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In Ordnung...
Langsam hatte ich begonnen meinen Verstand wieder aufzuräumen. Scheinbar war ich wirklich nicht tot. Ob dies jedoch ein Vorteil oder ein Nachteil war, konnte ich nicht so genau sagen.
Ich befand mich auf einer Krankenstation und hatte mich wie ein fünfjähriges Mädchen, mit einem Teddybär bestechen lassen. Man merkte mir meine zwanzig langen Lebensjahre eindeutig nicht an. Das absolut seltsamste an der Situation war jedoch, dass neben meinem Bett der gefürchtete Alpha Lucian saß und mich nicht aus den Augen ließ.
Hätte er mich bewachen lassen, damit ich nicht fliehe, wäre das Ganze verständlich gewesen. In einem solchen Fall würde jedoch ein einfacher Werwolf genügen. Immerhin hatte ich keine Chance gegen eine Wache. Doch noch viel unverständlicher war es, wieso er sich scheinbar Sorgen um mich und meinen Teddy machte.
Seine Adleraugen überwachten jeden meiner Atemzüge und wenn ich auch nur die geringste Absicht zeigte mich zu bewegen, wurde ich wütend angeknurrt. Scheinbar war der ach so mächtige Alpha zu meinem persönlichen Wachhund geworden.


„Die Ärztin Silvia sollte bald kommen. Sie wohnt hier und ist speziell für das Rudel da. Sie wird noch einige kleinere Untersuchungen vornehmen, aber dann können wir dich auf ein anderes Zimmer verlegen, das schöner ist", erklärte er mir freundlich. Seine aufmerksamen grünen Augen strichen behutsam über meinen Körper, so als wollten sie mich streicheln.
„Mmh...", gab ich nur von mir und starrte ihn argwöhnisch an, während ich meinen Teddy fest an meine Brust drückte. Ich brauchte jetzt einfach seine flauschig, bärige Unterstützung. „Mit einem schöneren Zimmer meinst du nicht zufällig den Kerker, oder?"
Ein reumütiger Ausdruck trat auf Lucians Gesicht. Aus irgendeinem Grund ähnelte er so einem Welpen, der irgendetwas Verbotenes angestellt hatte, wie zum Beispiel an einem Socken zu kauen oder auf das Sofa zu pinkeln.
„Du wirst niemals mehr dich dort unten aufhalten müssen. Es war falsch anzunehmen, du seist eine Spionin."
„Ich bin in euer Netz eingedrungen", erklärte ich ihm vorsichtig. Natürlich war ich dankbar nicht mehr in den Kerker zu müssen, doch irgendwie wirkte das Ganze hier ein bisschen zu surreal. Immerhin hatte man mir zuvor noch den Arm ausgekugelt.
„Du bist eine begabte junge Frau. Leider setzt du dich über eindeutig zu viele Grenzen mit deinem Talent hinweg, doch ich bin für diesen Moment froh, dass du es getan hast..."
Er wollte weiter reden, doch ich unterbrach ihn: „Was wird hier gespielt!? Ist das vielleicht irgendeine Art von Streich? Oder nehmt ihr das alles hier auf, um es später den Menschen als Imagevideo vorzuspielen? Ich habe wirklich überhaupt keine Lust auf dieses Spielchen!" Ich war mittlerweile mehr als ein bisschen gereizt.
Zu gerne wollte ich seinen Worten trauen, sie einfach annehmen und all meine Sorgen über Bord werfen. Ich könnte den Albtraum, den ich durchlitten hatte, vergessen und mich vollkommen darauf konzentrieren einen Plan auszuhecken, bei dem am Ende Lucians Arme sich fest um mich schlossen. Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass ich dort glücklich sein würde. Er hingegen zerstörte all dies, indem er auch noch mit meinen Ängsten spielte!
„Es ist kein Spiel!", widersprach mir Lucian sofort.

Die Tür ging auf und die Frau, die auf der Versammlung vorgeschlagen hatte blinde Kuh zu spielen, trat ein. Ich musterte sie zum ersten Mal wirklich genau. Auf der Versammlung war mir ihr Äußeres ziemlich egal gewesen, da ich um mein Leben gefürchtet hatte. Nun aber bemerkte ich, dass man ihr das Alter gut ansehen konnte. Sie wirkte wie Mitte fünfzig, was für einen Werwolf eher selten war, da diese, sobald sie in die Pubertät kamen, langsamer als Menschen alterten. Sehr viele Wölfe starben im Kampf oder durch Terrorattacken, bevor man ihnen ihr Alter ansehen konnte. Auf die grauen Strähnen in ihrem blonden Haar, konnte die Frau also sehr stolz sein.
„Ich bin Silvia. Du musst ziemlich verwirrt sein. Ich schätze Lucian hat dich noch nicht auf den neusten Stand der Dinge gebracht?"
Sofort wurde mir klar, dass es ihre Stimme gewesen war, die ich in meiner Ohnmacht so engelhaft schön gefunden hatte. Ich schüttelte vorsichtig den Kopf, denn meiner Meinung nach hatte mir Lucian noch nichts gesagt.
Die Krankenschwester funkelte ihren Alpha wütend an und zuckte unter seinem feurigen Blick nicht einen Millimeter zurück. „Du weißt wie es mir damals ergangen ist?"
Der Mann neben mir nickte bedächtig.
„Das möchtest du nicht für sie, oder?"
Wieder nickte Lucian, dieses Mal wirkte er sogar leicht zerknirscht, was wirklich ein seltsamer Anblick war. „Ich hatte gehofft, dass du es ihr erklären kannst, so von Mensch zu Mensch. Du scheinst mir einen gewissen Vorteil zu haben, ihr diese Situation halbwegs begreiflich zu erläutern."
Silvia seufzte, doch sie flüsterte leise: „Da magst du wohl auch wieder recht haben", dann wandte sie sich mir zu. Sie sprach nun wieder normal und in ihren blauen Augen funkelte eine Fürsorglichkeit, als sie erklärte: „Auch wenn du mir vielleicht nicht glaubst, ich kann dich besser als viele andere hier verstehen. Ich war ebenso ein Mensch wie du. Zwar war ich nicht so gewieft, doch auf Umwegen bin ich, genau wie du, hier gelandet. Seit Kindheit an hatte ich diese seltsame Anziehung zu diesem Ort verspürt, bis ich eines Tages bemerkt hatte, dass dieses Ziehen in meiner Brust einzig und allein einer Person galt. Man nennt diese Situation, wenn die Anziehung in der Brust der Vorherbestimmten pocht, die „Suche". Es ist der erste Schritt im Paarungstanz. Bei heterosexuellen Paaren ist diese Empfindung eigentlich immer der Frau zugeteilt. Bei jeder erwacht das Gefühl zu einer anderen Zeit, meistens geschieht dies sehr früh, wenn die Vorherbestimmte in großer Gefahr schwebt, sonst häufig erst im erwachsenen Alter. Wenn die Frau ihren Soulmate gefunden hat, müssen sie beide wählen, ob sie sich akzeptieren oder nicht."
„Soulmate? Wählen? Was meinst du damit?", fragte ich mehr als ein bisschen verwirrt.
Zu meiner Überraschung antwortet Lucian mit sanfter, glücklicher Stimme: „Ich bin dein Seelenverwandter. Deine andere Hälfte."

„Bitte was?", fragte ich gereizt nach.
„Was er damit meint ist, dass du seine vom Schicksal vorherbestimmte Partnerin bist. Eine, wie bereits gesagt, Art Seelenverwandte oder auch Soulmate. Noch ist das Band zwischen euch nicht geschlossen und ihr habt beide die Wahl, den anderen zu akzeptieren oder abzulehnen. Entscheidet sich einer von euch für das Letztere wird das Ziehen in dir immer schwächer. Sobald es vollkommen verschwunden ist, ist es nicht mehr möglich die Entscheidung rückgängig zu machen, selbst wenn ihr euch am Ende doch für eine gemeinsame Zukunft stimmt. Wenn ihr euch gegen eine Partnerschaft entscheidet, könnt ihr normal weiterleben. Ihr könnt sogar eine glückliche Beziehung führen, ob nun gemeinsam oder mit einem anderen. Es wird euch jedoch niemals mehr möglich sein ein Seelenband zu schmieden. Ihr werdet nie zu dem, was wir Soulmates nennen."
„Rein hypothetisch betrachtet, was wäre, wenn wir uns für dieses Band entscheiden?", fragte ich vorsichtig und leise nach. Ich musste verrückt sein, dachte ich zur gleichen Zeit und doch konnte ich einfach nicht anders, als gespannt zu lauschen. Diese Sehnsucht in mir war so groß und ich wollte zu meiner Überraschung nicht, dass das Ziehen in meiner Brust für immer verschwand. Es war wie ein Teil meines Bewusstseins geworden.
Lucian lächelte mich zufrieden und glücklich an.
„Dann setzt sich der Paarungstanz fort", erklärte Silvia sachlich.
„Und das bedeutet?", fragte ich vorsichtig nach, denn ich konnte mir unter diesen Begriff außer vielleicht aus dem Tierreich, das ich mir nun ganz sicher nicht bildlich ausmalen würde, nichts vorstellen.
„Die Schritte des Paarungstanzes sind nicht genau vorhersagbar, denn er ist für jedes Paar anders. Es geht bei diesen sehr intimen Tanz darum, für den anderen sein eigenes Herz zu öffnen. Doch während die Frau den Partner findet, weiß dieser meistens instinktiv welche Schritte notwendig sind. Nun ja wissen ist zu viel gesagt, er spürt in welche Richtung die einzelnen Schritte gehen und wann sie erfüllt sind, doch beide spüren es, wenn der Tanz abgeschlossen ist. Es ist ein wundervolles Erlebnis, dass man niemals vergisst."

Vollkommen verwirrt starrte ich zwischen den beiden hin und her. Ich hatte so viel über die Werwölfe gelesen, so unglaublich viel, dass ich geglaubt hatte ihre Geschichte und einen großen Teil ihrer Kultur zu verstehen, doch von diesen angeblichen Paarungstanz und den vorherbestimmten Seelen hatte ich noch nie etwas gehört.
„Es ist ein wohlgehütetes Geheimnis", erklärte Lucian leise. „Denn es ist nicht nur das schönste Gefühl auf der Welt, ein solches Band zu besitzen, sondern gleichzeitig unsere größte Schwäche. Sobald wir das Band einmal geschlossen haben, teilen wir unser Leben mit einer anderen Person und verlieren somit die andere Hälfte unseres Daseins, wenn diese bestimmte Person stirbt."
Erschrocken blickte ich Lucian an. Wenn das so war, konnte ich mich auf keinen Fall auf diese Sache einlassen. Ich würde innerhalb eines Viertels von seinem Leben an Altersschwäche dahin raffen.
Silvia schien meinen entsetzten Blick bemerkt zu haben, denn rasch erklärte sie: „Eine solche Partnerschaft, bindet einen Menschen vollkommen an einem Werwolf. Wir fangen an mit ihm zu altern, doch stirbt dein Partner oder zerbricht das Band zwischen euch, bevor es auf ewig geschmiedet ist, alterst du schnell wieder wie ein normaler Mensch."
Ich schaute sie an und fragte mich ob ihr scheinbar fortgeschrittenes Alter mit einer solch schrecklichen Situation zusammenhing. Als sie traurig nickte und ich winzige Tränen in ihren Augen sehen konnte, fühlte ich mich furchtbar. Ich wollte sie in den Arm nehmen, doch traute ich mir das bei einem fremden Menschen nicht zu. So nahm ich stattdessen meinen Teddy fest in den Arm und fragte mich in welcher verrückten Welt ich nun gelandet war.

Soulmates #kleineJuwelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt