Kapitel 10

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Eine eisige Kälte lag im Raum, als ich aus der Dusche trat und mir rasch ein Handtuch, um meine mit Gänsehaut überzogene Haut wickelte. Der Duft von meinem Zitronenshampoo hing in der stickigen Badezimmerluft und ließ mich zufrieden lächeln. Geschickt türmte ich meine nassen Haare mitsamt dem roten Handtuch zu einem Turban auf und kippte das Fenster, welches sich wenige Meter neben der Dusche befand.

Mit einem Gähnen setzte ich meinen Weg zum Spiegel fort und musterte das beschlagene Glas mit schiefgelegenem Kopf, das so aussah, als hätte jemand ein Stück vom Nebel hinter ihm eingesperrte. Meine Fingerkuppe legte sich auf die kühle Oberfläche. Ohne groß zu überlegen, zeichnete ich zwei gebogene Linien, die jeweils an einer Seite aneinander eckten in das Wassergedunst und fuhr die entstandene Schliere noch einige Male nach, bevor ich meinen Finger zögerlich absetzte und das entstandene Bild musterte. Ein Rabe oder auch Vogel, wie Kinder ihn oft malten, hatte seine Schwingen über das Glas ausgebreitet. Marc und ich hatten damals oft Massenproduktion mit diesem seltsamen Strich betrieben.

Ohne einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden, wischte ich das Gebilde weg und stand nun meinem eigenen Spiegelbild gegenüber, welches mich aus grauen Augen verhasst anblitzte. Mit einem Schnauben, das wie das von einem angriffslustigen Drachen klang, wandte ich mich ab und schlüpfte in meine Unterwäsche, die über dem Badewannenrand hing.

Ich griff nach einer kleinen Dose im Regal rechts vom Spiegel und verteilte etwas Feuchtigkeitscreme auf meinem Gesicht. Gedankenverloren rieb ich die weiße Paste in meine Haut, zog mir meinen Schlafanzug an und stülpte den noch leicht klammen Kapuzenpulli von vorhin über. Die restliche durchnässte Kleidung klaubte ich aus der Wanne und versuchte sie lässig in den Wäschekorb neben der Tür zu werfen, doch scheiterte kläglich, indem der Haufen zwei Meter daneben auf die Fliesen traf.

Den Turban auflösend und das Handtuch ebenfalls Richtung Tür schleudernd, begann ich meine Haare zu föhnen und starrte währenddessen einen nicht vorhandenen Fleck an der Wand an. Als ich meinte, dass sie trocken genug waren, steckte ich sie in einen Dutt, verstaute den Föhn im Schrank und steuerte auf die Badtür zu.

Mit einem Seufzen hob ich meine Klamotten samt Handtuch vom Boden auf und tat sie in den geflochtenen Korb. Dann überquerte ich den Flur und lief die Treppe runter. Gedankenverloren biss ich mir auf die Unterlippe und wollte ihn die Küche einbiegen, als ich plötzlich gegen jemanden gegenprallte. Verwundert stolperte ich zurück und stieß mit dem Rücken gegen den Türrahmen. Meine Augen tasteten sich durch das dämmrige Licht, welches vom Mond durch das Fenster fiel und blieben an einer Gestalt, die wenige Meter vor mir stand hängen.

"Dad?", kam es fassungslos über meine Lippen. Entgeistert starrte ich ihn an und durchwühlte mein Gedächtnis nach irgendeinem Anhaltspunkt, wann ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.

"Caitlin", kam es nur ausdruckslos von ihm, doch konnte ich einen leicht bitteren Unterton aus seiner Stimme raushören. Anscheinend bedauerte er nichts, was mich betraf. Er bereute es wahrscheinlich noch nicht mal.

Ich schluckte und starrte ihn einfach nur perplex an. Wieso war er hier? Träumte ich? Wenn ja, dann wollte ich einfach nur noch aufwachen.

"Was machst du hier?", fragte er mich und riss mich aus den Gedanken.

"Ähm... Ich wohne hier!". Meine Stimme hallte unglaublich laut durch die Küche und schien die ganze an sich schon unreale Situation zu sprengen.

"Es ist halb eins. Meinst du nicht, dass du da in der Woche ins Bett gehörst?".

Ich starrte ihn einfach nur an. Mich vergewissernd, ob diese Worte gerade wirklich seine Lippen verlassen hatten. Er sagte nichts, blickte mich nur fragend an. Stille. Mit einem schleifenden Geräusch zog er einen der vier Stühle unter dem Tisch hervor und ließ sich gelassen auf ihm nieder.

"Cat?"

Plötzlich fuhr das Leben in mich und mit ihm der angestaute Zorn. Ruckartig riss ich meine Arme hoch und stieß einen Apfel, der noch zuvor auf der Theke gelegen hatte, mit einem dumpfen Aufprall auf den Boden.

"Du. Ausgerechnet du, meinst mir sagen zu müssen, wann ich in der Woche ins Bett zu gehen habe?! Das ist das Erste was dir einfällt?! Nach sechs Monaten ungesagter Worte?"

"Cat...", redete mein Vater beruhigend auf mich ein, doch ich schnitt ihm hysterisch das Wort ab.

"Nichts Cat!", brüllte ich jetzt fast schon und zwang mich einmal tief durchzuatmen bevor ich weitersprach. Er hatte mich nicht Cat zu nennen, dass durften nur wenige, zu den er jedenfalls momentan nicht zählte. "Du weißt garnicht, wie gern ich manchmal diese beschissene Tür aufgebrochen und dich und deinen verdammten Hintern aus dem Schmutzloch herausgezogen hätte"

"Caitlin", versuchte Dad es erneut und hob beschwichtigend die Hände. "Mir ging es nicht gut, nach...", er schluckte schwer, "...nach ihrem Tod"

"Du warst wohl nicht der Einzige dem es beschissen erging oder immer noch geht! Hast du vielleicht darüber nachgedacht, dass ich mich möglicherweise auch verlassen gefühlt habe? Kam der Gedanke in deinem egoistischen Gedanken vor, bevor du zum besoffenen Obdachlosen mutiert bist?!"

Ich rang verzweifelt nach Luft und stützte mich schwer atmend auf den Küchentresen. Das Blut brodelte nur so durch meine Adern.

"Es tut mir leid, Cai-", stammelte er.

"Es tut dir leid? Es. tut. dir. leid?! Oh... ihm tut es leid! Deine Entschuldigungen kannst du dir sonst wo hinschieben! Mit diesem mistigen Satz hättest du auch drei Jahre früher herausrücken können! Mir tut es er für dich leid! Bevor du deinen Schmerz im Whisky ertrankst, hättest du vielleicht lieber an dein noch vorhandenes Leben denken können! An deine Tochter. Verdammt... Ich war 15! Ich war 15 Jahre alt, als sie starb. Als Mom starb oder soll ich lieber sagen deine Jane?!"

Genüsslich nahm ich war, wie er beim Klang ihres Namens zusammenzuckte, doch auch ich konnte das leichte Ziehen in der Magengegend nicht verleugnen.

"Cat, ich-"

"Ich stand auch allein da. Von gleich auf jetzt hast du nicht mehr mit mir geredet, hast mich schon fast ignoriert! Du hättest mich doch wenigstens mal umarmen können, einmal über den Rücken streicheln... Aber nein! Immer haben mich nur diese ausdruckslosen rotgeschwollenen Augen angestarrt. Immer nur warst du eine leere Hülle. Ich hätte genau so gut mit der Wand reden können! Und dann warst du irgendwann weg. Einfach weg! Du hast dich in deinem dämlichen Büro eingesperrt und vor der Realität versteckt. Du hast mich allein gelassen. Weißt du, was das für ein Gefühl war...?"

"Cat..."

"Nenn mich noch ein einziges Mal 'Cat' und die verdammte Bude fliegt in die Luft", zischte ich und rauschte mit energischem Schritt und tränengefüllten Augen aus der Tür.

Das Gefühl zu FliegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt