2

6.6K 367 15
                                    


„Hier werdet ihr bleiben!", schrie jemand. Ich zog langsam den Sack von meinem Kopf.
Nach meinen Informationen, für die ich wohl bald mein Leben lassen musste, war das Hauptquartier der Werwölfe in einer restaurierten mittelalterlichen Burg.
Diese Burg war jedoch nur ein Aufenthaltsort für den Kern des Rudels. Einzig und allein die wichtigsten Personen, die sich um ihren Alpha Lucian gescharrt hatten, besaßen hier eine Unterkunft. Verwandte und weitere Rudelmitglieder wohnten jedoch in kleineren Häusern, die im gesamten Wald verteilt waren. Werwölfe brauchten ihr Rudel in der Nähe, doch vor allem sie auf viel Freiraum angewiesen. Ohne diese wurden sie schnell psychisch instabil, weswegen man Werwölfe nicht einfach wie Menschen verhaften konnte.
Von dieser Freiheitsliebe bemerkte man jedoch nichts in der winzigen Zelle. Sie war dunkel, eng und vollkommen überfüllt. Man hatte mich gemeinsam mit weiteren neun Personen eingesperrt. Der Größe der Zelle nach vermutete ich jedoch, dass sie sonst für höchstens drei Gefangene diente.

„Und was habt ihr angestellt?", fragte der Jüngste unter uns. Er war vielleicht gerade einmal vierzehn Jahre alt. Seine kurzen blonden Haare standen ihm wild vom Kopf ab.
Ein großer Kerl mit so manch einer Narbe auf seinen Körper zuckte lässig mit den gewaltigen Schultern. „Ich habe in meiner Kneipe keine Mistviecher von denen gewollt. Das ging ganze acht Jahre gut, bis es zu einer Schlägerei kam. Ein noch recht junges Monster, es hielt sich wohl für besonders clever, hatte sich eingeschlichen. Das Biest wurde in der Schlägerei lebensbedrohlich verletzt. Eigentlich dachte ich es sei tot. Hätte ich gewusst, dass das Ding noch lebt, hätte ich noch einmal zugeschlagen."
„Das hättest du wirklich tun sollen", stimmte eine Frau in der hinteren Ecke der Zelle zu. „Diese Biester sind unglaublich schwer umzubringen. Man sollte immer auf Nummer sicher gehen. Selbst in der heutigen Zeit verwende ich bei jeden von diesen Mistteilen zwei Kugeln. Trotzdem haben sie mich bekommen, doch der Widerstand gegen diese Ungeheuer wird weiter bestehen!"
Ihre Rede brachte ein lautes Johlen und fröhliches Zugestimmte mit sich. Schnell redete die Gruppe sich heißer, nur ich und der Junge schwiegen. Doch während ich nicht auf das Gerede hörte, schien er fleißig zu lauschen. Es war fast so als sauge er jedes einzelne Wort auf, um sie später genauso abspulen zu können. Irgendetwas daran war seltsam.
Der Junge schien zu bemerken, dass ich ihn beobachtete, denn er trat zu mir. „Und was ist mit dir?"
Die restlichen Zellengenossen musterten mich argwöhnisch. Ich schien im Gegensatz zu ihnen hier nicht herzugehören. Meine Kleidung war zwar dreckig, doch es war klar, dass es mir zuvor nicht schlecht ergangen war. Ich hatte keine Narben und spuckte keine großen Töne über meine angeblichen Heldentaten von mir.
„Ich bin hier, weil ich zu neugierig war", gab ich kurz angebunden zurück.
„Jetzt wollen diese Biester uns schon wegen Neugierde bestrafen?", stieß Johnny, der Mann mit der Kneipe aus.
„Sie sind Mistviecher, nicht wahr?", hakte der Junge nach.
Doch ich zuckte nur mit den Schultern. „Sie werden meine Henker sein und dafür werde ich sie wohl hassen." Bei meiner Antwort ließ ich jedoch aus, dass ich für diese Wesen eher eine unglaubliche Faszination empfand, anstatt Furcht oder Abscheu.
„Du solltest sie wegen weit mehr hassen!", erklärte die Rebellin wütend. Ich schwieg daraufhin, doch sie ratterte mir lauter angebliche Gründe herunter, weswegen ihrer Meinung nach Werwölfe eine unglaublicher Abschaum waren. Viele davon stammten selbst aus längst vergangenen urbanen Legenden, doch diese stimmt überhaupt nicht mit den heutigen Werwölfen überein. Sie waren keinen Bestien, sondern Menschen, die sich in gewaltige Wölfe zu jedem Zeitpunkt verwandeln konnten. Sie verfielen nicht bei Vollmond in Blutrausch und waren auch keine Monster, die zum Spaß ein Massaker anrichteten.

Als die Tür zum Kerker nach einer gefühlten Ewigkeit aufgestoßen wurde, war ich fast schon froh deswegen. Eine harte Männerstimme befahl: „Ihr werdet jetzt alle einzeln nach oben geführt. Man wird euch vor das Gericht stellen. Ihr dürft nur dann reden, wenn es euch erlaubt wird!"
Ich blickte mich in der Zelle um und sah von einem grimmigen, hasserfüllten Gesicht zum nächsten. Auf einmal stutzte ich. Einen winzigen Moment lange wurde das Gesicht des Jungen von dem Licht aus der offenen Tür erhellt und ich erstarrte. Wie konnte er einer von Ihnen sein? Meine Augen huschten erneut über sein Gesicht. Ich suchte nach weiteren Indizien, doch zu schnell wurde es wieder finster. Hatte ich mich getäuscht?

Weitere Stunden vergingen. Meine Kehle fühlte sich wie die immer größer werdende Sahara an. Was würde ich nur für einen Schluck Wasser tun? Mittlerweile war ich mit dem Jungen alleine. Er war der einzige, der wieder in die Zelle musste, weil man sich über sein Urteil scheinbar nicht entscheiden konnte.
„Wie war es dort draußen?", fragte ich um mich abzulenken.
„Voll. Der Saal ist voll von Ihnen und man steht Ihnen alleine gegenüber."
„Ist es eine Folterkammer, in die sie einen bringen? Ich habe gehört sie besitzen eine."
Zu meiner Erleichterung schüttelte der Junge den Kopf. „Es ist eher wie ein Bankettsaal. Die langen Tische sind in U Form aufgestellt, sodass sie einen direkt vorführen können. Dort am Ende des Saales sitzt er und wird dann über dich richten."
Ich musste nicht nachfragen, wer er war. Diese Angelegenheit war klar. Es handelte sich dabei um den Alpha.
„Das ist wenigstens nicht ganz so schlimm wie ich es mir vorgestellt habe. Ich glaube, ich müsste mich übergeben, wenn sie mich in eine Folterkammer bringen würden. Es wäre sicherlich nicht gut, wenn ich mich vor seinen Füßen übergebe." Es war nicht ganz ein Scherz, aber scheinbar fand ein Teil meines Humors wieder zu mir zurück.
„Wieso bist du hier?", fragte mich der Junge noch einmal, doch im Gegensatz zu zuvor antwortete ich ihm etwas genauer. Wieso sollte ich auch noch länger vor der Wahrheit davon rennen?
„Ich habe mich in ihr System gehackt." Kurz hielt ich inne. Der Junge schien nicht wirklich überrascht zu sein, was mich wunderte. Eigentlich hatte ich wirklich viel von meinem Kunststück gehalten. War es vielleicht doch nicht so schwer an die Daten der Werwölfe zu gelangen?
„Wieso hast du es getan? Die Wahrscheinlichkeit, dass du erwischt wirst, war doch sehr hoch."
„Nun...." Wie sollte ich ihm das jetzt am besten erklären? Sollte ich ihm wirklich sagen, dass ich seit meiner Kindheit diese verdammte Faszination für die Werwölfe hatte. Wesen die bei so vielen Menschen Angstschweiß und Brechreiz auslösten?
„Wie gesagt ich war einfach nur zu neugierig", erklärte ich schließlich. Es war immerhin die Wahrheit.
„Zu neugierig und das Gehalt hat gepasst?", fragt der Junge mit breitem Grinsen nach.
„Ja...", murmelte ich, obwohl das Gehalt bei genau null lag. Immerhin bezahlte ich mich nicht selbst, aber in gewisser Weise war es ja deswegen passend für meine eigene Neugier.
„Nur aus Interesse: Wie viel hast du bekommen?"
Warum konnte dieser Junge nicht einfach die Klappe halten? Mittlerweile nervte er mich, denn ich würde ihm ganz sicher nicht auf die Nase binden, dass ich einfach nur zu neugierig war. „Hör zu, das geht dich absolut nichts an. Weißt du ich bin heute sehr gereizt. Es ist absolut nicht der beste Zeitpunkt Salz in Wunden zu streuen, aber wenn es dich beruhigt, ich habe mehr als eine Millionen bekommen." Das war natürlich glatt gelogen und scheinbar war ich sehr schlecht darin, denn sofort erklärte dieser Bengel mit süffisanten Grinsen: „Du lügst."
„Woher willst du das wissen?", forderte ich ihn auf.
„Ich kann so etwas gut erkennen. Also hast du unter einer Million bekommen. Du hast eindeutig ein schlechtes Geschäft gemacht. Das hätte man dir mindestens bezahlen sollen, dafür dass du uns ausgeliefert hast."
Verwirrt schaute ich ihn an. Hatte er eben uns gesagt? Ich hatte mich also zuvor nicht getäuscht! Doch nun blieb keine Zeit mehr, denn die Türe wurde aufgestoßen. „Arya Aedian!" Ich hatte scheinbar eben mein Todesurteil noch selbst unterzeichnet, denn nun glaubten die Werwölfe ich hätte sie tatsächlich verkauft. Seufzend stand ich auf.
„Ich hoffe du bist zufrieden", hörte ich noch den Jungen sagen, bevor ich aus meiner Zelle gezerrt wurde.

Soulmates #kleineJuwelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt