Kapitel 10

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„Tyara, wach auf. Wir sind da." ertönte Theon's raue Stimme an meinem Ohr.
Langsam öffnete ich die Augen. Ich war tatsächlich eingeschlafen...
Nach einem genüsslichen Gähnen riskierte ich einen kurzen Blick aus dem Fenster der Kutsche.
Hinter der glitzernden Schneelandschaft kam die Silhouette einer mächtigen Festung zum Vorschein. Es war wirklich wunderschön.

Ja, ich war ein Sommerkind, geboren in der Hitze der dornischen Wüste, doch ich begann den Norden immer mehr zu mögen. Die funkelnden Schneeflocken, das düstere Heulen des Windes... Das alles faszinierte mich auf eine gewisse Art und Weise, die ich selbst nicht beschreiben konnte. Die Kälte machte mir schon lange nichts mehr aus und wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hatte, war das Leben hier nur noch halb so schlimm. Und wer weiß, vielleicht würde ich ja sogar Theon lieben lernen, auch wenn das im Moment noch unmöglich zu sein schien. Ich musste mich meinem Schicksal hingeben, etwas anderes blieb mir nicht übrig.

Nach einer Weile passierten wir das große Eingangstor der Burg. Kaum kam die Kutsche zum stehen, stürmte ich wie ein aufgeregtes, kleines Mädchen heraus, um mein neues Zuhause zu erkunden.
Es war zwar alles kleiner, aber auch viel edler, als auf Winterfell. Es gefiel mir. Ohne zu zögern eilte ich zu den Ställen. Beim Eintreten fiel mein Blick sofort auf das dunkle, glänzende Fell eines Hengstes. Pechschwarz und majestätisch stand er da und musterte mich mit seinen braunen Augen.
Beim Anblick des Tieres dachte ich an Nym. Würde Theon mir erlauben, sie hierher zu holen? Vermutlich nicht, aber fragen kostete ja schließlich nichts.

Ich ging wieder in den Hof und sah ihn einen Moment später, wie er den Soldaten Befehle erteilte. Hochmütig, wie eh und je.
„Mylord?" fragte ich vorsichtig, während ich durch den kalten Schnee hindurch zu ihm stapfte.
Er sah mich an. Noch nicht einmal ein Hauch von Wärme in seinen blauen Augen.
„Darf ich bitte meine Fuchsstute hierher holen?" Unterwürfig senkte ich den Blick, da ich glaubte seine Antwort bereits zu kennen.

„Das wird nicht nötig sein."

Ich sah ihn wieder an und hob überrascht eine Augenbraue. „Ist sie etwa bereits hier?" Hoffnung lag in meiner Stimme und ich wartete gespannt auf eine Antwort.

„Nein, Nym gehört bald Sansa. Ich habe Ned gesagt, er soll sie ihr zu ihrem Namenstag schenken. Aber in den Ställen wartet ein Pferd auf dich, vielleicht hast du den Hengst schon gesehen..." Er deutete mir ihm zu folgen und das tat ich auch. Vor dem selben Pferd, welches
ich gerade noch bewundert hatte, blieb er stehen. „Sein Name ist Schattentänzer."

Ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte oder nicht. Ich vermisste Nym, doch andererseits wusste ich, dass sie bei Sansa in guten Händen war.
Langsam strich ich dem Tier mit der Hand sanft über den schwarzen Hals. Ich brachte ein leises „Danke, Mylord." hervor. Dieser nickte nur.
„Tyara, ich will nun, dass du in dein Gemach gehst und dich wäscht. Die neue Zofe wird dich dort hin führen und dir außerdem ein anderes Kleid bringen."
„Mylord, erwarten wir jemanden?"
Ein leichtes Grinsen umspielte seine Lippen. „Du wirst sehen."

Verwundert nickte ich und machte mich dann auf den Weg in die Burg. Drinnen wartete bereits die neue Zofe auf mich und neigte den Kopf. „Mein Name ist Meeria. Ich stehe euch ab dem heutigen Tage zur Verfügung."
Ein dankbares Lächeln huschte über meine Lippen. Ihre schwarzen Haare und ihre warmen Gesichtszüge schienen mir so merkwürdig vertraut. „Woher kommt ihr?" fragte ich und musterte sie.
„Meine Heimat war die Salzküste in Dorne."
Erneut lächelte ich. Daher schien sie mir so bekannt, ich hätte es wissen müssen.
„Wie schön eine Schwester zu treffen."

Zusammen gingen wir zu meinem Gemach. Meeria öffnete mir die schwere Holztür und ich trat ein.
„Während ihr euch umseht, werde ich heißes Wasser für ein Bad einlassen." sagte die Zofe und machte sich sofort an die Arbeit. Währenddessen erkundete ich den großen Raum. Er bot mehr Platz, als mein Ehemaliger auf Winterfell, doch ich würde nicht sagen, dass er mir besser gefiel. Er war so leer, keine Stickereien, kaum Felle. Irgendwie düster. Aber das konnte man ja ändern. Ich hatte als kleines Mädchen gelernt, wie man stickt. Es wäre eine großartige Beschäftigung in den eisigen Wintertagen und ich würde so mein Gemach verschönern.

Meeria's zarte Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Mylady, kommt her, euer Bad wartet." Ich eilte zu ihr und sie half mir, mein Kleid abzulegen.
Daraufhin stieg ich in das angenehm heiße Wasser. „Mhh... Perfekt." hauchte ich und ließ mich vollständig hinein gleiten.

Nachdem meine Haare gewaschen waren und mich fertig gesäubert hatte, brachte Meeria ein gelb-goldenes Kleid. Ich betrachte es einen Moment lang und schüttelte dann den Kopf. „Die Farben... Es erinnert mich an Dorne. Ich bin nicht länger eine Sand."
„Aber ihr seid noch immer eine Martell. Euer Vater war Prinz Oberyn, sein Blut fließt durch eure Adern, oder etwa nicht? Macht euch nicht klein, Mylady. Ihr seid eine Prinzessin."
Ich sah sie fest an.
„Es erwärmt mein Herz so etwas zu hören, doch das ist nicht wahr. Ich werde bald eine Graufreud sein und ich sollte mich dementsprechend kleiden." Ohne weitere Worte zu verlieren, schickte ich sie los, um ein neues Kleid zu besorgen.
Als Meeria wieder kam, hielt sie ein dunkelblaues Kleid in den Händen. Eine triste Farbe, doch ich dankte ihr zufrieden.

Schließlich flocht sie mir meine dunklen Haare noch zu einem langen Zopf, den sie über meine Schulter legte.

„Wisst ihr, wen Theon heute Abend erwartet?" fragte ich nach einer Weile und betrachtete dabei noch immer, den perfektionistisch verarbeiteten Stoff meines Kleides.
Sie schüttelte den Kopf, als sie das Fell an meinen Ärmeln glatt strich. „Nein, Mylady. Ich weiß es nicht."

The heir of WinterfellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt