Die Eisenbahnbrücke

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Samstag - 25.11.2017

Sekunden verstrichen, die ich an der Wand stand und der Fluss an Tränen wollte für den Augenblick nicht versiegen. So wurden aus den Sekunden Minuten und ich stand einfach nur dort, strich mir mit meinem Jackenärmel immer wieder übers Gesicht. Was wollte ich Henry sagen? Sorry, mein Großvater hätte mich lieber Tod gehabt? Das konnte ich ihm einfach nicht erzählen, diese Worte würde ich niemals über meine Lippen bringen. Auch war ich zu lange weg um zu sagen, dass sie nicht zu Hause gewesen waren oder es doch die falschen Adresse war. Also was wollte ich ihm Mitteilen? Wie weit wollte ich ihn in das Ganze herein ziehen?

Niedergeschlagen, schritt ich – sobald ich meine Tränen getrocknet hatte – dann doch endlich die Straße zum Kaffee hinunter. Öffnete die Tür und trat ein, sah mich kurz um und entdeckte Henry gut mit Kuchen eingedeckt im hinteren Teil des Kaffees. Zügig schritt ich hin und setzte mich zu ihm. Ohne lange zu zögern, schob mein Freund mir ein Stück Kuchen zu und schaute mit großen Augen zu mir.

„Und?"

„Es war nicht so, wie ich es erwartet hatte." Gestand ich ehrlich ein. „Ich will aber nicht darüber reden." Nein ich brachte es nicht über mich meinen Freund zu belügen. Irgendwann müsste ich ihm die Wahrheit sagen, aber noch nicht jetzt, noch nicht heute. Fast schon lustlos, schaute ich auf das Kuchenstück vor mir und wer es nicht Erdbeerkuchen gewesen – den ich sonst nie hatte – dann hätte ich es wohl stehen lassen. So stocherte ich aber darin herum und aß einen bisschen. Es schmeckte wahrlich nicht schlecht und nach einigen bissen mehr, war meine Laune wenigstens schon ein wenig besser. Henry hatte nichts dafür und ich sollte das alles vielleicht einfach vergessen? Meinem Leben einfach ein nächstes Kapitel der Grausamkeit hinzufügen, es einfach in mich hinein fressen?

Eine wirkliche Antwort auf die Frage fand ich nicht und die Heimreise von London in die kleine Stadt am Süden dauerte eine ganze Weile. Henry versuchte mich aufzumuntern und am kleineren Bahnhof unserer Kleinstadt verließen wir uns. Er versprach mich Morgen wieder zu besuchen und ich selbst? Ich wollte nur meine Ruhe, keine alten Männer, keine Familie, rein gar nichts wollte ich. Mürrisch schritt ich durch die Straßen, nach Hause und öffnete leise die Tür. Licht brannte im Haus und so würde ich vielleicht um ein Gespräch mit meiner Mutter nicht herum kommen? Als ich aber in dem schmalen Gang stand, hörte ich den Fernseher nicht laufen und selbst wenn im Wohnzimmer Licht brannte, schien dieses verwaist zu sein. Hastig schlüpfte ich aus meinen Schuhen, hing die Jacke an den Hacken und schlurfte den Gang entlang. In der Küche, brannte kein Licht, also konnte meine Mutter nicht dort sein. Hastig stieg dann die Treppe hinauf und hörte von oben deutlich Schritte und einige Augenblicke später stand da wirklich meine Mum am oberen Ende der Treppe. Ihr Blick war alles andere als erfreut.

„Du!" keifte sie mich als Erstes an und ich hatte noch immer keine Ahnung was genau den los war. „Du warst bei meinen Eltern!" schrie sie.

Der alte Sack hatte ihr also angerufen! Es wurde immer besser!

„Hättest du mir gesagt wie sie sind, dann wer ich niemals hingegangen! Aber du hast ja niemals mit mir über sie gesprochen!" zischte ich meine Mutter wieder an.

„Warum hätte ich mit dir darüber reden sollen! Du hast mich auch niemals nach ihnen gefragt!" so schob sie mir wieder den schwarzen Peter zu und ich sah Muttter finster an. An sich hatte ich weder Lust mit ihr zu streiten, noch über den Tag zu reden, immerhin wusste die Blonde selbst schon wie unschön dieser geendet haben musste.

„Vielleicht kann ich mir schöneres vorstellen als mit meiner betrunkenen Mutter über die alten Zeiten zu reden!" meine Worte waren hart, aber wann hatte ich das letzte Mal vernünftig mit meiner Mutter gesprochen? Es war lange her.

Riley - im dunklen Zwielicht #IceSplinters18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt