Kapitel 9

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Auch wenn die Dunkelheit mich umschloss und aus meinen Bewegungen nur einen leichten Schatten im trüben Zimmerdeckenlicht machte, spürte ich zwei starre Augen auf mir, die mich verfolgten.

Er weinte nicht, schreite nicht, war nicht wütend, aber trotzdem schien er mir so zerrissen wie noch nie. Tiefe Augenringe beschmückten sein kantiges Gesicht, wie Fesseln aus denen er sich nicht befreien konnte.

Die Zelle in der er saß, war kalt und modrig, an den Wänden klebte noch das Blut der vorherigen Gefangenen. Schimmel kroch die Decke empor und in den Leitungen hörte man das leise Rauschen des Wasser. Einen unangenehmeren Platz hätte es nicht geben können und doch war dieser Ort geprägt von so vielen schmerzhaften Erinnerungen, die man nicht einfach wegwischen konnte, wie Dreck.

Vorsichtig näherte ich mich der Zelle, doch Adrian zuckte nicht einmal zurück oder machte Anstalten mich anzugreifen. Er saß ruhig auf der Bank und beobachtete mich eindringlich.
Ich öffnete leicht meinen Mund und seufzte. Einen Atemstoß lang, war alle Kraft aus mir gewichen und ich konnte den Schmerz und die Gefühle, die ich versuchte zu verdrängen, in allen Körperfasern spüren. Als ich sah, wie er sich erhob und zu mir angetrottet kam, ohne mich aus den Augen zu verlieren, wurde mein Gesicht wieder emotionslos und monoton.

,,Wieso hast du es soweit kommen lassen? Jetzt stehen wir hier, getrennt von Gittern und einer Zukunft, die uns zu Feinden macht. Wir treiben in einem Meer und warten darauf, dass wir endlich ertrinken. Adrian, einst waren wir mehr als Freunde, wir waren eine Familie und nun sind wir, sag mir was sind wir jetzt?" Meine Worte wurden mit jedem Atemzug schärfer und doch erschien mir alles wie ein leises kindliches Flüstern.

,,Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich sind wir nur ein kleiner Teil des Universums. Zwei Menschen mit einer Vergangenheit und Zukunft, einer Freundschaft, die so wertvoll war, dass wir sie nicht zu schätzen wissen konnten. Wir haben beide Fehler gemacht, die wir bereuen, trotzdem gab man uns  keine zweite Chance. Wir tragen unsere Narben offen, als Zeichen das wir gebrochen wurden und doch fürchten sie uns, auch wenn sie wissen, dass wir verwundbar sind. Ashlynn, wir sind uns so ähnlich, aber trotzdem entscheiden wir uns gegeneinander. "-

,,Ja wir entscheiden uns gegeneinander, weil wir nie etwas gemeinsam hatten. Wir haben beide unsere Familie verloren, aber aus verschiedenen Gründen. Wir landeten Beide in den Gassen Londons, aber ich habe mich im Gegensatz zu dir wieder zurück an die Oberfläche gekämpft. Du hingegen hast am Straßenrand gesessen und darauf gewartet, dass der Tod dich endlich holt. Ich habe mich für die richtige Seite entschieden und du dich für die Falsche."

,,Ja, in vielen Bereichen hast du Recht, aber letztendlich war es das Schicksal, dass uns zusammen brachte. Die Momente, in denen wir uns als Freunde und Familie nah waren, haben in mir eine noch größere Narbe hinterlassen, als alle anderen auf meiner Haut. Ohne dich hätte ich nie erfahren, was Familie wirklich bedeutet. Du warst in vielen Momente mehr als nur eine Freundin für mich und dass werde ich dir nie vergessen."

Nun stand er vor mir, so dicht an meinem Gesicht, dass ich seinen Herzschlag spüren konnte. Das Haar zerzaust und die Augen glasig. Nur noch die kalten Eisenstäbe trennten unsere zitternden Körper voneinander und in diesem einen Augenblick, sah ich nur noch die guten Momente, die wir gemeinsam hatten. Ich spürte, dass auch er sie sehen konnte und aufeinmal löste sich etwas in uns, etwas, was uns jahrelang von einander trennte. Ich weinte und auch er ließ die kalte Maske fallen, Tränen rollten über seine Wangen und er nahm meine Hand in seine. Die Stäbe waren weiterhin eine Barriere zwischen uns, doch innerlich waren wir uns näher als zuvor.

Ich wusste nicht wieso oder warum das plötzlich passierte oder mehr wieso ich es zu ließ, aber von einem bis auf den anderen Moment hatte ich die Zelle geöffnet und seine warmen Lippen lagen auf meinen. Er steckte all seinen Schmerz, seine Sehnsucht und seine Einsamkeit in diesen einen Kuss, aber ich wusste dass es nicht Liebe war, sondern einzig und allein Hilflosigkeit. Weshalb ich erschrocken zurück wich und ihn los ließ.

Es fühlte sich in diesem Moment, der mir unendlich lang erschien, so richtig an, aber in der Realität war es wie eine einzige Lüge, eine Lüge die ich akzeptierte.

Als ich mich aus meiner Trance befreite, stotterte ich benommen: ,,Wieso hast du das getan? Das Alles hier ist doch verrückt und das zwischen uns ist falsch. So etwas wie ein "wir" wird es nie geben, du stehst immer noch auf der anderen Seite und ich auf dieser, wir sind wie zwei Parallelen, die sich nie hätten schneiden dürfen."

Zögerlich taumelte ich rückwärts zur Tür und ließ das Schloss wieder zu schnappen. Ein ohrenbetäubendes Kratzen der Stäbe auf dem Boden, ließ mich zusammen zucken, es beförderte mich im hohen Bogen zurück in die Realität.

Nun sah alles wieder so ungeschehen aus wie vor ein paar Minuten, dennoch würde ich dieses Gespräch mit Adrian nie wieder vergessen können.

,, Warte, Ashlynn! Ich wollte das Alles nicht und am wenigsten wollte ich dich verletzten, aber ich hab es trotzdem getan. Ich weiß nicht wie oft ich schon versucht habe, mir einzureden ich hätte keinen Fehler gemacht, aber ich tat es und ich kann es nicht verleugnen. Es tut mir leid und ich weiß nicht wie ich es dir zeigen soll, dass ich es Ernst meine!" 

Ich blickte ein letztes Mal zu ihm zurück und antwortete gebrochen: ,,Am besten wäre es, wenn du dich von mir fernhältst und wir das was in den letzten Minuten passiert ist, einfach vergessen."

Als ich über die Schwelle trat, hörte ich sein flehendes Brüllen. Energisch rüttelte er an den Stäben, in der Hoffnung es würde mich aufhalten, doch auch wenn es mich Überwindung kostete, richtete ich meinen Blick starr voraus und ignorierte ihn. Die Eisentür dämpfte seine Schreie und selbst die anderen Rebellen schenkten ihm kaum Beachtung. Mit erhobenen Haupt stolzierte sie den Gang entlang und nickten mir höflich zu.

Sie hatten zum Glück keine Ahnung, was geschehen ist und das würde auch so bleiben. Denn alles was dort ablief, blieb auch dort.....

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Chaque jour, la soleil semble et donne espoir aux personnes.

Jeden Tag scheint die Sonne und gibt den Menschen Hoffnung.

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