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,, Selbstverständlich, Mister Park , stellt Ihnen die Schule das schulinterne Piano zur Verfügung", erklärt die Sekräterin ohne mich wirklich anzusehen, ,, Hier können Sie sich eintragen, zu welcher Zeit Sie spielen wollen. " Sie reicht mir einen weißen Zettel und einen Stift.
Schnell überfliege ich die Liste und bemerke das noch viele Felder frei sind. Mit viele meine ich alle.

Gut für mich.
Ich schreibe mich beim Montag und Freitag rein. Beide Male, direkt nach Schulschluss.
,, Monatlich müssen Sie eine kleine Gebühr bezahlen. Fangen Sie gerade erst an zu spielen und brauchen dementsprechend einen Lehrer? " ,
Die dunkelhaarige beäugt mich  kritisch, ich schüttele meinen Kopf leicht und verbeuge mich aus Höflichkeit. 
,, Danke ", murmele ich und verlasse schnellen Schrittes den Raum. Ich muss mir einen Job suchen um das Geld bezahlen. Doch das ist es wert, für die Musik würde ich alles tun. So lange habe ich nicht mehr gespielt und das Piano links liegen gelassen nach ihrem Tod.

Ich habe die Zeit gebraucht, doch jetzt kann ich es nicht mehr abwarten.
Endlich, endlich kann ich wieder spielen. Jede Faser in mir sehnt sich schon nach diesem wunderschönen Instrument und wartet sehnsüchtig auf den morgigen Tag, der für mich noch so weit weg scheint. Die Zeit verstreicht langsam, sehr langsam, zu langsam, selbst Zuhause.

Ich mache meine Aufgaben, drehe eine extra lange Runde mit Ddosun und räume sogar mein Zimmer auf, doch als ich auf die Uhr schaue ist immer noch kaum Zeit verstrichen. Der Tag wird allmählich zur Qual für mich, das schien auch meine Familie zu bemerken. 

,, Was ist los, Jimin? ", fragt mich irgendwann mein jüngerer Bruder Jihyun, ,, Du schaust gefühlt alle zwei Minuten auf die Uhr." 
,, Es ist nichts, ", ich kann es ihm nicht sagen, er würde es nicht verstehen, stattdessen versuche ich das Thema zu wechseln.
 ,, Wann kommt Papa? " 
,, Um neun, er macht wieder Überstunden. " Meine Augen weiten sich, 
,, Schon wieder?", 
,, Ja. ", Besorgnis spiegelt sich in den braunen Augen Jihyuns, ,, Aber du kennst ihn, er will nur das Beste für uns, selbst..." 
,, Selbst wenn es ihn fast umbringt. ", beende ich den Satz meines Bruders emotionslos.

Natürlich, Papa will nur das Beste für uns, wollte er schon immer, nur nach Mamas Tod war es dermaßen ausgeartet. Er arbeitet regulär zwölf Stunden am Tag, was an sich schon vollkommen ausreichend ist, allerdings macht er mindestens vier Mal die Woche zusätzliche Überstunden.
 Und das alles nur, weil er nicht möchte, dass Jihyun und ich uns Jobs suchen und ebenfalls arbeiten. Bei meinem fünfzehnjährigen Bruder verstehe ich es, jedoch werde ich bald siebzehn und die Gebühren für das Piano bezahlen sich schließlich nicht von selbst.

Ich habe ihm schon häufiger angeboten einen Job anzunehmen, jedes Mal hatte er abgewunken und gesagt, dass er genug verdiene und ich mich lieber auf die Schule und den Abschluss konzentrieren soll. 

,, Jihyun, was willst du essen? ... Du musst etwas essen.", fügte ich genervt hinzu, als er mit dem Kopf schüttelt.
,, Gut, dann gibt es eben Chahan*. "
Eine Portion Chahan kann man schließlich immer vertragen.
Ich schlendere in die kleine Küche und suche mir alle Zutaten für eines meiner Leibgericht zusammen. Früher gab es Chahan jede Woche, immer Montags , weil es uns den Start in die Woche versüßen soll.. Zumindest hat Mama das immer zu sagen gepflegt.
Ich seufze.

Wem will ich hier eigentlich etwas vorspielen? Ohne Mama geht es allen beschissen.
Jihyun versinkt in seinen Depressionen, Papa arbeitet nur noch  und ich versuche verzweifelt diesen Trümmerhaufen zusammenzuhalten und schaffe es nicht.
Ich schaffe es nicht einmal für meinem eigenen Bruder da zu sein.
Jihyun hat es mir nie ins Gesicht gesagt, doch seine glanzlosen Augen sprechen Bände.
Ich bin ein Versager und darüber hinaus ein schlechter Bruder.

,, Du weinst ", stellt er nüchtern fest, als ich den Teller auf den Tisch stelle. Er hatte wohl unbemerkt Platz genommen, während ich in der Küche beschäftigt war.
,, Ich will nichts essen, besonders kein Chahan. Ich hasse es." , sagt er und schiebt angewidert den Teller von sich.
Es schmerzt ihn so zu sehen.
,, Du musst etwas essen, selbst wenn du nicht willst. Würg es einfach runter und mach es nicht für dich, sondern für Papa."

Er schaut mich an, seine dunklen Augen wirken matt und kraftlos. Vielleicht hat Jihyun tatsächlich keine Kraft mehr, denn er diskutiert nicht. Überhaupt kein Wort verlässt seinen Mund.
Vielleicht will er aber auch einfach nicht unseren Vater enttäuschen. Egal, was es von Beiden ist, er tut was ich von ihm verlange.
Ich nicke ihm aufmunternd zu, du schaffst das.

Er nickt ebenfalls und greift zitternd nach der Gabel. Beinahe in Zeitlupe führt er diese zu seinem Mund, seine Lippen beben. 
Er atmet tief ein, bevor er sich letzten Endes den Reis mit Rindfleisch in den Mund schiebt und widerwillig kaut.
,, Siehst du, war doch gar nicht so schwer. '', flüstere ich mit sanfter Stimme, ,, Jetzt nimm noch einen Bissen. ''
,, Noch einen?'', sein blasses Gesicht nimmt einen ungesunden Grünton an. Er tut mir Leid, aber es ist nur zu seinem Besten.
,, Genau genommen noch drei und du bist fertig"
,, drei?", ungläubig schüttelt er den Kopf, ,, das schaffe ich nicht. "
,, Aller guten Dinge sind vier", erwidere ich felsenfest.
Er verdreht seine Augen, ,, es heißt aller guten Dinge sind drei."
,, Für mich nicht, für mich sind alle Dinge erst gut, wenn wir vier sind.''
Drei ist eine beschissene Zahl.
Drei sind wir nicht komplett.
Bei Dreien fehlt Mama. Mama, die uns allen so schrecklichen fehlt und nie wieder zurückkommen wird, um uns diesen Schmerz nehmen zu können.

Verdammt, warum konnte der beschissene Krebs sie nicht in Ruhe lassen und aufhören unsere Familie zu zerstören?
Jetzt ist es Jihyun, der weinte, hemmungslos weinte. Ich bin wie gelähmt, unfähig irgendetwas zu unternehmen. Stattdessen ringe ich selbst verzweifelt mit den Tränen. Warum musste ich das sagen?
Ich will mich entschuldigen, ihm sagen wie leid mir meine Worte tuen, ihm sagen was für ein beschissener Bruder ich doch bin. Kein Wort verlässt meine Lippen. Kein einziges. Sprich mit ihm! Hör auf, nur an dich zu denken. 

,, Jihyun...'', krächze ich.
Mein Bruder steht blitzschnell auf, seine Hände zu Fäusten geballt. 
,, Dann werden die Dinge wohl niemals gut für dich enden, Jimin. '' 
Ohne ein weiteres Wort von sich zu geben, wendet er sich ab und will den Raum verlassen. Auf halber Strecke kamen seine Füße zum Stehen. 
,, Vielleicht musst du dich mit dem Gedanken abfinden, dass Vier nicht länger deine Glückszahl sein kann. '', sein Blick ist starr auf den Boden gerichtet, 
,, Zwei ist doch eine viel schönere Zahl, findest du nicht?'' 
,, Jihyun...sag nicht -'', 
,, Ich habe darüber nachgedacht...oft... jede freie Sekunde, der Gedanke hatte mich glücklich, frei gemacht.'' 

Damit ist das Gespräch für meinen Bruder beendet, ohne sich umzudrehen entfernt er sich von mir und lässt mich alleine.
Mir wird schwindelig, schwarze Punkte tanzen vor meinem Augen. Ich höre wie die Tür ins Schloss fällt. Er ist weg

Meine Hände fangen unwillkürlich an zu zittern. Er ist weg
Ich will ihm folgen, doch meine Beine verweigern den Dienst. Er ist weg und es ist alles nur deine Schuld.
Mein Körper will keine Luft aufnehmen. Jede verstrichene Sekunde wächst der Schmerz in meinen Lungenflügeln. Ich habe das Gefühl zu ersticken. 
Der Gedanke hatte mich glücklich, frei gemacht. Deine Schuld.
Ich schloss meine Augen, nur um diese unmenschlichen Schmerzen ein kleines Stück erträglicher zu machen. Meine Schreie verklingen zu Schluchzen, bis auch diese aufhören. Auch wenn mir noch stumm Tränen runter fließen. Ich habe darüber nachgedacht...oft...jede freie Sekunde und das alles nur wegen deiner Selbstsucht. 
Der Schmerz scheint mich beinahe zu überrollen, zu zerstören und trotzdem sind die physischen Schmerzen ein Nichts zu den psychischen. Jihyun wollte...hatte darüber nachgedacht...sich das Leben zu nehmen. Mein kleiner Bruder... Was ist wenn er jetzt tut? Das würde ich nicht verkraften. Die schwarzen Punkte rauben mir meine Sicht, die Dunkelheit bricht über mich herein.


*Chahan ist ein ursprünglich chinesisches Gericht, dass aus gebratenem Reis und Rindfleisch oder Ente besteht.







ᴡᴇɴɴ ᴡɪʀ sᴘɪᴇʟᴇɴ - ᴋᴏᴏᴋᴍɪɴWo Geschichten leben. Entdecke jetzt