Kapitel 4

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Keuchend drückte ich meinen Daumen gegen den Scanner und wippte ungeduldig mit dem Fuß. Als sich die Eisentür öffnete, stürmte ich eilig herein und schlug sie unbeachtet wieder zu.

Der Rucksack fühlte sich an wie eine schwere Last auf meinem Rücken, wie eine Verantwortung die mir die Luft abschnitt.

Ich konnte jetzt einfach mein Versprechen brechen und seine Erinnerungen in die Luft jagen, aber ich würde es nicht tun, da ich zu meinem Wort stand. Außerdem war ich eine Rebellin, keine Angehörige der Regierung, die die Bevölkerung hinter ging.

Ohne mir etwas anmerken zu lassen, stolzierte ich durch die Gänge und richtete meinen Blick starr voraus. Nachdem Tod von Andrew, vermied ich den Kontakt zu den anderen Rebellenmitgliedern. Ich spürte ihre wehleidigen Blicke an meinem Rücken kleben. Ihr nerviges Getuschel war ebenfalls so präsent, dass man mir die Vorwürfe gleich offen ins Gesicht werfen könnte.

Schnaubend betrat ich das Labor und legte den Rucksack vorsichtig auf den Mamorboden ab. Das grelle Licht blendete mich, sodass ich ununterbrochen blinzeln musste.

Als sich meine Augen langsam an die Helligkeit gewöhnten, riss ich sie weit auf und starrte überrascht in ein kreidebleiches Gesicht. Mein Gegenüber musterte mich forschend, bevor er sich grinsend die blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht wischte und seine knochigen Hände in die Taschen des Laborkittels stopfte.

,,Ein wenig Sonnenlicht würde dir nicht schaden, Hudson." warf ich ihm vorwurfsvoll an den Kopf.

Daraufhin legte er sein Gesicht in tiefe Falten und starrte mich eindringlich an. ,,Wir sind keine Pflanzen, Ashlynn, unser Körper braucht kein Sonnenlicht. Außerdem habe ich nicht genügend Zeit, um mich mit solch belanglosen Dingen zu beschäftigen. Die Produktion eines Heilmittels steht im Mittelpunkt."

,, Naja ich will ich dich nur daran erinnern, wie scheiße du zur Zeit aussiehst!" erwiderte ich genervt.

,,Gleichfalls Schätzchen, deine Augenringe sehen aus, als hätte dir jemand mehrfach ins Gesicht geschlagen."

,,Wenigstens sehe ich nicht aus, wie eine hässliche Leiche."

Verletzt fasste er sich an sein Herz und zog scharf die Luft ein, bevor er mir lachend um den Hals fiel. Ich stimmte mit ein und vergrub meine Hände in seinen Haaren.

,,Ich habe dich vermisst, du freche Nudel!"

,,Ich dich auch, du dumme Banane."

Seine smaragdgünen Augen strahlten mir glücklich entgegen und kleine Lachfältchen traten auf seinem markanten Gesicht hervor. Grinsend lehnte ich meinen Kopf gegen seine Stirn und zog seinen außergewöhnlichen Duft aus gerösteten Pekannüssen und alter Frau ein.

Auch wenn es für andere stinken mochte, ich liebte diesen bizzaren Geruch, denn es erinnerte mich immer an zu Hause, an die Zeit mit meiner Familie und meinem besten Freund Hudson.

,,Es war ganz schön langweilig ohne dich und die anderen lachen seitdem, du weißt schon was, auch nicht mehr so oft. Sie vermissen dich und Val tut das ebenfalls. Dieses Mädchen ist zur Zeit echt aggressiv drauf und sucht nur noch Stress." nuschelte er leise in mein zerzaustes Haar. Daraufhin musste ich ein wenig grinsen, denn ich wusste, dass das eine kleine Nebenwirkung von der Betäubungsspritze war, die ich ihr letztens verabreicht hatte. Langsam löste ich mich aus unserer engen Umarmung und starrte ihn eindringlich an.

,,Du musst mich verstehen Hudson, es kostete mich echt eine große Überwindung diese ganze Sache zu vergessen . Ich weiß auch nicht, ob ich es wirklich hinkriegen werde, morgen bei seiner Beerdigung anwesend zu sein und ihm dann noch ein paar Worte ins Grab zu legen, während sein toter, schlaffer Körper neben mir liegt."  erwiderte ich erschöpft. Aufmunternd hob er mein Kinn, sodass ich in seine funkelnden Augen blicken musste.

,,Du wirst das hinkriegen Ashlynn, du hast es geschafft zu überleben, während die schlimmsten Kriege und Seuchen umhergingen, dazu hast du uns allen Hoffnung gegeben und den Menschen an der Oberfläche auch. Du führst die Rebellen mit Herz und kämpfst, weil du Gerechtigkeit willst." erwiderte er sachlich. Ich schmiegte mich in seine Arme und verharrte für wenige Minuten in dieser Position. Seine Wärme spendete mir Geborgenheit und Halt, zwischen all den Jahren die vergangen waren, blieb nur er zurück, wie ein Schatten meines alten Selbst .

Wie konnte ich nur meine starke Fassade halten, ohne irgendwann unter ihr einzubrechen? Wie schaffte ich es nur so vielen Menschen eine Hoffnung zu geben, die ihr kleines unschuldiges Leben stützte? Warum dachte niemand daran, dass auch ich nur ein gewöhnlicher Mensch mit Gefühlen war? Verzweifelt raufte ich meine Haare und zerrte krampfhaft an Hudson's knittrigen Laborkittel. Vertieft in meine Gedanken, merkte ich nicht, wie sich zwei Hände um meine Hüfte legten und ich ohnmächtig wurde. Die Schwärze stürzte auf mich ein und der Boden wurde mir regelrecht unter den Füßen weggezogen, ich fiel und landete sanft in Hudson's Armen.

Wahrscheinlich überspannte ich nur den Bogen und ließ mir selbst keinen Freiraum mehr, ständig machte ich mir Sorgen, über dies und jenes, ohne zu merken, dass ich meinen Körper nie zur Ruhe kommen ließ. Dadurch reagierte er mit einem Kurzschluss gegen meinen Stress und stoppte meine aufkeimende Verzweiflung.

Als ich erwachte, lag ich in meinem weichen Bett und hatte die warme Decke fest um mich geschlungen. Der Rucksack des fremden Jungens lag weit geöffnet neben meinen Nachttisch und wartete sehnlichst darauf erkundet zu werden.

Ich zog meinen Arm lang und verrenkte meinen Körper, um auf was für eine Art und Weise auch immer, an die Tasche ranzukommen, doch sie war zu weit entfernt.

Ich startete einen letzten Versuch und beugte meinen Oberkörper über die Bettkante. Mit ausgestreckten Fingern berührte ich den Rucksack leicht am Riemen, bevor ich einen großen Schwung nahm und ihn röchelnd auf mein Bett hievte.

Neugierig warf ich einen Blick hinein und kramte das erstbeste heraus, was mir in die Hände fiel.

Indem Fall war es ein kleines Bild, auf dem die Familie des Fremden abgebildet war. Lächelnd blickten sie in die Kamera und zeigten ihre blanken Gebisse. Sie sahen aus wie eine dieser angeblich perfekten Familien, ohne Macken und Streitereien. Doch jeder konnte sich einmal irren, denn diese Familie war auf keinem Fall perfekt, sonst hätten sie ihren Sohn ja nicht achtlos auf der Straße sterben lassen.

Kopfschütteln legte ich das Bild auf die Seite und zog ein altes fleckenübersehendes Büchlein heraus. Die Seiten waren bereits vergilbt und eingeknickt. Schwarze Buchstaben verschmierten das alte Papier und ließen es unleserlich wirken, doch im großen und ganzen hatte es den wagen Anschein, nach einer Chronik.

1.Januar 7077

Heute herrschte ein reges Treiben auf den Straßen Londons, sowie in den Häusern der Bewohner. Was war nur los? Diese Stadt wird von einem zum anderen Tag immer verrückter und wahrscheinlich keiner außer mir stellte sich die Frage warum und wer dahinter steckt. Meine Mom bat mich, dass ich mich aus diesen Geschäften raushalten sollte , da es mich angeblich nichts angehen sollte. Doch es lag mir glasklar auf der Hand, dass hier etwas ziemlich faul war und das waren nicht die Blähungen meines kleinen Bruders Quinn. Ich musste der Sache auf den Grund gehen, ohne meiner Familie dadurch schaden zu zufügen....

Sean Anderson

Ein interessanter Name, irgendwie kommt er mir sehr bekannt vor, aber ich weiß nicht woher. Mir fiel es einfach nicht ein. Anderson, Anderson, Anderson....

No human love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt