Kapitel 7

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Valu

"Hey, wie geht's dir?"

Nachdenklich starre ich den Chat mit Mike an. Wie geht es mir überhaupt? Ehrlich gesagt weiß ich es nicht.

Male ist mittlerweile gegangen und meine Eltern sind noch nicht zuhause. Wo Luciana ist weiß ich zugegeben überhaupt nicht, aber sie ist ja kein Baby mehr. Sie wird das auch alleine schaffen, was auch immer sie macht. Das rede ich mir zumindest immer wieder ein.

Luciana ist 16 und somit 4 Jahre jünger als ich, aber für mich ist sie noch immer meine kleine Schwester, die ich beschützen muss. Eigentlich weiß ich, dass das nicht stimmt. Mir ist bewusst, dass sie mittlerweile fast erwachsen ist und in manchen Situationen sogar eher auf mich aufpasst, aber es fühlt sich trotzdem seltsam an sie einfach gehen zu lassen. Allerdings weiß ich nicht ganz, ob das daran liegt, dass ich Angst habe, dass man sie verletzen könnte oder eher daran, dass ich Angst habe einen weiteren Menschen zu verlieren.

Vor fast genau 3 Jahren ist mir wahrscheinlich das schlimmste passiert, was ich mir je hätte vorstellen können und das zusätzlich, als ich das tat, was ich am liebsten tat.

Danach wendeten sich immer mehr Menschen von mir ab. Immer mehr Menschen sahen mich nur noch mit einem schiefen Lächeln an. Ihr Gesicht erfüllt von Mitleid und Bedauern. Ich hasse es bemitleidet zu werden. Ich will das nicht. Ich möchte so behandelt werden wie früher. Zwanglos, normal wie jeder andere auch und vorallem ohne diesen ständigen Mitleidsblick von allen.

Es kommt mir so vor, als ob plötzlich alle denken würden, dass ich ein anderer Mensch wäre. Als wäre ich seit diesem Tag nicht mehr die selbe Person wie vorher.
In irgendeiner Weise stimmt das auch. Ich bin nicht mehr der selbe Mensch. Ich habe mich immer weiter zurückgezogen, mich kaum noch zu Wort gemeldet und mich immer unwohler in Anwesenheit anderer gefühlt, weil ich genau wusste und auch noch immer weiß, dass sie Blickkontakt mit mir meiden.

Sie tun so, als wäre ich eine Art Alien, das sie sofort auffressen würde, wenn sie in meine Nähe kommen. Seit diesem Tag damals benimmt sich jeder in meiner Gegenwart seltsam oder wendet sich komplett von mir ab. Selbst meine Eltern behandeln mich anders. Ich weiß, dass sie mich lieben, aber ich spüre seit damals etwas zwischen uns, was vorher nicht da war.

Es gibt nur zwei Personen, die sich noch genauso verhalten, wie vor diesem Tag und das sind Luciana und Malena.
Damals hatte ich viele Freunde, doch jetzt habe ich erkannt, wer meine echten sind.

Mein Blick fällt zurück auf den Bildschirm meines Handys. Noch immer zeigt es Mikes Nachricht an, aber ich weiß nicht, wie es mir geht.
Soll ich lügen und sagen, dass es mir gut geht? Wäre das überhaupt eine Lüge? Geht es mir denn schlecht?

Bevor ich mir darüber weitere Gedanken machen kann geht meine Zimmertür auf und Sammy kommt freudig zu mir aufs Bett gesprungen, auf dem ich sitze.
Seine Pfoten sind voller Matsch, weshalb ich kurz aufschreie. Das lässt ihn sich allerdings nur noch mehr freuen und auf meinem Bett herumtänzeln.

Sekunden später höre ich das Lachen meiner Schwester im Flur, die immer näher kommt. Nicht viel später steht sie lachend in meinem Türrahmen und beobachtet das Bild von mir und Sammy, der mittlerweile mein ganzes Bett mit braunen Pfoten verziert hat.

Etwas perplex sehe ich sie an, doch sie lacht noch immer. Sammy hat sich mittlerweile neben mich gelegt, wedelt aber noch immer freudig mit dem Schwanz.
Vor zweieinhalb Jahren haben wir den Golden Retriever Rüden zu uns geholt. Hauptsächlich kümmern Luciana und ich uns um ihn, aber ab und zu gehen auch unsere Eltern eine kleine Runde mit ihm.

Die gute Laune der beiden Störenfriede hat mich mittlerweile angesteckt, weshalb auch ich beginne zu lachen. Vorsichtig beuge ich mich zu Sammy runter, drücke ihn an mich und vergrabe meinen Kopf in seinem langen weichen Fell.

Dann blicke ich wieder hoch und betrachte mein Bett.

"Eins muss man ihm lassen, er hat ein wirklich gleichmäßiges Muster verteilt" sage ich noch immer lachend zu meiner Schwester.

"Ich helfe dir nachher es abzuziehen und hole neue Bettwäsche von oben" Auch in ihrer Stimme ist ein Lachen zu erkennen. Ich nicke und lächel sie weiterhin, immer noch etwas fassungslos, aber belustigt über diesen Überfall, an. Dann kommt sie näher zu mir und setzt sich zwischen Sammy und mich.

"So und jetzt sag mir was los ist"

"Was meinst du?"

"Valu ich kenne dich seit 16 Jahren. Ich merke, wenn du etwas hast und ich merke genauso gut, wenn du mir etwas verschweigst"

"Okay, schon gut" gebe ich mich geschlagen und überlege, wie und vorallem wo ich anfange ihr die ganze Geschichte zu erzählen.

Ist sie real? - MichaentinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt