"Du hattest sie echt gern, oder?", Steffan strich mir über die Schulter. Ich nickte etwas betrübt: "Sie waren eine der ersten, die mich so in der Gruppe sagen wir angenommen hatten." Caleb erwachte quengelig aus seinem Nickerchen. Vermutlich spürte er meine Unruhe. "Hey Großer. Na was geht?", redete Steffan auf ihn ein und begann die Babyschale hin und her zu schaukeln, "Wär's möglich, dass du nachher den Rückweg fahren würdest? Ich glaube deine Mami ist dann zu aufgewühlt. Erinnerungen an vergangene Freundschaften sind nie leicht zu verkraften. Du musst sie da also verstehen." Ich musste grinsen. Es war einfach zu süß, wie er mit Caleb umging. Ich sah den Stapel Bilder weiter durch. Es folgten alle halbjährlichen Teamfotos bis 2015. "Krass wie vor allem du dich verändert hast", sagte Steffan erstaunt, "Am Anfang noch immer total schüchtern am Rand und unauffällig und auf dem letzten halten dich die Jungs alle hoch, also wenn das mal keine Veränderung ist." Das war wahr! Ich hab mich wirklich ziemlich verändert, innerlich und äußerlich. Ich bin selbstbewusster geworden, bin natürlich gewachsen und meine Haare auch. Zwischendurch hatte ich auch mal nen hellblauen Ombre in den Haaren. 2011 hatte ich auf dem Teambild sogar Rastazöpfe. Das sah nicht mal schlecht aus. Ich weiß sogar noch wieso ich mir die hab machen lassen, weil ich das damals in vielen Fights gesehen hab und es war auch wirklich immer vorteilhaft, aber irgendwann mussten die natürlich wieder raus. Ich hatte circa zwei Wochen lang ganz viele kleine Wellen in meinen Haaren. Am meisten hatte ich mich erschrocken als ich das Bild von 2015 sah: ich hatte eine Schramme im Gesicht, ein blaues Auge und die blauen Flecken am Schlüsselbein und an den Armen waren nicht zu übersehen. Ich hatte mich zu der Zeit so dermaßen unter Druck gesetzt, wollte einfach alles schaffen und war wirklich jeden Abend beim Training. Weil mir das nicht gereicht hat, hab ich mich zwischendurch noch in irgendwelchen zwielichtigen Studios rumgetrieben, wo das Training nur aus kämpfen bestand. Ein anderes Bild zog plötzlich meine Aufmerksamkeit an sich. Es war ein relativ altes Foto. Eine Person erkannte ich in weniger als einer Sekunde: meine Mutter. Sie lag im Krankenhaus mit einem Baby auf dem Arm. Ich drehte das Bild um: 12/08/1997 Ich konnte also nicht das Baby auf dem Arm meiner Mutter sein. Eine weitere Person saß auf dem Bett des Krankenhauses, welche ich nicht identifizieren konnte. "Steffan", ich hielt ihn das Bild hin, als er aus der Küche kam, "Wer ist der Typ neben meiner Mutter?" Beinahe geschockt sah er mich an: "Wo hast n du das her?" "Das lag hier zwischen." Er setzte sich wieder neben mich und nahm das Bild an sich. Nachden er eine Weile einfach nur da saß und sich das Bild angesehen hatte, antowortete er: "Das ist echt lang her! Da bin ich gerade mal 19." "Wie, das bist du auf dem Bild?" "Ne, aber ich bin noch auf nem anderen Bild mit drauf." "Du kanntest meine Mutter schon bevor ich bei euch trainieren wollte?", fragte ich ihn irritiert. "Ja, genauer gesagt kannte ich sie noch aus der Oberstufe." "Als ob?!", grinste ich erstaunt, "Und wer ist dann der Typ auf dem Foto?" Steffan biss sich auf die Unterlippe. Er war offensichtlich unsicher, ob er mir sagen sollte, was er im Kopf hatte. "Steffan?!" "Das ist dein Vater." Ich schluckte: "Das heißt ich hab nen großen Bruder beziehungsweise ne große Schwester?" Steffan nickte. Er schien etwas erleichtert von der Frage gewesen zu sein. Als ich anfangen wollte darüber nachzudenken was er erwartet hätte, hatte ich es schon gesagt: "Du Arschloch kennst meinen Vater? Du hast nichts gesagt, als Maik dachte, dass er mein Vater wäre. Wie kann man so hinterhältig sein?" "Hör zu, Josi, ich hatte deiner Mutter versprochen nicht darüber zu reden und wäre es nicht komisch gekommen, wenn ich gleich gesagt hätte, dass Maik nicht dein Vater ist?" "Meine Mutter ist tot, Steffan. Außerdem hab ich ja wohl das Recht darauf zu erfahren wer mein leiblicher Vater ist!", empört sprang ich auf. "Schon, aber ich wusste nicht wie ich dir hätte erklären sollen, dass ich über viele Jahre hinweg mit deinem Vater befreundet bin. Es tut mir leid!", wie ein kleiner Junge sah er mich unschuldig an. "Hast du noch Kontakt zu ihm?", ich sah ihn noch ernster an als zuvor. Er biss sich nevös auf die Unterlippe. Ab dem Moment brauchte er mir nicht mehr zu antworten. Er hatte also noch Kontakt zu ihm. Ich verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und sah von ihm weg. Ich konnte ihn in dem Moment einfach nicht ansehen. Er wusste genau wie ich oft darunter gelitten habe, vorallem als meine Mutter gestorben war und er lässt mich eiskalt im Dunkeln stehen, während er sich hinter meinem Rücken noch mit dem Typen spricht und einen Trinken geht oder so. "Weiß er das?" "Was? Dass ich so den Kontakt mit dir habe?", ich nickte, "Nein." Ich schüttelte enttäuscht den Kopf. "Ich kann dich verstehen, dass du jetzt extrem sauer auf mich bist und dass das jetzt alles erstmal richtig scheiße ist, aber hey, sieh es doch mal so: Du hast quasi jederzeit die Gelegenheit dich mit ihm zu treffen beziehungsweise ihn zu sehen." "Du hast nichts verstanden, oder?", ich sah ihn misstrauisch an, "In all den Jahren, in denen wir uns kennen, hast du nie verstanden wie lange mir es etwas bedeutet hatte meinen Vater zu kennen und warum es schon seit einigen Jahren nicht mehr so ist, dass ich unbedingt meinen Vater kennen möchte und ihn alles zu fragen was mir auf der Seele brennt." Steffan sagte nichts mehr. Sein Blick sagte dafür alles: Es tat ihm leid. Aber nicht, dass er mit meinem Vater Kontakt hatte, sondern, dass ich es herausgefunden hatte. Nachdem wir uns knappe zehn Minuten angeschwiegen hatten, war ich der Meinung, dass es ja eh keinen Sinn mehr machen würde: "Okay, ich glaub wir gehen jetzt lieber, bevor wir uns jetzt den restlichen Abend nur anschweigen." Er nickte nur einsichtig und stand mit mir auf. Ich nahm Calebs Babyschale und ging in Richtung Tür. Steffan war schneller und öffnete mir die Tür. Er wollte mich zum Abschied umarmen, doch ich lief an ihm vorbei. "Bis die Tage mal, okay?", seine Stimme klang etwas traurig. "Hm, mach's gut!"
Ich zog die Autotür zu und ließ mich gegen die Rückenlehne fallen. Calebs Schnuller war ihm mal wieder aus dem Mund gerutscht und er wackelte mit seinen kleinen Händchen in der Babyschale herum. Wie konnte man ein so kleines Kind zurück lassen? Wie konnte mit jemandem befreundet sein, von dem man weiß, dass er ein quasi Familienmitglied im Stich gelassen hat?
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love a fighter - #Wattys2020
Подростковая литератураJosi ist 16 und MMA-Fighterin aus Leidenschaft. Sie wächst allein bei ihrer Mutter auf, die so gut wie nie da ist. Ihr Leben ist der Sport und damit verbunden ihre engsten Freunde, die für sie eigentlich schon wie eine Familie sind. Doch auch in...