Kapitel 08

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Im Schneidersitz auf dem Teppich hockend, blickte ich mich in dem Zimmer von Jace um, das zur Abwechslung in einem marineblau gestrichen war und von weißen Möbeln gefüllt wurde. Meine rechte Hand fuhr unbewusst über die Masse an Wollgnubbeln aus denen der Teppich bestand. Die Sonne hatte ihre dünnen Arme durchs Fenster gestreckt und flutete mit ihren Strahlen den Raum. Die Schatten der Zweige des Apfelbaums vor seinem Fenster tanzten über das helle Parkett. Eine kurze Zeit verfolgte ich das hektische hin und her huschen, was mir wie ein endloses Fangspiel erschien.

Nach einer Weile hob ich meinen Blick und nahm war, dass Jace mich, seiner Miene nach zu folgen, die ganze Zeit gemustert hatte. Seine grünen Augen begannen belustigt zu Funkeln, als er bemerkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Um die peinliche Situation zu überbrücken, räusperte ich mich sinnlos und strich mir eine imaginäre Haarsträhne hinters Ohr, was mir aber erst hinterher bewusst wurde. "Wollen wir anfangen?", fragte ich und schaute ihn auffordernd an. Mit einem süffisanten Grinsen blickte er auf mich runter und hockte sich mit Physikmappe samt iPad mir gegenüber.

Er hatte sich, wie es schien, von seinem Asthmaanfall oder was es auch immer gewesen war erholt und war nun dabei, konzentriert seine Mappe zu durchblättern. Eine frische Wunde an seiner Handinnenfläche sprang mir prompt ins Auge. Verwundert runzelte ich meine Stirn und musterte das helle Rot, das bereits zu krusten begann, jedoch einiges an Dreck in sich einschloss.

Als Jace bemerkte, dass ich gebannt seine Hand anstarrte, schloss er sie ruckartig zur Faust und verzog dabei unmerklich sein Gesicht. Perplex zuckte ich zusammen und musterte ihn mit leicht zusammen gekniffenen Augen. "Muss das nicht dringend gesäubert werden?", spielte ich etwas zu auffällig auf seine kleine Verletzung an und erhoffte mir, ihm den Grund zu entlocken, wie es dazu kam. Allgemein fiel mir gerade noch viel mehr an ihm auf. Von der leichten Schweißspur an seiner Stirn, bis zu den paar Tannennadeln, die sich in seinem Haar verfangen hatten.

"Nee das geht schon", wies er meinen Rat ab und strich sich auffällig entspannt wirken wollend durch sein Haar, doch konnte den unerwarteten Schmerz diesmal nicht so gut unterdrücken. "Komm schon. Du könntest dir eine Blutvergiftung zu ziehen", drängte ich ihn und durchbohrte ihn förmlich mit meinem Blick. Ich wusste auch nicht, woher meine heldenhafte Besorgnis kam, die aber eher ein gut gemeinter Ratschlag war, jedoch doch eher zur Neugier, den Grund seiner Verletzung zu erfahren, tendierte.

"Wie du meinst", gab er nach einem kurzen inneren Kampf nach, in dem er stur in seine Mappe gestarrt hatte und rappelte sich mit einem genervten Seufzen auf. "Kommst du?", wandte er sich an mich und entlockte mir eine verdutzte Miene. "Ich kann dich wohl kaum in meinem Zimmer allein lassen. Schon allein die Vorstellung, was du anrichten könntest", witzelte er. Verächtlich schnaubte ich und hievte mich schließlich auch hoch. Albern. Stillschweigend folgte ich ihm, vorbei an dem Zimmer seiner Schwester, aus dem nun 'Bad Chic' drang.

"Sie fährt nächste Woche für ein halbes Jahr nach Deutschland", erklärte mir Jace mit einem leicht traurigen Unterton. Ich nickte nur und musterte ihn von der Seite. Sein Blick war starr nach vorne gerichtet und seine Gedanken schienen abgeschweift zu sein. Obwohl ich ihn erst seit kurzem kannte kam er mir heute ziemlich seltsam vor. Das Verhalten und seine Erscheinung konnten doch nicht normal für ihn sein.

Mein Blick glitt über die silber eingerahmten Bilder, als wir die Treppe runter gingen. Auf den obersten war anscheint Jace als Kleinkind abgebildet, der einem völlig verdutzten Mädchen einen sabbrigen Kuss auf den Mund drückte, während sie gerade damit beschäftigt war einen Sandkuchen zu 'backen'. Was für ein Player...

Auf den anderen konnte man Cara und Jace erkennen, wie sie lachend in die Kamera schauten oder einfach glückliche Bilder von ihrer Familie. Ich spürte, wie etwas drohte aus meinen sorgsam verborgenen Gedanken zu entweichen und konzentrierte mich krampfhaft auf etwas anderes. Das erste was mir einfiel war Cro, weshalb ich dummerweise den restlichen Weg in die Küche über die Pro und Contra's von seiner Musik nachdenken musste, obwohl ich sie erst wenige Male gehört hatte.

"Willst du etwas trinken?", riss Jace's Stimme mich aus den Gedanken. Zögernd ließ ich mich auf einem der drei Barhocker nieder und ließ meine Finger über die Theke gleiten. "Ein Wasser wäre gut", bat ich ihn und starrte aus der gläsernen Tür, die den dahinterliegenden Garten freigab. Ein kunterbuntes Beet, das überhaupt keine Ordnungssystem aufwies, erweckte meine Aufmerksamkeit, da es den sonst so modernen und geordneten Rahmen des Grundstücks sprengte.

Ein gefülltes Glas wurde über die Theke geschoben und ein Wasserhahn begann, gefolgt von einem scharfen Luft einziehen, zu laufen. Meine Finger umschlossen unbewusst das Glas und ich führte es verträumt an meine Lippen. Das Bild vom glücklichen Familienfoto hatte sich fest in meinen Kopf gebrannt und würde, nach meinem Wissen, auch nicht mehr so schnell verschwinden.

Mein Getränk war schon fast leer. Erneut wollte ich einen Schluck zu mir nehmen, als wie aus dem Nichts ein lautes Piepen und Zwitschern zu vernehmen war. Erschrocken ließ ich das Glas los und verteilte den restlichen Inhalt über mein Oberteil. Reflexartig umklammerte meine Hand das Gefäß, welches zu meinem Glück auf dem Schoß gelandet war und seine Spuren nun auch hier hinterließ.

Mit wild pochenden Herzen stellte ich es zurück auf die Steinplatte. Verstört wandte ich mich um und fixierte anklagend die Uhr, die an der Wand des Raums hing und mit zwölf verschiedenen Vögeln bedruckt war. Auf einen, bei dem ich stark auf Amsel tippte, wurde mit dem Stundenzeiger gedeutet. Sechs Uhr, zeigte das Zifferblatt an. Elegant rutschte ich vom Hocker und wandte mich zu Jace, der gerade den Rest seiner Cola exte (?) und ein Stück Küchenrolle in seiner verletzten Hand umklammert hielt.

Mit einem entschuldigenden Lächeln deutete ich auf die hinterhältige Uhr. "Ich muss jetzt los, aber wir können uns doch sonst nochmal treffen. Das Referat läuft schon nicht weg", murmelte ich und wollte schnell in den Flur eilen um meinen Blazer als Sichtschutz für die Wasserflecken überzuwerfen. "Ähm Cat", wandte Jace sich zu Wort und ließ mich blitzartig versteinern. Mit fest aufeinander gepressten Lippen und gesenktem Kopf starrte ich auf den Boden und versuchte krampfhaft das Zittern, welches meinen Körper zu erobern drohte, zurückzuhalten.

"Alles in Ordnung?", hörte ich Jace plötzlich viel näher und spürte eine Hand auf der Schulter, die ich mit einem Schritt zur Seite abschüttelte. "Alles bestens". Meine brüchige Stimme hing unglaubwürdig im Raum und konnte mich selbst noch nicht mal überzeugen.

Eilig griff ich nach meiner Jacke und zog sie mir schützend über. "Brauchst du ein trockenes Oberteil oder so? Cara würde dir bestimmt eins geben...", wechselte Jace schnell das Thema. "Nein nein, geht schon", wies ich sein Angebot ab und richtete mich auf, unwohl mit meinem Stiefel zur Seite kippelnd. "Tschüß", brachte ich so hastig über die Lippen, dass das Wort als ein einziger Buchstabenklumpen zu hören war. Meine Hand nach der Klinke ausstreckend, riss ich die Haustür auf und marschierte hastig ins Freie. "Tschau", hörte ich seine verwunderte Stimme gerade noch, bevor ich zu laufen begann.

Das Gefühl zu FliegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt