Kapitel 16

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Nica


„Was ist eigentlich mit dir passiert, seit ich weg bin? Wo kommen all die Muckis her? Du hast Fitnessstudios doch nie gemocht." Mit dem Zeigefinger piekte ich David so lange gegen die Brust bis er meine Hand wegschubste.

„Ich musste mich doch irgendwie ablenken."

„Ablenken wovon?" Neugierig zog ich die Augenbrauen nach oben und musterte ihn eingehend.

„Davon, dass du so plötzlich verschwunden warst. Wie vom Erdboden verschluckt. Wenn ich genug davon hatte, mich im Bett von einer Seite zur anderen zu drehen oder die Decke anzustarren, bin ich ins Fitnessstudio gefahren und habe mich dort abreagiert. Am Sandsack, auf dem Laufband oder mit Gewichten. Außerdem habe ich viel Freizeit im Reitstall verbracht, denn irgendjemand musste sich ja um Sunshine kümmern."

Schuldbewusst zog ich die Schultern ein und senkte den Blick. „Es tut mir so unendlich leid. Ich wünschte das hätte alles anders laufen können."

Er zog mich wieder in seine Arme und küsste mich auf den Scheitel. „Das weiß ich doch. Und jetzt wo ich den Grund für deine Flucht kenne, kann ich dich auch verstehen."

Erneut sammelten sich Tränen in meinen Augen, denn es brach mir fast das Herz zu hören, wie sehr mein Bruder in den letzten achtzehn Monaten gelitten hatte. Das hatte ich ihm wirklich nicht antun wollen. Wie sollte ich das nur je wieder gut machen?

„Hey, hör' jetzt auf dir dein hübsches Köpfchen zu zerbrechen und erzähl mir lieber, was du in den letzten Monaten so getrieben hast. Wo bist du überall gewesen und als was hast du da so gearbeitet?" David schob mich wieder hinüber zu dem Stuhl, auf dem ich noch wenige Minuten zuvor gesessen hatte, und drückte mich dann sanft an den Schultern nach unten.

Nachdem ich mich kurz gesammelt und die Tränen erfolgreich weggedrückt hatte, begann ich zu erzählen. Von jeder einzelnen Station meiner Flucht. Von all den Leuten, die ich dort kennen gelernt hatte. Von all den Orten und Plätzen, die ich gesehen hatte. Und natürlich auch von all den Jobs, die ich angenommen hatte, nur um mir ein paar Lebensmittel und ein billiges Dach über dem Kopf leisten zu können. David hörte aufmerksam und fasziniert zugleich zu, stellte immer wieder Fragen, da er kaum glauben konnte, was er da hörte und stieß abschließend einen anerkennenden Pfiff aus.

„Ich wusste ja schon immer, dass meine kleine Schwester Biss hat, aber das übertrifft wirklich alles. Echt beeindruckend. Man könnte sogar glatt ein wenig neidisch werden."

Ein Lob von meinem Bruder ließ mich immer erröten und bedeutete mir mehr als von irgendjemandem sonst. Ich winkte ab und schüttelte den Kopf. „Das ist doch nichts Besonderes, nur der pure Überlebensinstinkt."

„Quatsch. Wir wissen doch beide, wie sehr du Fischgeruch verabscheust und dann heuerst du ausgerechnet bei einem Fischer an. Wie viele Menschen mit dieser Abneigung hätten das gemacht? Sicher kaum eine handvoll", war er sich sicher und nahm einen Schluck von seinem inzwischen kalten Kaffee. „Bäh, ich hasse kalten Kaffee. Machst du bitte nochmal neuen?"

Ganz die liebe Schwester und freundliche Gastgeberin kochte ich natürlich eine neue Kanne Kaffee. Während ich also der Maschine lauschte tapste Suki mit zerzausten Haaren und gähnend in die Küche.

„Morgen", murmelte sie und nahm einen großen Becher aus dem Schrank über der Spüle. „Du bist echt die beste Mitbewohnerin der Welt, weil du extra Kaffee für mich kochst."

„Ähm...eigentlich koche ich den nicht für dich."

„Ach nee?" Ihre müden kleinen Äuglein musterten erst mich und wanderten dann zum Wohnzimmer. „Außer uns sehe ich nur noch Scooby auf dem Sofa, also ist der Kaffee doch für mich."

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