Kapitel 5

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Mike

"Hey" gebe ich unsicher von mir, als ich an seinem Tisch ankomme, da ich mir nicht sicher bin, wie Ruggero reagieren wird.

Er mustert mich nur eine Weile von oben bis unten, ohne ein Wort zu sagen. Letztendlich bleibt sein Blick bei meinem Gesicht hängen. "Was ist passiert?" fragt er schließlich.

Was ist passiert? Das ist alles? Ich war auf stundenlange Monologe seinerseits und ellenlange Standpauken über meine Unzuverlässigkeit und Verpeiltheit vorbereitet und alles was von ihm kommt ist ein 'Was ist passiert'?
Mein Blick scheint genau meine Gedanken widerzuspiegeln, weshalb sich auf seinem Gesicht ein leichtes Grinsen abbildet, das immer größer wird, je mehr es mich verwirrt.

"Ich bin nicht sauer, also setz dich endlich hin. Oder willst du die nächsten 10 Jahre hier rumstehen und Wurzeln schlagen?" Ein Lachen schwingt in seiner Stimme mit.

Ich setze mich auf den Sessel, der schräg neben seinem steht und blicke ihn noch immer erstaunt und gleichzeitig fassungslos an.

"Du bist nicht sauer?"

"Nein"

"Du willst mir keine Predigten halten?"

"Nein"

"Und du meinst das Ernst?"

"Ja" wieder verzieht sich sein Mund zu einem kleinen Lächeln.

"Rugge..." Ich mache eine kleine Pause und sehe ihn verwundert an. "Rugge, geht es dir gut?"

Jetzt kann er sich nicht mehr zurückhalten und beginnt endgültig damit wahrscheinlich den Lachflash seines Lebens zu bekommen, was meinen Blick nur noch verwirrter werden lässt.

"Ruggero!" Ermahne ich ihn fassungslos "Ich meinte das Ernst"

"Bitte hör auf mich so anzusehen. Du bist so vorhersehbar" lacht er weiter und kann sich kaum noch in seinem Sessel halten.

Wenn er nicht gleich aufhört und endlich auf meine Frage antwortet sehe ich mich gezwungen ihm eine zu klatschen.
Das scheint er jedoch zu bemerken.

"Ist ja schon gut, ist ja schon gut" bringt er noch immer um Luft schnappend, sich aber langsam beruhigend hervor. "Bevor du mir gleich noch eine verpasst höre ich eben auf"

Es ist, als könnte er Gedanken lesen.

"Okay, themawechsel. Was hast du denn die ganze Nacht gemacht, dass du den halben Tag verschlafen hast?" fährt er dann fort.

"Ich... Ich habe nur... eigentlich habe ich nichts gemacht" druckse ich herum.

"Lüg mich nicht an, sonst halte ich dir doch noch eine Predigt" droht er mir spielerisch.

"Nein, bitte nicht" bettel ich schon fast und bin dieses Mal derjenige, der beginnt zu lachen. Er holt mit seiner Hand aus und deutet an mich zu schlagen, was eher das Gegenteil davon bewirkt, was es wahrscheinlich bezwecken sollte, denn ab diesem Punkt bin ich es, der sich vor Lachen kaum in dem Sessel halten kann.
Er lässt sich erneut von meinem Lachen anstecken und steigt mit ein.

Nachdem wir deutlich zu viel gelacht haben und uns beide schon unsere Bäuche vor Schmerz halten, hören wir auf.

"Okay, aber jetzt wirklich. Was hat dich die ganze Nacht wachgehalten?" kommt er zurück auf's Thema.

Schade, ich hatte gedacht, ihn abgelenkt zu haben, doch anscheinend ist das Gedächtnis meines Freundes besser, als ich dachte... oder seine Neugierde ist zu groß. Wahrscheinlich eher letzteres.

"Ich habe gelesen. Meine Mutter hat mir ein Buch mitgebracht und ich konnte mich nicht davon losreißen" lüge ich, um nicht über Ámbar sprechen zu müssen.

Ich sehe auf mein Handy, um zu sehen, ob sie mir mittlerweile geantwortet hat. Meine Gartenlüge hatte sie zwar gelesen, aber eine Antwort habe ich noch nicht erhalten. War die Lüge doch zu offensichtlich? Hätte ich ihr einfach die Wahrheit sagen sollen?

"Ah und ging es in deinem Buch, das dich ja so gefesselt hat, dass du deinen besten Freund am nächsten Tag halb versetzt, zufälligerweise um ein Mädchen?"

"Ein Mädchen?" frage ich gespielt überrascht "Nein, es ist ein Krimi. Ich gebe es dir, wenn ich fertig bin. Es ist echt gut und ich habe absolut noch keine Ahnung, wer der Mörder sein könnte" lüge ich weiterhin.

Er schüttelt den Kopf und sagt dabei lachend "Wohl eher der Mörder deines Herzens oder?"

"Haha, du mich auch"

"Was denn? Wenn es halt wahr ist"

Er hat ja Recht... glaube ich zumindest. Irgendwas war an Ámbars Art, das mich in einen Bann zieht, aber ich habe sie bisher weder gesehen noch ein Wort mit ihr gesprochen. Verliebt zu sein kommt da gar nicht in Frage. Wie denn auch?

"Vielleicht bist du nicht verliebt, aber immerhin verknallt" sagt er, als könnte er meine Gedanken lesen. Langsam wird das wirklich gruselig.

"Also, wie heißt sie?" hakt er erneut nach.

In diesem Moment klingelt mein Handy in meiner Jackentasche. Ich hole es heraus und nehme den Anruf entgegen.

"Hallo Mike, kommst du bitte nachhause? Ich brauche ein Auto und da Papá mit unserem unterwegs ist brauche ich deins"

"Bin gleich da" antworte ich schnell und lege auf.
Normalerweise hätte mich das genervt, aber gerade kommt es wie gerufen.

"Ich muss nach Hause. Meine Mutter braucht mich" gebe ich Rugge als Information und verlasse das Café so schnell wie möglich. Kopfschüttelnd sieht er mir hinterher.

Dieses Mal bin ich davon gekommen, aber das kann ich nicht ewig durchhalten. Zuerst muss ich mir allerdings selbst im Klaren über mich sein. Was fühle ich? Und wieso? Wie geht das? Sollte ich Ámbar einfach nochmal schreiben?

Ist sie real? - MichaentinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt