Kapitel 3

92 10 0
                                    

Am nächsten Tag schaffte ich es pünktlich zur Schule. Überraschenderweise hatte das Rudel mich noch nicht aufgesucht und darüber war ich natürlich mehr als froh. Sollen diese Idioten mich bloß so lange wie möglich in Ruhe lassen.

Die ersten beiden Stunden waren die gleichen wie gestern, das heißt, ich durfte wieder neben der höchstwahrscheinlichen Luna sitzen. Adeleine sah mich für ein paar Sekunden an, bis ihr anscheinend wieder einfiel, wer ich war und was ich gestern getan hatte. Sofort verfinsterte sich ihre Miene und die Stunden verliefen erneut anstrengend schweigsam.

In der ersten Pause habe ich dann, zu meiner Überraschung, einen Sitzplatz an einem Tisch weiter hinten in der Cafeteria gefunden. Im Gegensatz zu gestern bestand heute kein Mobbing-Kreis, ich musste also niemanden verteidigen, wobei ich stark bezweifle, dass ich überhaupt jemals wieder jemanden verteidigen werde.
Bei dem Gedanken an meine mangelnde Selbstbeherrschung gestern, fiel mir der süße Junge mit dem panischen Gesichtsausdruck wieder ein. Ich glaube ihm passierte das öfters.
Er war mir anscheinend sehr ähnlich, wir zwei Außenseiter und Opfer. Wir beide werden von Werwölfen gemobbt, mit dem Unterschied, dass ich auch einer bin. Und obwohl ich diesen Jungen kaum, eigentlich gar nicht, kannte, fühlte ich mich auf gewisse Art und Weise mit ihm verbunden. Ich nahm mir fest vor, in der nächsten Pause Ausschau nach ihm zu halten.

Die Stundenklingel weckte mich aus meinen Tagträumen und ich schreckte kurz auf. Die Blicke, die auf mir lagen habe ich nicht übersehen und auch nicht, dass das Mädchen, das anfangs noch neben mir saß, den Platz gewechselt hat. Ich habe an meinem ersten Tag also nicht nur meine Beziehung zu den Werwölfen ruiniert, sondern auch die zu den Menschen!

Für einen kurzen Moment hatte ich wieder das Gefühl, beobachtet zu werden, nur weniger stark als gestern. Die zweite Sachen, die ich mir für diesen Tag vornahm, war meinen Stalker zu finden.

Deutsch war total langweilig, ich bin fast eingeschlafen. Wie kann ein Lehrer nur so monoton reden und so stumpfsinnigen Unterricht machen?
Bei Stundenende war ich froh, endlich aus dem Raum raus zu sein.
Auf dem Gang hörte ich, dank meines guten Gehörs, eine bekannte Stimme. Sie war laut, aufgebracht und total idiotisch! Ich folgte der nervenden Stimme und siehe da, wo der Alpha ist, da ist auch Adeleine, und da ist auch Stress, und... der süße Außenseiter! Wie es aussieht hatte er den Alpha versehentlich angerempelt und erneut lagen all seine Sachen auf dem Boden zerstreut.
Plötzlich wendete der Alpha seinen Blick von dem armen Jungen ab und starrte stattdessen mich an. Doch nicht nur das, er sagte auch was: „Ach, sieh mal einer an! Wen haben wir denn da? Wie heißt sie gleich nochmal Adeleine?", wand sich der Vollhorst an seine Luna. „Sie heißt Caty...", antwortete Adeleine, senkte dabei aber den Blick. Vielleicht war sie doch nicht so angeberisch, wie ich zuerst dachte. „Ach ja, stimmt ja. Die Caty, unser Frischling...", blökte der Idiot. Der Menschenjunge schaute verwirrt in meine Richtung. Frischlinge waren Neulinge in Rudeln. Die Typis hatten mich also nicht vergessen, wäre ja auch zu schön gewesen. „Lass sie doch Damon", flüsterte Adeleine so leise sie konnte, aber ich hörte sie trotzdem. So hieß er also. Damon, der Name ist wie für ihn gemacht.
Ich konnte ein Knurren nicht unterdrücken und sofort lagen noch mehr Blicke auf mir, dem Rudel und dem immer noch verdattert schauendem Jungen.
Der Idiot lächelte siegessicher: „Ist was? Du verhältst dich auf einmal so seltsam tierisch, Caty. Findet ihr nicht auch Jungs?". Der Typ wollte es mir heimzahlen und mich bloß stellen wie ich es gestern mit ihm tat. Erneut knurrte ich. „Damon!", zischte Adeleine. Das reichte dem Rudelführer vorerst und er zog mit seinem Rudel ab. Endlich! Schnell hatte ich mich wieder gefangen.

Der Junge war mittlerweile dabei, seine Sachen in seinem Spind zu verstauen. Ich riss mich zusammen und ging zu ihm rüber: „Hey", sagte ich, „Ich bin Caty, aber ich glaube das weiß jetzt sowieso schon die ganze Schule." „Kann man wohl sagen", erwiderte er schüchtern. „Ich heiße Alex", fügte er noch hinzu und ich musste lächeln. Irgendwie passt der Name zu ihm. „Passiert dir das öfter?" fragte ich vorsichtig, darauf beabsichtigt unser kleines Gespräch aufrecht zu erhalten. „Was meinst du?". „Na, dass die dich so runtermachen". „Hm. Nicht wirklich. Manchmal halt". Ich glaubte ihm nicht. Sicher hat er Angst vor ihnen. Nervös schob er seine Brille zurecht.
Ich wollte noch nicht aufgeben. „Was hast du als nächstes?". „Bio. Und du?". „Chemie. Nur leider weiß ich nicht, wo der Raum ist", log ich. „Die Bio- und Chemieräume liegen im selben Gang. Ich zeig dir den Weg, wenn du willst", bot er mir daraufhin an. Dieses Angebot konnte ich natürlich unmöglich ausschlagen, wenn er schon so fragte. „Klar. Gerne".
Er nahm sich noch ein Buch aus seinem Spind und dann gingen wir nebeneinander zu unseren Räumen. Wir redeten noch kurz über meine Lehrer und er sagte mir, welche er mochte und welche weniger. Ein nicht wirklich spannendes Thema, aber wir redeten miteinander und das reichte mir für den Moment.

Plötzlich spürte ich wieder diesen Blick. Dieses Mal war ich mir hundertprozentig sicher, dass mich jemand anstarrte. Der Blick war so stark, dass ich wieder eine Gänsehaut bekam. Wer bitte ist das? Schnell drehte ich mich um. Zuerst konnte ich die Person nicht finden, doch dann sah ich, wie ein Junge meiner Jahrgangsstufe sich am anderen Ende des Ganges schnell umdrehte und hinter der Ecke verschwand. Es passierte zu schnell als dass ich sein Gesichte hätte erkennen können, aber die haselnussbraunen Haare sind mir aufgefallen. Sie waren einen Farbton heller als Alex' Haare.
Alex! Ich habe ihn voll vergessen. „Caty? Ähm, hallo? Caty", versuchte er meine Aufmerksamkeit zurück zu bekommen. „Ja. Tut mir leid, ich war gerade etwas abgelenkt. Könntest du bitte wiederholen, was du gerade gesagt hast?", fragte ich schuldbewusst. „Ja, kein Problem. Ich... ich wollte mich nur bei dir für gestern bedanken. Du weißt schon, weil du mich verteidigt hast und so...", stammelte Alex. Der ist so süß! „Ach, das hätte doch jeder getan", versuchte ich, bescheiden zu bleiben. Aber Alex war anderer Meinung: „Nein. Ich bin mir sicher, dass das nicht jeder für mich getan hätte". Er schaute mich intensiv an während er das sagte und ich lächelte einfach.
Ich weiß, dass das tatsächlich nicht jeder getan hätte. Ich war immerhin sogar selber von mir überrascht, dass ich es getan hab.

Another Werewolf Story Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt