Und wieder ist es soweit. Diese eine Nacht in Freiheit. Herausgerissen aus meiner schneeweißen Unendlichkeit, in der ich in beinahe einsamer Abgeschiedenheit ruhen kann. Die Umgebung zeugt nur so von grausamer Tristes, obschon die Jahreszeit etwas anderes verheißen sollte. Heiligabend. Der einzige Tag, an dem es mir erlaubt ist, auf dieser abgewrackten Welt herumzustreifen. Wo ist das Weiß der früheren Weihnachtszeit? Weshalb ist sie vom Grau des Herbst übermannt worden? Strafend prasselnder Regen schlägt wie eine wässrige Kanonade gleichmäßig auf den Boden und meine Gestalt ein. Einsame Straße in einer toten Stadt. Zumindest wirkt sie so auf mich, obgleich in Ferne einige dieser sogenannten „Autos" auf mich zugefahren kommen. Mein Blick fällt auf dieses verfluchte Gebäude, direkt vor mir. Ein Kaufhaus. Der Ort, in dem ich meine Arbeit jedes Jahr aufnehmen muss. Seit meiner Verfluchung vor... ach was weiß denn ich... wie langer Zeit. Und wieder in dieser elendigen roten Weihnachtsmann-Kluft, die bereits von unzähligen kleineren Löchern zerfressen ist. Der weiße, lange Bart, hat ebenfalls bereits strahlendere Tage erlebt. Mir bleibt keine andere Wahl, als dem Werk nachzugehen, welches meine Verfluchung nun einmal für mich vorgesehen hat.
Das lachhaft riesige Kaufhaus, ist von innen fast vollständig leer und stockfinster. Ein einziger, aus dem Nichts stammender Lichtstrahl, erleuchtet meinen Arbeitsplatz in einem hellen Lichtkreis. Alles außerhalb des Lichtkegels: Totale Dunkelheit. Eigentlich ein Fars, es so zu nennen, denn es handelt sich lediglich um einen hölzernen, mit etwas roter Farbe gestrichenem „Thron". Also nehme ich darauf Platz und hoffe inständig, dass sich dieses Jahr nur die wenigsten Narren nach mir sehnen.Zu meinem Leidwesen, öffnet sich nach nur kurzer Zeit die Schiebetür des verfluchten Gebäudes und ein übergewichtiger Mann betritt zögerlich meine irdische Hölle. Mein Seufzen muss lauter gewesen sein, als von mir beabsichtigt, denn der Blick des Suchenden trifft mich. Ich winke ihn mit einer kurzen Gestik zu mir. Langsam und nur noch zaghafter, tut er, wie ich ihm geheißen.
„Warst du dieses Jahr artig?", stelle ich die Frage, die den Pakt einleitet. Der Mann schluckt schwer und scheint sich mit der Antwort schwerzutun. Dann antwortet er mit brüchiger Stimme:"Diese Welt bringt keine artigen Wesen hervor". Die Grundlage des Pakts ist somit geschaffen.
„Du hast verdammt Recht. Richte deinen Wunsch an mich, sofern du gewillt bist, deine gleichwertige Gegenleistung zu vollbringen.", spreche ich und versuche dabei meine Langeweile zu unterdrücken.Wieder dieses Zögern. Hoffentlich ist ihm bewusst, dass es nun keinen Ausweg mehr gibt.
„Ich wünsche mir zu Weihnachten, dass diese Frau mich liebt.", drückt er seinen Wunsch aus und zeigt mir auf seinem Mobilgerät ein Foto. Dort ist eine rothaarige Frau zu sehen, die im Arm eines anderen Mannes liegt. Sie sieht glücklich aus. Eine wichtige Komponente.„So empfange nun die Gegenleistung, die du für diesen Wunsch erbringen wirst.", erwidere ich und schiebe meine behandschuhte Hand in die verranzte Tasche des roten Mantels. Normalerweise ist diese leer, doch wenn der jetzige Punkt innerhalb eines Kontrakts erreicht ist,so manifestiert sich ein kleiner Zettel in dieser Tasche. Der Bittsteller wirkt mit jeder verstrichenen Sekunde merklich unruhiger. Sein Blick wie starr auf meine Manteltasche gerichtet. Langsam ziehe ich meine Hand hervor. Auch ich weiß nicht, auf was sich seine Gegenleistung belaufen wird. Ein kleiner Papierschnipsel liegt in der Fläche des roten befleckten Handschuhs.
Als ich mich der Forderung besehe, könnte ich fast Mitleid mit dem Männlein bekommen.„Oh Sünder, der du die Frau des and'ren Mann begehrst, wirst nur des Wunsches habhaft, wenn du beider Hand entfernst.", verkünde ich dem Bittsteller die Gegenleistung. Augenblicklich verliert dieser sämtliche Gesichtsfarbe. Interessant, diese Menschen.
„Was hat das denn für einen Sinn!?", blafft er mich entgeistert an.
„Wäre das Wesen deiner Begehr nicht bereits glücklich einem anderen versprochen, wäre die Gegenleistung nicht so... wie soll ich sagen... einschneidend gewesen. Du willst einem anderen die Frau aus den Händen reißen? Dann ohne sie je berühren zu dürfen.", erkläre ich und wie auf Befehl, tritt etwas Grausiges aus den Schatten des Kaufhauses hervor. Ein pechschwarze Gestalt, dessen Gesicht vollkommen zernarbt ist. Keine erkennbaren Gesichtsorgane. Dennoch steuert es zielgenau auf den Bittsteller zu, dessen Ausdruck, beim Anblick meines Helfers, völlig entgleitet. In den beiden ebenfalls schwarzen Massen, die als Ersatz für Hände gelten, trägt es eine Knochensäge.„Keine Sorge. Er wird die Forderung ausführen, denn du würdest eine Hand vielleicht abtrennen können, doch sicher nicht auch die Zweite. Mein Helfer ist schnell und gründlich.", erkläre ich dem sichtlich aufgebrachten Mann, der Intentionen zur Flucht zeigt.
„Denk nicht einmal daran. Die Tür ist versiegelt und öffnet sich erst, nach Beendigung des Pakts.", sage ich knapp und ernte einen verzweifelten Gesichtsausdruck.
„Walte deines Amtes.", erlaube ich meinem Helfer, der nur auf mein Geheiß beginnt, während ich mir durch den Bart streiche. Und ohne weitere Vorwarnung, hat sich mein Helfer die Hand des Bittstellers gepackt. Die Schmerzensschreie währen nur kurz, da mein Helfer sein Werk ausgesprochen schnell hinter sich bringt. Immer wieder faszinierend, wie präzise und effizient, dieses dunkle Stück Materie sein kann. Ein Knotenpunkt zwischen meinem Fluchbringer und mir. Als er die Forderung erfüllt hat, trägt mein Helfer die Hände und die Knochensäge weg und verschwindet in der Dunkelheit.Der Bittsteller kniet noch immer mit schmerzverzerrtem Gesicht vor meinem Holzstuhl. Schweiß tropft ihm unablässig vom Kinn. Da öffnet sich die Schiebetür des Kaufhauses.
„Auftritt: Traumfrau.", sage ich und deute mit einem Kopfnicken auf das Wesen seiner Begierde, die soeben meine Hölle betreten hat. Sie läuft auf den Bittsteller zu und umarmt ihn stürmisch. Sie sieht mindestens genauso glücklich aus, wie auf dem Bild. Auch der Kerl scheint allmählich wieder klar zu werden. Sein Blick liegt voller Überraschung auf dieser Frau und ohne weitere Worte zu verlieren, verlassen beide meinen Arbeitsplatz.
Ob das wirklich so eine glückliche Angelegenheit ist? Aber das, was ich vollbringe erzeugt in dieser Frau ehrliche Gefühle für den Bittsteller.Und der Rest der folgenden Bittsteller erfolgen ebenso eigenartig. Die Frau danach, hat sich gewünscht, dass ihr Bruder aus dem Ausland zurückkehrt, weil er dort fest als Soldat stationiert ist. Ihrer Forderung ist stattgegeben worden. Sie hat nichts dafür tun müssen, denn die Forderung ist durch den Zustand ihres Bruders erfüllt worden. Kurz vor der Rückkehr in der folgenden Woche, hat der Zettel verlauten lassen, dass eine Anti-Personen Miene ihm die Beine zerfetzt hat. Er wird als Rollstuhlfahrer zurückkehren, aber sie wird ihren Bruder wiederhaben. Sonderlich glücklich darüber ist sie nicht, doch mit sowas muss man rechnen, wenn man mir einen Besuch abstattet. Dann ist da diese alte Frau gewesen, die einen wahrhaft klischeehaften Wunsch veräußert hat. Ihre Jugend. Sie hat sich ihre ewige Jugend zurückgewünscht. Ich habe beinahe gegähnt. Auch dies ist liegt im Rahmen meiner Möglichkeiten. Als Gegenleistung, hat mein Helfer der Dame ihr kostbares Augenlicht entfernt. Sie darf ewig leben, muss dies aber ohne die Möglichkeit erfahren, die Ewigkeit sehen zu können.
Und nun stehst du vor mir. Ich habe dir all diese Geschichten erzählt und dennoch wünscht du einen Pakt mit mir einzugehen? Du bist gerade mal elf Jahre alt und hast einen sehr gefährlichen Weg eingeschlagen. Dein Blick ist mit einer Bestimmtheit auf mich gerichtet, die seines Gleichen sucht. Ich muss gestehen, dass mich dies zutiefst beeindruckt. Also frage ich dich, ob du dieses Jahr artig gewesen bist. Du antwortest, wie aus der Pistole geschossen:"Diese Welt bringt keine artigen Wesen hervor". Ich muss seufzen, denn Mitleid breitet sich in mir aus. Doch ich kann mich nicht gegen meine Direktive erwehren, also frage ich dich, was du dir zu wünscht.
„Ich wünsche mir zu Weihnachten, für die Menschen unantastbar zu werden.", antwortest du mir mit vollkommener Klarheit. Ich muss ehrlich stutzen. Unantastbarkeit? Dein Wunsch ist verdammt schwammig gestellt, doch ich muss ihn so annehmen, wie es formuliert worden ist. So hole ich einen Schnipsel aus meiner Manteltasche und verlese:"Unantastbarkeit, denn der Junge flüchtet schön, und bald schon, wirst du nichts weiter mehr berühren könn!"Du guckst mich fragend an. Willst wissen, was das für dich bedeutet. Ich erkläre dir, dass alles, was du fortan berührst, unweigerlich dem Tode geweiht ist.
„Du bist fortan unantastbar. Wirst durch Wände gehen können. Niemand kann dir physisch mehr schaden, wenn du es nicht möchtest. Doch als Gegenleistung, wird jeder Mensch, den du berührst, versterben. Siehe diese Toten als Opfergabe, deiner Fähigkeiten. Leb wohl, mein Junge.", erkläre ich und schicke den Kleinen weg.
Meine Zeit neigt sich dem Ende zu. Heiligabend ist bald vorbei und ich kann endlich zurück in meine schneeweiße Unendlichkeit. Dieser Junge...Etwas an ihm ist seltsam. Ich frage mich, was für Wege er gehen wird...Vielleicht finde ich es bald schon raus. Bis dahin, verlasse ich dieses räudige Gebäude ein weiteres Mal... Bis ich nächstes Jahr zurückkehre und vielleicht deinen Wunsch erfülle...
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Des Lords Creepypastas
HorrorWillkommen in meiner unheiligen Sammlung von all meinen bisherigen und noch kommenden Creepypastas. Tauche ein, in die finstersten meiner Gedankengänge und erfreue dich des Augenblickes, in der diese auf dich übergehen! Viel Freude....und....Erzähl...