Anastasia

55 11 9
                                    

"Träume sind wie Schatten", flüsterte sie mir ins Ohr und ihre Fingerspitzen glitten über meine Haut, "Sie leben von der Dunkelheit und sterben, wenn das Licht kommt."

Ich traf sie das erste Mal an einem Samstagabend.
Ich kellnerte an diesem Abend, auf dieser Gala der Reichen und Schönen.
Als ich den Raum betrat, das Tuch über dem Arm und den eiskalten Champagner in der Hand, stand sie da, in diesem dunkelroten Kleid, wie eine blutige zweite Haut war dieses Kleid, in Blut gehüllt, führte das Glas an ihre vollen Lippen und sah mich an, sah mich einfach nur an.

Wie von selbst fand ihr Blick den meinen, er war wie der des Raubtiers, das seine Beute wittert, erst Leben und dann Todesangst riecht.
Ihre schwarzen Augen glühten und es lag etwas Wildes darin, Feuer und Tier waren darin vereint und um mich war es geschehen, war gebannt von ihrem Blick, wollte mich nackt machen, bis auf die Knochen, mir das Fleisch von ihr herunterreißen lassen und in ihrer Glut verglühen.
Ich wusste, dass das nicht gut enden konnte und sprach sie sofort an.

An jenem Abend tanzte sie für mich. Ich saß da, zitternd am ganzen Körper, unfähig mich zu bewegen, wie ein Kaninchen, das in die Augen der Klapperschlange blickt.
Ich wollte sie berühren, sie fühlen, aber sie verbot es mir, ohne ein Verbot auszusprechen, es lag in ihrem Blick, ich wusste, sie würde mir alles zeigen, aber berühren durfte ich sie nicht. Niemals.

Und sie tanzte, wurde zur Musik, brachte die Luft zum Kochen, zum Vibrieren, drückte mir den Atem aus der Lunge, ließ mich beben und hecheln, ich konnte die Rasseln der Klapperschlangen hören, wenn sie sich bewegte, geschmeidig wie eine Katze.
Das Licht warf diffuse Schatten auf ihre ebenmäßige, bronzefarbene, nackte Haut, färbte sie golden, eine goldene Göttin war sie in diesem Moment, so voller göttlicher, übermenschlicher Schönheit und Eleganz. So unerreichbar wie die Venus und so lodernd wie die Hölle.
Und ich kniete vor diesem Schrein, vor ihrer Anmut, wie ein räudiger Köter, beichtete breitwillig meine Sünden, küsste und leckte den Boden, über den sie wandelte, wurde zur Sünde.

Da war diese Schweißperle, die auf ihrer Stirn entsprang und bei jeder Bewegung brach sich das Licht darin, wie in einem kleinen Diamanten.
Ich fragte mich in diesem Moment, ob in ihren Adern Dimanten fließen, so wie ihr Körper aus Gold gegossen schien.
Diese Schweißperle glitt nach unten, ihre Wange hinab, ihren Hals entlang, über ihr Schlüsselbein, wo sie einen Moment verweilte und meinen Blick bannte.
Sie ließ ihre Hüften kreisen, die Schweißperle glitzerte und glitt dann weiter hinab, so quälend langsam, wie ihre Bewegungen, Zentimeter um Zentimeter und dann verschwand sie zwischen ihren Brüsten und ich hätte alles dafür gegeben, die Schweißperle von ihrem Körper zu pflücken, sie zu kosten und zu schmecken.
Aber ich durfte nicht.

Sie tauchte wieder auf, diese Schweißperle, nahm an Fahrt auf, strich über ihren flachen Bauch, umkreiste ihren Nabel, und weiter hinab, über ihre Leiste, bis sie in ihrer Mitte versank. Wie ein Regentropfen, eine Träne, im Meer.

In mir explodierte es in diesem Moment, mein Verstand zerfetzte, ich war nur noch Lust und Rausch, löste mich auf, wurde zu einem Teil von ihr, war diese Schweißperle, die in ihr Meer tauchte und verschwand, entschwand, rasend, tollwütig.
Anastasia. Anastasia, war ihr Name, Anastasia.
Oh, Gott sei meiner Seele gnädig.
Anastasia.

Am nächsten Morgen wurde ich in Blut wiedergeboren, wusste nicht, ob es mein eigenes oder das eines anderen war.
Ich wusste nicht, was Traum, was Wirklichkeit war, ob das getrocknete Blut an meinem Körper, auf dem Laken, an den Wänden, echt war oder nicht.
Einen Moment lang kam es mir vor, als husche ein Schatten aus meinem Bett, aus all dem Blut, aus mir.
Dann war er verschwunden.
Ich wusste weder, was ich getan hatte, noch was mir angetan wurde.

Sicher war nur, dass seitdem etwas an mir, in mir, fehlte, dass sie etwas von mir mitgenommen hatte, dass ich nicht mehr der Mensch war, der ich vorher gewesen war.
Anastasia.

My Mind - you talk too muchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt