meine Therapie ist umsonst, falls es dich beruhigt. Aber mich würde wirklich interessieren, wie du damit umgehen kannst. Ich fühle mich doch schon schuldig, an dem Freitod von ihr und du hast sie wirklich eigenhändig getötet. Du musst ein Meister der Gefühlskontrolle sein.

Es war schwierig, von einem Suizid zu reden. Es tat mir weh, eine so unehrliche Geschichte zu erzählen, wo er doch so ehrlich zu mir war. Aber ich konnte nicht. Ich konnte und wollte niemanden an diese dunkle Ecke meines Inneren lassen. Viel zu sehr hatte ich Angst, dass er es gegen mich verwenden würde oder die Geschichte nicht ernst nehmen würde, was ziemlich unwahrscheinlich, aber dennoch möglich war.

Freitod.

Sie hatte nicht selbst bestimmt zu gehen, sie wurde aus dem Leben herausgerissen. Von fremden Händen, die sich einmischten.

Um ehrlich zu sein, würde ich mich nicht als König der Gefühle bezeichnen, sonst hätte ich sie wahrscheinlich niemals umgebracht. Dann hätte ich meine Enttäuschung und meinen Hass einfach weggesperrt und mit Engeln geredet, die meine gestörte Tante nebenberuflich züchtet. Aber ich habe das alles nicht unter Kontrolle gehabt und deswegen bin ich gescheitert. Ich bin verdammt, ich bin gezeichnet für mein Leben. Das ist fremdes Blut, das überall an mir klebt und auch nach drei Duschvorgängen nicht runtergeht. Manchmal stehe ich auf, mitten in der Nacht. Ich spüre auf einmal ihre Stimme in meinem Nacken, ich sehe ihre Augen vor mir und ich fühle das Blut, wie es an meinem Körper hinunterrinnt. Wie es nicht weggeht, egal was ich probiere. Es klebt unter meinen Fingernägeln, in meinen Haaren, auf meiner Haut, unter meinen Füßen. Ich hinterlasse Fußabdrücke, mit ihrem Blut. Ich setze mich dann Stunden unter die Dusche, das kalte Wasser auf meinen Schultern, aber es wäscht nur die Oberfläche. Es reinigt nicht meine Seele.

Die Nachricht flackerte am Bildschirm meines Laptops. Sie flackerte vorwurfsvoll und mahnend vor sich hin, aber triefte gleichzeitig vor Mitleid und ertrank in der Grausamkeit ihrer Worte.

Er versuchte Mitleid zu bekommen. Mitleid von mir, für seinen Mord. Mitleid und Mord. Mehr als denselben Anfangsbuchstaben und die Nachbarschaft im Wörterbuch hatten die zwei Worte nicht gemeinsam.

Das was du gemacht hast, ist nicht einfach nur eine Fehlentscheidung. Nicht ein Fehlkauf eines Paar Schuhe, die du jetzt nicht mehr umtauschen kannst, weil sie im Sale waren. Du kannst es nicht rückgängig machen und du kannst sie nicht mehr ins Leben zurückrufen. Egal wie sehr du es dir wünscht. Du hast einer Familie alles genommen, was sie niemals besessen haben.

Ich wurde wütend, als ich merkte, wie nahe mir seine Worte gingen. Wie ich mit jedem Satz, den ich in die Tastatur hämmerte, mir mehr wünschte, sie wieder bei mir zu haben. Wieso konnte sie nicht zur Tür reinkommen? Sagen, dass sie sich jetzt wieder rausschleichen würde und ich ja nichts unseren Eltern sagen dürfte. Nur noch einmal, ein einziges Mal. Damit ich ihr all das zurückgeben konnte, was sie mir je gegeben hatte.

Glaubst du das weiß ich nicht? Hör zu: Ich bin kein kaltblütiger Mörder, ich bin zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und dafür kann ich nichts. Kann nichts mehr dagegen tun, als mich jeden Tag von morgens bis abends zu hassen.

Da war er wieder. Diese Gestalt, dieses Phantom, das versuchte die Verantwortung für die Tat abzugeben. Die versuchte, alles zu beschönigen und sich aus der Geschichte wandte.

Wieso hast du sie so gehasst?

Es war diese Frage und Unverständlichkeit, die in meinem Kopf herumschwirrte und mich nicht mehr losließ. Konnte man einen Menschen so sehr verabscheuen, dass man ihm eigenhändig das Leben nimmt?

Ich habe sie nicht gehasst. Ich habe sie geliebt


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