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Viel zu früh weckte mich Lucian. Vollkommen verschaffen und erschöpft, aß ich um 5.30 Uhr ein Brötchen mit Marmelade. Das gesamte Frühstück schien irgendwie nach absolut nichts zu schmecken. Es hätte genauso gut aus Sand oder Luft bestehen können.
Doch es war mir egal. Viel lieber starrte ich die gesamte Zeit verträumt Lucian an, der mit nichts weiter als einer Boxerhort durch das Zimmer lief und irgendwelche Dinge erledigte. Als er seine Socke von gestern aufhob, dachte ich mir nicht viel dabei, erst als sie in einem hohen Bogen auf mich zuflog, wurde mir die Gefahr bewusst. Durch meine Müdigkeit reagierte ich jedoch kaum und mit einem leisen „futsch" landete sie direkt auf meinem Gesicht.
Lucian lachte über meinen halb verwirrten, halb bitterbösen Blick, welchen ich ihm mit der Socke zurückwarf.
„Sei fair. Ich kann dich nämlich nicht halb nackt anstarren", erkläre er, als er die Socke lässig aus der Luft fing.
Ich lief sofort purpurrot an.

Trotzdem hörte ich nicht auf Lucian dabei zu beobachten wie er sich anzog, während meine Gedanken zu dem gestrigen Abend wanderten.
Lucian hatte mich gefragt, ob es in Ordnung für mich sei, wenn er unbekleidet neben mir schlief. Vielleicht hatten viele Werwölfe diese Angewohnheit, denn ich wusste noch zu gut, dass auch sein Beta, nach meinem Albtraum, nicht gerade viel anhatte.
Zuerst hatte ich es Lucian erlaubt. Er sollte nicht wegen mir Unannehmlichkeiten haben und seine Gewohnheiten ändern, doch dann musste ich sehr rasch einen Rückzieher machen. Als Lucian auch nur den Bund seiner Boxer Shorts berührte hatte, war ich in eine Art Panikanfall verfallen. Ich wusste im Nachhinein nicht genau wieso, doch es ging mir wahrscheinlich alles viel zu schnell. Vor ein paar Tagen war ich immerhin noch ein sicherer kleiner Einsiedler gewesen, der sich jederzeit in sein Schneckenhaus zurückziehen konnte. Die Folge von dem Erlebnis war, dass ich umso längere Schlafkleidung, bestehend aus einer gigantischen Sporthose und einem ausgeleierten XXL T-Shirt, angezogen hatte.
Das Lucian mich danach nicht bedrängte, rechnete ich ihm hoch an. Immerhin hätte er auf meine Zusage pochen können, ich hätte ja jederzeit aus seinem Zimmer gehen können, doch das hatte er nicht getan. Am Ende war es sogar er, der mich beruhigt hatte und versprach, dass wir uns Zeit lassen würden.

„Du solltest dich beeilen, wir haben schon 5.50 Uhr. Soll ich dich zur Trainingshalle begleiten? Ich muss dann sowieso in die Zentrale."
Ich nickte dankend und Lucian fügte den unnötigen Kommentar hinzu: „Hast du etwa Angst dich zu verlaufen?"
Ich streckte ihm die Zunge heraus, doch er lachte bloß und fügte einschmeichelnd hinzu: „Ach du. Ich habe dich unglaublich gerne."
„Ich überlege mir noch wie sehr ich dich mag", erwiderte ich mit frecher Stimme.
„Ach ja? Dann pass mal auf!"
Er schnappte sich meine Arme und schmiss mich mit seinen Körper auf die Matratze. Dann begann er mich zu kitzeln. Lachend und hilflos nach Luft schnappend lag ich auf meinem Rücken wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Bitte!", flehte ich ihn keuchend an. Zu mehr als diesem herausgepressten Wort war ich nicht fähig, denn vor Lachen bekam ich kaum genug Luft.
„Bitte was?", fragte Lucian sofort nach. Sein Grinsen war teuflisch, als er fortfuhr mich zu foltern.
„Aufhören!", krächzte ich.
Lucian kicherte böse. „Wieso sollte ich das tun?"
Mittlerweile tat mein Bauch weh.
„Weil du..." Ein heftiger Lachanfall hinderte mich daran weiter zu reden.
„Weil ich?", fragte er nach und hörte für einen wundervollen Moment auf mich zu kitzeln.
„Weil du mich magst", führte ich meinen Satz schnell zu Ende.
„Ach so..." Lucian kitzelte mich weiter und ich lachte wieder laut los. „Was bringt mir es, dass ich dich mag, wenn du mich nicht gern hast?", fragte er mich mit scheinbar unglaublich gekränkter Stimme.
„Ich mag dich!", krächzte ich schnell.

„Wie war das?" Lucian hörte kurz auf mich zu kitzeln, doch als ich nicht sofort antwortete begann er von neuem.
„ICH MAG DICH!", schrie ich und Lucian schnurrte erfreut auf.
Seine Hände ließen von mir ab und er flüsterte: „Du magst mich."
Plötzlich verengten sich seine Augen unheilverkünden und seine Hände begannen drohend die Luft zu kitzeln: „Und du sagst das nicht nur, weil ich dich eben kitzelnd auf der Matratze gehalten habe?"
Sofort schüttelte ich den Kopf, um nicht in Gefahr zu geraten erneut diesen gefährlichen Händen ausgeliefert zu sein.
„Hm... Beweise es mir", befahl mir Lucian in einem spielerischen Ton.
Einen Moment lang überlegte ich noch, doch meine Entscheidung stand fest. Ich stürzte mich auf ihn und presste meine Lippen auf die Seinen. Vorsichtig drang ich mit meiner Zunge in seinen Mund ein und er begrüßte sie freudig. Ein wilder Tanz folgte. Unsere Körper bewegten sich voller Leidenschaft.
Als wir uns schwer atmend voneinander trennten, schauten wir uns beide grinsend an. Lucian schien mich erneut küssen zu wollen, denn sein Kopf beugte sich leicht zu mir herunter. Ich wollte bereits einwilligen, als mein Blick auf die schlichte Uhr an der Wand fiel und ich spitz schrie: „5.58 Uhr! Sie wird mich umbringen!"
Lucian fing an erneut zu lachen. Er schmiss mich über seine Schulter und rannte in Werwolf Geschwindigkeit los.

Punkt 6 Uhr befand ich mich mit zitternden Knien vor der Halle.
Die rothaarige Teufelin nickte zufrieden, zumindest bis sie meine Schlafkleidung sah, die ich immer noch trug. „Was sollen diese Fetzen?", fragte sie mich streng. „Geh dort in die Umkleide. Sei froh, dass ich dir passende Trainingskleidung besorgt habe."
Ich nickte ergebend, da ich meine Trainerin nicht noch mehr verärgern wollte, trotzdem konnte ich mir einen letzten Blick auf Lucian nicht verkneifen.
Ich mochte ihn wirklich, das war mir in diesem Moment nur zu gut bewusst. Allerdings bezweifelte ich immer noch, dass ich wirklich die Richtige für ihn war. Dieser Gedanke schickte schmerzhafte Blitze durch meine Brust und ich wandte mich ab.
Ohne noch einmal zurückzusehen, stürmte ich in die Umkleide. In Windeseile warf ich mir die Sportunterwäsche, sowie die schwarze locker sitzende Stoffhose und das dunkle T-Shirt über.
Auf einmal klopfte es an der Tür. Es war nicht die Tür zur Trainingshalle und so war ich mehr als nur ein bisschen erstaunt, als ich „Herein?", rief.
Lucian öffnete die Tür und warf mir die gesicherte Glock samt Holster zu. „Versprich mir, dass du sie ab sofort überall mit hinnimmst", bat er mich mit ernster Stimme.
Ich wollte ihn so viel mehr Sagen, so viel mehr Fragen und wünschte mir die Zeit dazu, doch ich besaß sie nicht, ebenso wenig wie Lucian sie besaß. Aus diesem Grund brachte ich nur ein Einfaches: „In Ordnung", hervor. Lucian nickte zufrieden. Seine Augen warfen mir einen letzten langen Blick zu, bevor er die Tür wieder hinter sich schloss.

Da die Sporthose keinen Gürtel besaß musste ich die Pistole notgedrungen einfach in der Hand tragen, als ich die Halle erneut betrat.
Meine Trainerin nahm mich nickend zur Kenntnis. Sie kam auf mich zu, gab mir rasch meine Anweisungen und nahm die Pistole für die Dauer des Nahkampftrainings in Gewahrsam. Zuerst kam wieder das Aufwärmen, dann einige Dehnungsübungen. Doch heute gingen wir danach nicht sofort zum Nahkampf über, stattdessen erklärte mir die Offizierin die Schwachstellen des Menschen, etwa Nase, Knie oder auch der Solarplexus, ein Nervengewebe, dass ungefähr in der Mitte der Brust saß und die Funktion der inneren Organe steuerte. Ich lernte wie ich die einzelnen Stellen am besten treffen konnte und welche Wirkung diese hatten.

Für den nächsten Trainingsabschnitt gesellte sich ein noch recht junger gigantischer Werwolfsmann namens Jean zu uns. Er besaß einen drei Tage Bart, so wie ernste dunkle Augen, die mich genau musterten. An ihm sollte ich einige Schläge und Tritte üben, wobei er sich natürlich auch wehren würde. Da Gestaltwandler scheinbar sehr unempfindlich waren und über unglaubliche Heilungskräfte verfügten, befahl man mir etwa auch seitliche Tritte gegen das Knie zu wagen oder gar einen Angriff auf die Genitalien. Meiner Meinung nach war dieser Mann, wenn er freiwillig hier war, einfach nur ein Idiot oder er stand auf Schmerzen.
Im Nachhinein war ich jedoch wirklich froh, dass er mir geholfen hatte. Denn selbst bei einem Tritt gegen die Kronjuwelen konnte man so einiges falsch machen. Man durfte die Deckung nicht vernachlässigen, schon gar nicht sein Gleichgewicht verlieren und bloß nicht zögern. Heute hatten mich die Fehler nur schmerzhafte blaue Flecken gekostete, doch in einer Notsituation hätten sie mein Leben verlangen können.
Als letztes durfte ich erneut schießen. Die Übung lief fast wie gestern ab, nur das ich die letzte Übung zweimal meistern musste. Diesmal hatte ich zudem ein Zeitfenster. Ich musste jedes Ziel innerhalb von 5 Sekunden treffen.
Vollkommen erschöpft, versprach ich am des Trainings am nächsten Tag wieder um 6 Uhr in der Halle aufzutauchen. Jeder Knochen und Muskel schmerzte und bat mich nicht erneut zum Training zu kommen, doch ich wusste ich würde es tun. Nicht für mich, sondern für Lucian und all die Werwölfe, welche ich durch meine Schwäche in Gefahr brachte.

Soulmates #kleineJuwelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt