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|The 1st|

Mit finsterer Miene scroolte Arya den Instagram-account ihrer alten Freundin herunter. Victoria Pandey, kurz "Vicky" zeigte sich auf ihren Selfies damals wie heute am liebsten mit Kussmund. Der Nashville-Filter, den sie in den meisten Fällen über ihre Fotos legte, verlieh ihren tiefschwarzen Haaren einen leichten violetten Stich.

Ihre Beiträge hatten in den letzten Jahren eine beachtliche Zahl erreicht. 217 Bilder, auf denen sich ihr gesamtes Leben abzuspielen schien. Auf den neusten Selfies war sie häufig mit einem blonden Mädchen zu sehen, dem eine eckige Brille auf der Nase saß. Darunter immer wiederkehrende Botschaften, wie: "Love U so much cutie", oder: "Best day of my life". Natürlich alles hübsch unterlegt mit Herzen jeder Farbe.

Vicky hatte Arya durch eine neue "Beste-Freundin-Fürimmer" ersetzt, wenige Wochen, nachdem sie von Kanada nach Sankt Petersburg gezogen war.

Plötzlich traten ihr Tränen aus Wut und Enttäuschung in die Augen, als sie am unteren Ende ihres Profils angekommen war. Vicky hatte ihre gemeinsamen Bilder gelöscht. All die dämlichen, schönen Erinnerung waren mit ihnen verschwunden.

Blitzschnell sperrte sie ihr Smartphone und legte es etwas grob auf den Tisch. Arya biss die Zähne zusammen und wischte sich die unvergossenen Tränen aus dem Gesicht.

Das hatte sie nicht nötig.

Ihre ehemalige Freundin hatte sich niemals bei ihr gemeldet. Hätte Arya gewusst, dass es sich bei ihrer Freundschaft um eine derart instabile soziale Bindung handelte, hätte sie sie gleich in den Wind geschossen.

Das Mädchen stieß einen langen Atemzug aus. Sie schlürfte an dem Kakao, den sie in dem kleinen Cafe bestellt hatte, verbrannte sich die Zunge, weil er noch zu heiß war und stützte anschließend frustriert ihr Kinn auf ihre Faust. Wenigstens gab es hier kostenloses, schnelles Internet, die Preise waren ordentlich und der Kuchen köstlich.

Es war nicht ungewöhnlich, dass Arya an einem Freitagnachmittag hier absackte, anstatt Nachhause zu gehen.

Sie hatte sich heute morgen mit ihrer Schwester gestritten und sie hatte Linda satt, die sie andauernd drängte, mehr für die Schule zu lernen und gleichzeitig endlich Freunde zu finden.

Aber Russland und Arya passten einfach nicht zusammen. Obwohl sie sich längst an das schlechte Wetter und die kalten Winter gewöhnt hatte, fühlte sie sich hier in Sankt Petersburg selbst nach einem halben Jahr alles andere als wohl.

Die dunklen Gedankengänge des Mädchens nahmen ein jähes Ende, als die Tür aufgerissen wurde. Die wenigen Gäste, die sonst noch anwesend waren, nahmen keine Notiz von dem Neuankömmling. Der alte Mann las gerade einen Zeitungsartikel über die Verschmutzung der Wolga und das Pärchen am anderen Ende des Raumes flüsterte sich schon die ganze Zeit gegenseitig ins Ohr, und kicherte im Anschluss seelig. Igitt igitt.

Nur Arya fuhr hoch und schaute hin. Ein Junge kam herein. Ihr Herz krampfte sich aufgeregt in ihrer Brust zusammen.

Sie hatte schon viele Jungen gesehen aber dieser hier war anders.

Seine Schönheit war atemberaubend, als wäre eine Gestalt aus der nordischen Mythologie zum Leben erwacht.

Arya musterte ihn- irgendwie kam er ihr bekannt vor. War er ein männliches Model? Ein Schauspieler? In einer dieser Sitcoms, die jeden Tag liefen? Sie konnte ihn einfach nicht einordnen.

Mit den Augen verfolgte sie, wie er zur Theke ging. Er war nicht besonders groß und seine Schultern mehr schmal als breit, aber sein Hintern in der Jeans war eine Augenweide. Arya hatte das Bedürfnis aufzustehen und die Hände in seinen hellblonden Haaren zu vergraben, die ihr so verführerisch weich vorkamen. Nein, da konnten ihre gefärbten Haare definitiv nicht mithalten. Der helle Farbton wurde am Haaransatz schon längst durch das normale, langweilige Braun abgelöst.

Während sie seinen Rücken anschmachtete, bestellte der Junge einen Cappucino. Seine Stimme klang tief und er machte sich nicht die Mühe den Angestellten zu begrüßen. Naja, immerhin sagte er 'Danke'. ,,Spasibo."

Er bezahlte, und als er sich zum gehen umdrehte, streiften sich ihre Blicke für den Bruchteil einer Sekunde. Arya senkte mit heißen Wangen den Kopf, aber sie wusste, dass er sie bemerkt hatte. Peinlich, dachte sie bei sich.

***

Als Arya Nachhause kam, blickte ihre jüngere Schwester von ihrer Müslischale hoch, die sie auf ihrem Schoß balancierte. Im Schneidersitz hockte sie auf der Couch und sah fern. Mit voller Lautstärke dröhnte das Geplapper einer alten englischen Cartoonserie aus den Boxen.

Schnurstracks marschierte Arya zum Fernseher und machte den Ton leiser. ,,Verdammt nochmal, du sollst ihn nicht so laut stellen, Tye!", fuhr das Mädchen sie an.

Taylor zuckte mit den Schultern und wühlte sich auf der Suche nach der Fernbedienung durch die Sofakissen. ,,Konnte nicht schlafen...", erwiederte sie zusammenhangslos.

Arya knirschte mit den Zähnen. Ihr Rucksack plumpste auf den Boden und sie schmiss ihre Jacke achtlos über den Garderobenständer.

Inzwischen hatte Taylor die Fernbedienung gefunden und stellte den Ton wieder lauter. Dann ließ sie sich in die Kissen zurücksinken und schob sich einen großen, tropfenden Löffel Müsli in den Mund.

,,Wo ist Linda?"

Sie schenkte Arya einen genervten Blick. ,,Nenn' sie nich 'Linda'."

Zu gerne hätte sie jetzt einen bissigen Kommentar abgegeben, aber sie atmete tief durch und sparte sich die Worte. Sie hatte schon ein paarmal versucht, Taylor zu erklären, warum sie ihre Mutter seit dem Umzug nur noch bei ihrem Vornamen nannte, aber sie kapierte es nicht. Als sie Arya nach Russland geschleift hatte, war etwas in ihr zerbrochen; das Vertrauen in sie als eine Mutter.

Arya war kurz davor den Fernseher auszuschalten und wiederholte ihre Frage. ,,Streng mal dein' Grips an." grummelte Taylor schnippisch, den Mund voll Müsli, und verdrehte übertrieben die Augen.

Linda war bestimmt wieder mit Dimitri ausgegangen.

Taylor widmete sich wieder der niveaulosen Zeichentrickserie, die sie gehasst hatte, als sie noch in Kanada lebten und Arya ging in die Küche, in der Hoffnung etwas Essbares vorzufinden.

Dimitri, ihr neuer Stiefvater, war wohlhabend. Er hatte sogar fast so viel Geld, dass es ihm aus den Ohren heraus quoll. Der Kühlschrank war bis zum Platzen gefüllt, weil Linda gerne kochte, aber oft bestellten sie sich auch teures, köstliches Essen bei verschiedenen Lieferservicen.

Weil sie jedoch keine Lust hatte zu warten, begnügte sie sich, genau wie Taylor, mit Cornflakes. Während sie die Zerealien in sich reinschaufelte, schaute ich auf die Uhr. Eine Viertelstunde vor Mitternacht. Völlig egal. Morgen war sowieso Samstag, und Arya stellte voller Vorfreude fest, dass sie endlich wieder eislaufen können würde.

ICE!!! ICE BABYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt