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Die Wache packte mich am Arm und zerrte mich durch mehrere dunkle Gänge. Natürlich startete ich keinen Fluchtversuch. Etwas Derartiges würde meine Lage nur noch verschlimmern. Man konnte Werwölfen nicht entkommen. Erst recht nicht, wenn man sich bereits in ihrer Festung befand. Der Werwolfsjunge lief hinter uns her. Seine Augen bohrten sich hasserfüllt in meinen Rücken.
In gewisser Weise würde er mich an meinen Henker ausliefern, doch ich verfluchte ihn dafür nicht. Tatsächlich war ich nicht einmal wütend auf ihn. Viel mehr brodelte ein gewaltiger Zorn auf mich selbst in mir. Wie hatte ich nur meine Vermutung einfach so in den Wind schlagen können? Warum hatte ich nicht an mögliche Konsequenzen gedacht, bevor ich meinen Mund aufgerissen hatte?

Der Gang endete und der Werwolf öffnete lässig mit der linken Hand eine gewaltige Tür. Vor mir erstreckte sich ein riesiger Raum. Wenigstens hatte mein angeblicher Mitzellengenosse mich nicht in dieser Hinsicht angelogen. Die Gerichtshalle glich tatsächlich einem großen Panketsaal. Die Tische waren in U Form aufgestellt, sodass alle einen guten Blick auf mich hatten. An die fünfzig Gesichter blickten mich unglaublich wütend und abfällig an. Ich hatte wohl tatsächlich mein Todesurteil unterschrieben.
Ein leise gemurmeltes: „Lasst den Spaß beginnen", konnte ich mir jedoch nicht verkneifen und prompt blickten mich alle noch zorniger an.
„Du solltest diese Angelegenheit ernst nehmen! Das wäre zu deinem Besten!", erklärte eine gebieterische Stimme. In ihr klang eine Macht und Gewalt mit, die mich erschauern ließ, doch auch noch etwas atemberaubendes, das ich nicht beschreiben konnte.

Ich blickte nach vorne. Dort am Kopf der Tafel saß er. Alpha Lucian befand sich direkt vor mir. Der Blick aus seinen tiefgrünen Augen schien mich zu erdolchen. Er war groß, doch erstaunlicherweise nicht der größte der Anwesenden. Ganz im Gegenteil für einen Werwolf schien er mit seinen geschätzten 1,75 m sehr klein geraten zu sein, wobei ich mit meinen 1,64 m eigentlich leise sein sollte. Lucian besaß auch keine gewaltigen Muskelberge, obwohl viele Menschen ihn ab und zu so beschrieben. Er hatte einen schlanken athletischen Körper, der von einer harten raubtierhafte Eleganz erfüllt war. Der Alpha strahlte eine gefährliche Aura aus und trotzdem war da mehr...
Diese Faszination, die mich mein Leben lang vorangetrieben hatte, kanalisierte sich in ihm. Er schien die Ursache für meine ewige Suche zu sein. Unsere Augen kreuzten sich. Für einen verrückten Moment war es mir egal, dass ich nun sterben würde. Dieser eine Blickkontakt schien meines Lebens wert genug zu sein.
Leider schien er nicht dasselbe in mir zu sehen, denn er knurrte mich wütend an. Das Geräusch war gewaltig und erschreckend. Mein Geist begann sofort jede Einzelheit in ihm zu analysieren und versuchte herauszufinden, ob ein Mensch dieses Geräusch auch nur Ansatzweise nachahmen konnte. Ich versuchte es selbst und nichts weiter als ein seltsames Gemaunz-Gekrächze kam aus meinem Mund.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein", fluchte Lucian mit seiner dunklen samtigen Stimme.
Ich lief leicht rot an, denn selbst mir fiel es auf, dass ich mich seltsam verhielt. Bis jetzt hatte ich zumindest noch nie versucht einen Werwolf nach zu knurren.
Eben wollte ich mich schon entschuldigen, als mir wieder einfiel, wieso ich überhaupt hier war und ich hielt meinen Mund geschlossen. Es war doch sicherlich ganz normal, kurz vor seinem Tod die Nerven zu verlieren.

„Bringt sie endlich vor!", befahl Lucian und erklärte, während ich durch den Saal gezerrt wurde: „Arya Aedian, du wirst auf Grund von Spionage und dem Verkauf von hochbrisanten Informationen angeklagt. Du hast dich in unser System gehackt, äußerst vertrauliche Daten gestohlen und diese weitergegeben. Für dieses Vergehen...", er stockte kurz, so als wollte er die nächsten Worte nicht aussprechen, „... gibt es nur eine Strafe: Den Tod!"
Das war ja wirklich ganz toll! Herzlichen Glückwunsch! Nun hatte ich endlich meine Bestätigung. Die Neugier hatte mich ins Grab gebracht. Immerhin durfte ich zuvor einen wahrlich schönen Anblick genießen. Ich stoppte meine Gedanken und zwang mich wieder zurück in die Realität. Ein Blick auf Lucian war ganz sicher doch kein fairer Tausch für meinen Tod, das musste ich mir unbedingt ins Gedächtnis einbrennen.
„Doch bevor wir dein Urteil vollstrecken, wirst du uns mitteilen an wen du die Daten weitergegeben hast."
Ich schaute ihn geschockt an. An wen hatte ich denn meine Daten weitergegeben? Es war ja kein Auftrag gewesen... Ich wurde rot, als mir wieder einfiel, dass ich sehr häufig Rubber Debugging betrieben hatte. Im Grunde genommen beschrieb dieser Begriff nur, dass man nicht funktionierend Code einer Gummiente erklärte. Sehr viele Programmierer machten dies, mitunter auch ich. Nur teilte ich in meinem Fall jeden noch so kleinsten Schritt meinem gigantischen Teddybär mit. Doch woher sollte Lucian davon wissen?
„Ich habe die Informationen an niemanden weitergegeben", verteidigte ich mich und betete zum Himmel, dass ich damit durchkommen würde.
„Du lügst!", schrie mich Lucian an. „Lüge niemals einen Werwolf an, wir bemerken das sofort! Es wäre in deinem Interesse uns mitzuteilen, an wen du die Information verraten hast, denn sonst wird dein Tod das Schmerzhafteste, was du dir jemals vorstellen kannst." Lucian schien nicht gerade glücklich über seine Worte zu sein, genauso wenig wie ich, doch er nahm sie nicht zurück. Ich schluckte einmal um meine Angst zumindest etwas zu vertreiben, dann begann ich erneut:
„Ich habe niemanden..."
„Waage es nicht erneut zu lügen! David!"
Der Wächter trat an mich heran. Mit flehenden Blicken musterte ich Lucian. Auch wenn etwas Undefiniertes in seinen Augen aufblitzte, waren seine Worte steinhart: „Bring sie zum Reden!"
Der muskelbepackte Mann drehte meinen Arm auf meinen Rücken. Es tat ziemlich weh und ich fluchte lauthals, doch was er dann tat, war zu viel. Er gab mir einen kräftigen Tritt gegen meinen Rücken und mein Arm sprang aus seinem Gelenk. Ich schrie voller Schmerzen auf.
„Wer war es!?", fragte Lucian nach. In seiner Stimme befanden sich unzählig viele Emotionen, doch vor allem war sie hart, unnachgiebig hart.
„Geh doch zum Teufel!", fluchte ich.
„David!"
Ein weiterer Tritt folgte. Er zog mich an meinen Kragen wieder hoch und packte meinen anderen Arm, um scheinbar genau dasselbe zu wiederholen. Wieso sprach ich nicht einfach? Es war mir zwar sehr unangenehm, doch sicher war meine Würde noch mehr Schmerzen nicht wert.

„Hört auf! Ich werde reden!", schrie ich verzweifelt, der Griff um meinen Arm wurde jedoch nicht lockerer.
Voller Panik traten mir die Tränen in die Augen. „Bitte lasst mich aussprechen. Bitte tut mir nicht weh." Ein verzweifeltes Schluchzen drang aus meiner Kehle.
„Lass sie los David", befahl Lucian. Seine Stimme wirkte auf einmal sehr schwer und erschöpft.
„An wen hast du die Informationen verkauft?"
„Ich habe sie nicht verkauft", rief ich vollkommen verzweifelt.
„Wen hast du die Informationen, dann gegeben und warum? Hat man dich erpresst?", Lucians Stimme wurde erstaunlich sanft.
Ich wünschte nur es wäre wirklich so gewesen. „Ich habe keinen Menschen diese Information gegeben."
Ein Raunen ging durch die Menge. Es war voller Unglauben gefüllt. Lucians Stimme war eisig, als er nachfragte: „Welcher Werwolf hat dich dazu gezwungen uns nachzuspionieren?"
Das Ganze hier wurde einfach nur noch schlimmer! „Zum Teufel auch kein Werwolf hat je diese Information gehört! Es war ein ganz einfacher Teddy Bär! Seid ihr nun zufrieden!? Ja ich rede noch mit meinen Kuscheltieren, aber das tun viele Programmierer. Schlagt einfach Rubber Debugging nach. Was wollt ihr nun tun? Mich töten und meinen Bär neben mir auf einen Scheiterhaufen verbrennen? Tut euch keinen Zwang an. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, warum ich jemals so Fasziniert von eurer Rasse war. Scheinbar seid ihr ja doch alle unmenschliche Bestien, die einem verzweifelten Menschen mit Freude die letzte Würde rauben." Eigentlich wollte ich nach dieser Rede aufhören zu sprechen. Sie hätte sicherlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen, doch ich konnte einfach nicht anders und fügte rasch hinzu: „Aber Teddy hat eigentlich nichts getan. Er kann doch nichts dafür, dass ich es ihm erzählt habe."

Soulmates #kleineJuwelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt