Kapitel 1 ~ Sturmfrei!

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Alles begann vor ein paar Jahren im Winter. Nein, nein, nein, nein. Das ging mir die ganze Zeit durch den Kopf. Und es war meine Schuld, das auch. Es fühlte sich an, als würde mein Kopf gleich platzen. Ich schaffte es nicht, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren. Fast blind lief ich instinktiv in die richtige Richtung. Nein, nein, nein, nein. Ich konnte es nicht ändern. Es war meine Schuld. Warum habe ich nicht die Klappe gehalten?
Nein,
nein,
nein...
"HEY!"
Plötzlich wurde ich von jemandem nach hinten gezogen und somit aus meinen Gedanken gerissen. Als ich aufsah, saß ich auf dem Boden und eine Frau sah mich erschrocken an. "Pass auf wo du läufst." rief sie. Vor mir sah ich die Straße, die nur wenige Minuten von meinem Haus entfernt war. Die Ampel war auf Rot, und ein Auto fuhr schnell vorbei. War ich schon so weit gelaufen? Langsam stand ich auf und musterte die Frau. Sie hatte braune Haare, die sie zu einem Zopf gebunden hatte und grüne Augen, mit denen sie mich besorgt ansah. "Du wärst fast überfahren worden." Ich sah sie perplex an und vergrub mein Gesicht in dem Kragen meiner Jacke. "Geht's dir gut? Du bist so blass." Ihre Wut und Panik, die vorhin noch in ihrer Stimme zu hören war, verschwand auf einem Schlag komplett und besorgt legte sie eine Hand auf meine Schulter, worauf ich kurz zuckte. Was sollte das? Sie kannte mich doch gar nicht. "Hör zu, du siehst echt nicht gut aus. Ich bin Ärztin an der Klinik am Südring und wenn du möchtest könnte ich..." weiter kam sie nicht. Denn als sie wieder versuchte, ihre Hand beruhigend auf meine Schulter zu legen, sprang ich auf und rannte über die Straße. Die Frau rief mir hinterher, weil die Ampel immer noch auf Rot stand, doch das kümmerte mich wenig. Mit schnellen Schritten rannte ich den letzten Weg nach Hause, ohne mich umzudrehen.

Zuhause schloss ich mich direkt in mein Zimmer ein. "Hey Liv-Mäuschen, ist alles in Ordnung?" fragte meine Mutter mich durch die geschlossene Tür. "Ja." Antwortete ich nur, womit sie sich zufrieden gab. Ich warf meine Jacke in die Ecke und schmiss mich aufs Bett. "Dein Vater und ich fahren um 17 Uhr. Kommst du dann kurz runter?" Ich nickte. Meine Eltern hatten sich entschlossen, mal einen Urlaub zu zweit zu machen. Da ich vor kurzem volljährig geworden bin, konnten sid mich beruhigt alleine zuhause lassen. "Mäuschen?" Fragte meine Mutter vorsichtig. Stimmt ja, sie konnte mich durch die geschlossene Tür ja nicht sehen. "Ja, ich komme in einer halben Stunde runter." Antwortete ich nun mit einem Blick auf die Uhr. Anschließend hörte ich meine Mutter die Treppe runter laufen. Mein Zimmer war das einzige im Obergeschoss, sonst gab es dort nur noch ein Bad, was von meinem Zimmer und dem Flur aus zu erreichen ist.
Ich starrte immer noch auf die Uhr. Ob man es schon bemerkt hatte? Bestimmt war in diesem Moment ein Krankenwagen mit Sirenen unterwegs. Ich grub mein Gesicht noch tiefer in mein Kopfkissen. Es roch nach meinem älteren Bruder Ben. Er wohnt nicht mehr bei uns, kommt aber ab und zu zu Besuch und schlief dann in meinem Bett.
Ich hörte meine Eltern unten. Sie wussten nicht, das mein Zimmer eigentlich ziemlich hellhörig war. Wenn ich selber etwas leiser war, konnte ich jedes Geräusch im Haus hören. "Bist du sicher, das wir fahren sollten? Liv wirkt irgendwie nicht gut." Hörte ich meine Mutter sagen. "Nein, nein. Sie hat sich doch so gefreut das sie die Zeit jetzt für sich hat und wir haben uns so über den Urlaub gefreut. Das ist bestimmt nur die Vorfreude." Versicherte mein Vater ihr. Dann drehten sie das Radio auf und ich konnte nicht mehr hören, was sie sagten.
Ich lag einfach nur in meinem Bett, mit den Gedanken so durcheinander wie die Farben in einer M&Ms Packung, bis meine Uhr einen Pieplaut machte. Das machte sie jede Stunde. Ich stand langsam von meinem Bett auf und machte anschließend einen Umweg ins Bad, wo ich mir Wasser ins Gesicht spritzte. Schließlich trottete ich die Treppe runter. Unten standen meine Eltern, mit ihren beiden Koffern und Rucksäcken gepackt, den Sonnenhut auf dem Kopf und ein Strahlen im Gesicht. Sie sahen jetzt schon wie Touristen aus, obwohl sie noch nicht einmal beim Flughafen waren. "Schatzi, das Taxi ist schon da." War die Begrüßung meines Vaters. "Kein Stress, ihr fahrt eine zwei Stunden früher als nötig." Antwortete ich, wobei ich einen bösen Blick von meinem Vater und ein zustimmendes Lächeln von meiner Mutter erntete. "Geld liegt in Papas Schreibtischschublade, und wenn das nicht reicht ruf uns einfach an. Und lass keine Fremden Leute rein und schmeiss keine Partys und..." Halb lachend umarmte ich sie, damit sie aufhörte mich zu bombardieren. "Alles gut Mama, ich weiß wo alles ist und was ich nicht darf. Mach dir keine Sorgen." Ich half meinen Eltern die Koffer ins Taxi zu tragen und stellte mich dann winkend in den Türrahmen. Ich lächelte, bis sie um die Ecke verschwunden waren.

Sofort als sie nicht mehr zu sehen waren, kehrten die Schuld- und Trauergefühle zurück. Schnell wollte ich einfach nur ins Haus, doch als ich meinen Blick ein letztes Mal über die mir so vertraute Gegend schweifen ließ, blieb mein Blick plötzlich an dem Café gegenüber hängen. Am Fenster saß eine Frau, die geraden ihren Mantel über den Stuhl gehängt hatte und nun an ihrem Kaffee schlürfte. Es war die Frau von vorhin. Sie sah sich ebenfalls um, und als sie nach draußen schaute, trafen sich unsere Blicke. Schnell zog ich meinen Kopf ein und schloss die Tür.
Nun war ich alleine.

Save me - So I can save you (Asds FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt