Kapitel 1

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Name: Michael Ronda
Geburtstag: 28.09.1996 in Mexiko
Hobbys: Gitarre spielen, singen
Qualifikationen: djsej7den

Lese ich meine erbärmliche Version von Lebenslauf immer wieder durch. Es kann doch nicht sein, dass ich es nicht hinbekomme ein paar Eckdaten meines Lebens auf ein simples Blatt Papier zu schreiben, doch anscheinend ist es das... oder ich stelle mich zu dumm an. Eins von beidem, wobei es wahrscheinlich eher an letzterem liegt. Irgendwann verzweifel ich und drücke nur noch wahllos irgendwelche Buchstaben, die keinerlei Sinn ergeben. Wahrscheinlich werde ich sogar vergessen sie zu löschen, bevor ich das Dokument ausdrucke.

Nicht mal bei meiner Familie bin ich mir sicher. Soll ich angeben, dass ich eine Schwester habe? Soll ich meine Eltern erwähnen oder das Fehlen einer Freundin?

Immerhin weiß ich, dass eines nicht zu meinen Qualifikationen gehört und das ist definitiv das Verfassen von Lebensläufen. Je mehr ich darüber nachdenke desto klarer wird mir, warum mir das ganze so schwer fällt. Ich habe absolut keine Lust auf diesen Job.
Ich wollte ihn nie, doch meine Mutter schaffte es mich zu überreden, da es angeblich das beste für mich wäre, doch da bin ich mir nicht sicher.

Sie will immer nur das beste für mich und meine Schwester und das war uns immer bewusst. Genauso wussten wir, dass unsere Eltern, insbesondere unsere Mutter, immer bemüht waren uns eine bessere Zukunft zu ermöglichen, als sie sie hatten. Das schätzen wir sehr und sind dankbar, doch ich bin oft nicht der Einzige, der sich von ihnen missverstanden fühlt.

Meine Schwester Alessandra ist drei Jahre älter, als ich und hat auf den Wunsch meiner Mutter, begründet auf ihren guten Schulnoten, Psychologie studiert. Jedenfalls ließ sie das unsere Eltern glauben. In Wahrheit hatte sie nach 4 Monaten ihr Studium abgebrochen, um Fotografin zu werden. Sie wusste, dass unsere Mutter davon nicht begeistert sein würde, da sie Berufe dieser Art als unsicher und zukunftslos betrachtet.

Deshalb blättert Alessandra ab und zu in Psychologie Zeitschriften, um einigermaßen plausible Erklärungen auf die Fragen meiner Mutter nach ihrer Arbeit und deren Inhalt zu finden. Ich weiß, dass es ihr nicht gefällt unsere Mutter derartig zu belügen, doch wir beide wissen nicht, was passieren würde, wenn sie es ihr beichtet.

Genau aus diesem Grund entschied ich mich dazu den Wünschen meiner Mutter zu folgen und mich für eine Ausbildung als Manager zu bewerben. Sie sieht das als geeigneten Beruf an, doch ich will das nicht. Ich hasse Stress und vorallem Macht und zu viel Verantwortung. Ich bin gerne frei und unbesorgt, was in dieser Branche eher schwer werden könnte. Allerdings würde ich nie auf die Idee kommen ihr von meinem Wunsch Sänger zu werden zu erzählen.

Die Einzige, die davon weiß ist Alessandra, genauso, wie ich der Einzige bin, der von ihrem Geheimnis weiß. Meine Mutter hätte dafür wahrscheinlich kein Verständnis.

Mein Laptop gibt ein kurzes Bimmeln von sich und reißt mich somit aus meinen Gedanken. Noch etwas verwirrt schaue ich auf den Bildschirm und sehe eine neue Nachricht von Ámbar.

Ámbar ist der Name eines Mädchens, das ich vor ein paar Wochen im Internet kennengelernt hatte. Seitdem schreiben wir gelegentlich. Nicht täglich, nicht regelmäßig, aber gelegentlich. Hauptsächlich schicken wir uns jedoch sinnlose Beiträge, die wir in unserem Feed finden. Wir verstehen uns gut, doch das ist auch schon alles. Wir kennen uns so gut wie gar nicht.

Das Einzige, dass ich über sie weiß, ist dass sie in Buenos Aires lebt, so wie ich auch.

Vor einigen Jahren bekam mein Vater ein Jobangebot in Argentinien, bei dem er nahezu das doppelte von seinem alten Gehalt verdient. Zuerst ging nur er nach Argentinien, doch ein Vierteljahr später kam ich mit meiner Mutter und meiner Schwester nach.

Jetzt leben wir seit ungefähr 5 Jahren hier und ich habe das Gefühl jeden Winkel, jeden Kieselstein der Stadt auswendig zu kennen. An Mexiko denke ich noch immer häufig, doch mir gefällt es in Argentinien zu leben. Hier habe ich meine Freunde gefunden und hier habe ich meinen Wunsch Sänger zu werden für mich entdeckt.

Trotz meiner umfassenden Kenntniss aller Gassen, Straßen, ja sogar aller Steine in ganz Buenos Aires würde ich Ámbar, jedenfalls vermutete ich, dass das ihr Name ist, denn sie hat ihn mir nie gesagt, niemals finden. Dafür leben hier zu viele Menschen und die Chance einen einzigen bestimmten zu finden ist viel zu gering.

Vielleicht sollte ich sie einfach mal fragen, aber das würde zu komisch kommen. Schließlich haben wir noch nie über sowas gesprochen. Ich kenne ja nicht einmal ihren Namen oder bin mir dessen zumindest nicht vollkommen sicher.

Mein Blick fällt wieder auf den Bildschirm meines Laptops, den ihr für einige weitere Sekunden stumm und regungslos anstarre, bevor ich endlich lese, was Ámbar mir geschrieben hat.

Ist sie real? - MichaentinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt