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Erstaunt drehte ich mich um und konnte meinen Augen kaum glauben. Wie war das nur möglich?
Ich hatte bereits aus Erzählungen gehört, dass die Größe eines Werwolfes nichts mit seiner menschlichen Form zu tun hatte, doch es mit meinen eigenen Augen zu sehen, änderte noch einmal alles.
Vor mir stand ein gewaltiger Wolf. Seine massiven Schultern reichten mir bis zu meinem Kopf. Wenn das Tier vorgehabt hätte mich zu essen, hätte er mich in einem Happs hinunterschlingen können. Wahrscheinlich war ich nicht einmal ein besonders großer Imbiss für ihn.
Nur seine intelligenten Augen hielten mich davon ab in Panik zu verfallen. Die Iris hatte eine leuchtend goldene Farbe, doch zu meinem Erstaunen erkannte man beim genaueren Hinsehen kleine tiefgrüne Sprenkel in ihr. Diese Flecken waren winzig, fast nicht sichtbar, doch die Farbe war genau dieselbe wie die von Lucians wunderschönen Augen. Vorsichtig streckte ich meine Hand aus.
„Hey du..." Ich stockte und meine Hand schwebte in der Luft. Es herrschte eine gewisse Vertrautheit zwischen mir und dem gigantischen Tier, doch gleichzeitig schien es mir so fremd, so wild zu sein.

Der Wolf beugte seinen erhabenen Kopf zu meiner Hand und schmiegte sich vorsichtig an sie. Das glänzende Fell des Tieres war sehr dicht. Es war nicht flauschig wie das eines Jungtieres, doch es war weich, warm und unter diesem pulsierte das Leben mit kräftigen Schlägen, durch die muskulöse Gestalt.
„Lucian?", der Wolf nickte und öffnete leicht sein Maul. Seine wundervollen Augen funkelten voller Freude auf. Ich hatte diese Frage aus irgendeinem kindischen Grund stellen müssen, obwohl ich die Antwort tief in meinem Herzen längst gewusst und akzeptiert hatte.
Bewundernd betrachtete ich weiter seine gewaltige Gestalt. Es war kein Wunder, dass man die Wölfe für den Kampf damals erschaffen hatte, doch was die Menschen nicht gesehen hatten, war das diese Wesen noch so viel mehr waren. Hochintelligent hatten sie es geschafft eine Gesellschaft in mitten des Hasses aufzubauen. Sie hatten sich diese Stellung erkämpfen müssen, doch das hieß nicht, dass sie weiterkämpften. Sie regierten zwar mit eiserner Hand, doch im Rudel selbst herrschte Frieden. Nicht nur das, sie waren zu einer großen Familie zusammen gewachsen, wie es wir Menschen mit unseren Streitigkeiten und unserer Gier wohl nie schaffen würden.

Mutiger geworden strich ich nun über das kupferne Fell von Lucian. Aus der Kehle des Wolfes kam fast schon ein schnurrendes Geräusch, was mich zum Lachen brachte. War er doch eher eine zu massiv geratene Wildkatze?
Fasziniert strich ich über die einzelnen weißen Flecken, die immer wieder die rote Pracht durchbrachen und fröhlich zum Vorschein kamen. Unter dem Fell konnte ich an einigen Stellen Narben spüren, doch sie waren alle bereits von der Zeit geheilt worden.
Als ich endlich meine Neugier befriedigt hatte, flüsterte ich Lucian zu: „Du bist wunderschön, genauso wie dieser Ort hier."
Lucian kläffte fröhlich und ich konnte nicht anders als breit zu Grinsen. Trotz des Schlammes setzte ich mich auf den Boden. Ich würde die Kleidung nachher zwar irgendwie waschen müssen, doch das war mir im Moment egal.
Der Wolf legte sich hinter mich. Zuerst mit einer gewissen Entfernung, doch als ich nicht zurückzuckte, kam er mir immer näher, bis sein massiver Körper sich fast ganz um den Meinen schlang.
Ich fing an mit kleinen Bewegungen durch sein warmes Fell zu kreisen, während wir das fast schon magische Naturspiel vor uns beobachteten.

Langsam wurde es dunkel. Lucian stupste mich sanft an. Wir mussten scheinbar wieder zurück. Wehmütig warf ich einen letzten Blick auf den Wasserfall. Mittlerweile waren die kleinen Regenbögen verschwunden, doch ich war mir sicher, dass der Schein des Mondes erneut etwas Magisches an diesen Ort bringen würde.
Erneut stupste mich Lucian an.
Seufzend stand ich auf. Meine Glieder fühlten sich wie versteinert an. Es war als wäre ich zu einem Teil des Waldes geworden und nun weigerte mein Körper sich so zu bewegen wie ich es ihm befahl. Er wollte wohl für immer hier bleiben.
Auch Lucian rappelte sich auf. Er streckte sich und schüttelte sich dann wie ein nasser Hund, um die Trägheit in seinen Knochen loszuwerden.
Nicht gerade begeistert, dachte ich an den Weg, der nun vor uns lag. Er würde weit, lang und um einiges schwieriger zu bewältigen sein als die Hinreise. Da es bereits dunkel wurde, würde ich bald kaum mehr den unebenen Boden erkennen können.
Lucian stupste mich erneut an.
Grummelnd setzte ich mich in Bewegung. Irgendwie musste ich ja wieder zu der Burg kommen.
Meine Schritte waren so unbeholfen wie die ersten Gehversuche eines jungen Rehkitzes. Lucian betrachtete mich sehr kritisch, bevor er sich auf den Boden legte und mich neugierig beobachtete.
Wütend blitzte ich ihn an. Ich wusste ja, dass ich langsam war, doch das musste er mir nicht so eindeutig sagen. Es war ja schön für ihn, dass er vier Beine hatte und so noch ein kleines Nickerchen machen konnte, während ich langsam losstapfte. Er sollte jedoch nur abwarten, ich würde schneller, als er glaubte, wieder bei der Burg sein. Natürlich angenommen ich verlief mich nicht hier in diesen ziemlich dunklen und dichten Wald, in dem absolut alles gleich aussah.
Verwirrt drehte ich mich um die eigene Achse. Von welcher Richtung war ich mit Lucian damals gekommen? Ich hatte nicht mehr den blassesten Schimmer. Vollkommen ratlos starrte ich den Wald an, der ebenso verwirrt sein musste, durch meinen hilfesuchenden Blick, wie ich. Wie sollte er mir auch antworten?

Lucian gab ein kehliges Bellen von sich. Es hörte sich irgendwie wie ein Lachen an. Wütend blitzte ich ihn an. Er hatte ja keine Ahnung wie es war mit keinem Orientierungssinn geboren worden zu sein.
Durch meinen Zorn geleitet, lief ich einfach in irgendeine Richtung los. Sofort sprang der Wolf auf und landete vor mir.
„Ach jetzt kommst du?", zischte ich ihn an und wollte wieder an ihm vorbei laufen, doch Lucian versperrte mir immer wieder den Weg.
„Was willst du?", fragte ich irgendwann vollkommen entnervt. Der Wolf legte sich vor meine Füße und schien zu versuchen mit den Augen zu rollen. „Ich will auch schlafen, glaub mir, aber..."
Lucian schüttelte sich so als hätte ich eine absolut komische Schlussfolgerung gezogen.
„Was möchtest du dann?", fragte ich mittlerweile ziemlich verwirrt nach.
Der Wolf versuchte mit seinem Kopf auf seinen Rücken zu zeigen, was wirklich komisch aussah. Ich kicherte, was mein Gegenüber zu einem seltsamen Knurren veranlasste. Was wollte er mir damit sagen?
Wieder machte er diese seltsame Geste mit den Kopf und endlich verstand ich.
„Du möchtest, dass ich auf deinen Rücken klettere?"

Der Wolf nickte so freudig, dass es nichts anderes als eine Zustimmung sein konnte.
„Aber beschwer dich dann bloß nicht, dass ich zu schwer bin", grummelte ich noch, doch die Wahrheit war, dass ich zwar extrem nervös, aber auch voller Vorfreude war. Wer bekam sonst die Gelegenheit auf einen gigantischen Wolf zu reiten?
Da Lucian sich hingelegt hatte und sehr ruhig dort blieb, war das aufsteigen nicht wirklich schwer. Anders sah es jedoch aus mit einer halbwegs sicheren Sitzposition. Nach langem hin und her blieb ich einfach dort, wo ich gerade saß, denn ich würde wohl keine bessere Position finden.
Lucians Fell war wundervoll warm. Ich schlang meine Arme um den Hals des Tieres und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich glaube ich bin dann so weit."
Sofort machte das Tier unter mir einen gewaltigen Satz nach vorne und ich konnte nicht anders als einen kleinen Schrei loszulassen. Fast wäre ich von dem Rücken des Wolfes gepurzelt. Augenblicklich wurde Lucian langsamer und vorsichtiger.
Nach einer Weile gewöhnte ich mich an die Bewegungen der Muskeln unter mir und der Wolf wurde wieder schneller. Es war nicht die gemütlichste Art und Weise zu reisen, doch wie der Wind mir in das Gesicht peitschte und die Bäume wie Schatten an uns vorbei rasten, fühlte ich mich vollkommen frei. Es war fast schon so als würden wir durch die Bäume fliegen.

Soulmates #kleineJuwelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt