Ich hatte meinen Kapuzenpulli in mein Gesicht gezogen, auch wenn ich bei diesen Temperaturen kurz vor dem Kollaps stand. Nachdem ich mich jedoch das erste Mal wieder in die Mengen der Schüler getraut hatte, war mir bewusstgeworden, dass die Hälfte der Schüler einen Herzinfarkt bekam, weil ein Geist durch die Korridore zog und die andere Hälfte sah mich derartig mitleidig an, dass ich mich bemühen musste, mein Frühstück nicht Comeback feiern zu lassen.
Kapuzenpulli war definitiv die richtige Wahl.
Ein Erstklässler, der nur das Sterbebild von Eleanor gesehen hatte, lief kreidebleich an, als er mich erblickte und musste augenblicklich zur Schulärztin.
Meine Wirkung auf Menschen war mir noch nie deutlicher bewusst gewesen.
Ätzend.
Mit eingezogenen Schultern drängte ich mich zur Versammlung. Es sollte eine Schweigeminute geben und der Chor würde singen. Schrecklich schief natürlich, weil niemand an dieser Schule begabt war und schrecklich emotionslos, weil es natürlich auch niemanden interessierte, wer denn nun abgekratzt war. Sie sangen ohnehin immer dieselben drei Lieder. Egal ob zur Weihnachtsfeier, zum Osteressen oder zu unseren Theateraufführungen. Der Chor konnte nur drei Lieder singen, die man sich auch anhören konnte, ohne direkt das Verlangen zu haben, sich die Ohren abzuschneiden. Auch wenn es dem schon recht nahe kam.
Ätzender.
"Wir gedenken heute Eleanor, eine Schülerin von unserer Schule, die über die Sommerferien auf dramatische Weise verstorben war", eine künstliche Pause, ein Räuspern, ein schwitzender Typ, in Footballshirt, der sich neben mich drängte.
"Sie ist am fünfundzwanzigsten August aus dem Leben geschieden und hat somit ein undenkliches Loch in jedem von uns hinterlassen."
Unsere Direktorin hatte ihre Haare wieder einmal übertrieben gewellt und sah in ihrem Bleistiftrock dicker aus als sonst. Über die Ferien hatte sie nochmal zu genommen.
Sie war bekannt für ihren großzügigen Alkoholkonsum und ihr lautes Lachen, sowie für ihre Schwäche für Kuchen aller Art.
Heuchlerin.
Auch wenn Eleanor beliebt war, wurde sie nicht von jedem geliebt und bedeutete jedem etwas. Die Jungs, die sich nichts Besseres als eine Nacht mit ihr vorstellen konnten, bedauerten gerade mal, ihr Vorhaben nicht früher umgesetzt zu haben und mindestens ein drittel der weiblichen Bevölkerung hier an der Schule, freute sich über weniger Konkurrenz.
Es waren doch alles nur leere Hüllen ohne Kern, die irgendwem an der Spitze folgten und den Sinn des Lebens in ihrer Social-Media-Bekanntheit liegen sahen.
Diese Schule war nie ein Ort der Emotionen gewesen, nie ein Ort, an dem man sich wohl fühlte oder in dem man sich selbst wiederfinden konnte.
Diese Schule machte dir deutlich, ob du okay warst, so wie du warst und in sechzig Prozent der Fälle lautete die Antwort "nein".
Warst du nicht okay, nicht normal, wurdest du ausgeschlossen, durftest im Bus nur vorne sitzen und wurdest gemieden, wie die Pest. Wenn nicht sogar schlimmer.
Vielleicht hasste ich deswegen die Direktorin so. Weil sie das alles wusste, aber nichts dagegen tat.
"Wir wünschen der Familie und den Freunden von Eleanor alles erdenklich Gute. Bei Bedarf auf psychologische Hilfe meine Lieben, haben die Vertrauenslehrer natürlich ein offenes Ohr für euch".
Lüge. Sie hatten kein offenes Ohr, höchstens einen offenen Mund, wenn man ihnen erzählte, was für Gedanken einen mitten in der Nacht plagten, was man eigentlich über seine Mitschüler dachte und wie scheiße die Schule war.
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Aeternum
Teen Fiction"Der Tod ist eine von vielen Ewigkeiten, die man kaum ertragen kann. Das Sterben ist nicht so grässlich, wie das Vakuum in dem du dich befindest, nachdem eine Person von dir gegangen ist." Er war von ihrer Schönheit überrumpelt und es tat ihm so ung...