Erstes Kapitel: Anna
Meine hellbraunen Haare peitschten mir ins Gesicht, als ich meinen Kopf aus dem offenen Fenster herausragen ließ. Von hier oben hatte ich einen sehr guten Ausblick über die immer leerer werdenden Straßen, die von der Dunkelheit vollkommen eingehüllt waren. Nur noch wenige Laternen warfen ihr künstliches Licht auf den Boden, um den Menschen, die noch immer spät nachts herumliefen, etwas Licht zu spendieren. Ich seufzte müde, während ich meinen Blick von dem Schauspiel dort unten abwandte und mich einer leise tickenden Uhr zuwandte. Dessen kleiner Zeiger stand auf 9 und der große auf 12. Sie zeigte die volle Stunde an. Um diese Uhrzeit hätte er schon längst Zuhause sein müssen. Er hatte es mir versprochen. Er hatte es mir jeden verdammten Abend versprochen! Aber sich nicht einmal daran gehalten...
„Mason komm wieder nach Hause...", murmelte ich in die Dunkelheit unseres Schlafzimmers hinein, als könnte ich ihn dadurch zu mir hinzaubern. Enttäuscht schüttelte ich den Kopf. Schon als wir uns das erste Mal in einer Bar getroffen hatten, hatte ich den Eindruck, dass er zu mir passen könnte. Die Art wie er mich durch seine Witze zum Lachen brachte. Die Art, wie er mit mir ganz zu Anfang gesprochen hatte. Es war so vertraulich und fürsorglich. Ich konnte ihm einfach alles erzählen. Er war wie ein wichtiger Mensch für mich gewesen, den ich nie gehabt hatte. Meine Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich noch ganz klein war. Kurz nach der Beerdigung, nahm mich meine Jähzornige Tante mit zu sich und sorgte dafür, dass ich die schlimmste Kindheit erlebte, die man sich nur vorstellen konnte. Selbst heute noch zierten lange Narben manche Stellen an meinem Körper, wie etwa meine Beine, mein Gesicht, an der eine lange Narbe quer entlang verlief oder meine Arme.
Mit 18 Jahren bin ich einfach weggelaufen. Ich hatte es bei ihr nicht mehr ausgehalten. Die Schläge und Verletzungen, die sie mir angetan hatte, hatten nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Seele beschädigt. Nahezu jede Nacht träumte ich davon, wie sie einen Gürtel in den Händen hielt und anfing zuzuschlagen. Jedes Mal traf die harte Metallschnalle mein Gesicht, meine Brust oder meinen Kopf. Unter Schreien, Blut und Tränen hatte ich sie angefleht damit aufzuhören, doch sie lachte nur noch mehr. Angetrieben von meinem Leid und meiner Angst. Bis ich eine Ausbildung fand, kam ich so lange bei einer alten Grundschulfreundin von mir unter, die erst seit kurzem in meine Heimatstadt eingezogen war. Eines Abends entschieden wir uns dazu mal auszugehen. Wir waren noch jung und wollten viel erleben. Party machen und dergleichen. Lange Zeit saßen wir in einer Bar herum und erzählten uns von unseren Plänen, die wir für die Zukunft hatten oder was wir bislang getan hatten. Ich wollte schon immer Kinder haben. Wollte einfach ein glückliches Leben führen, mit einer Familie und einem Mann der mich über alles liebt und der mich so akzeptieren würde, wie ich war.
„Schau mal Anna, der Mann da drüben", meine Freundin nickte mit dem Kopf kurz zur Seite, als wollte sie auf ihn hindeuten. Ich blickte zu ihm rüber. Von hinten sah er wirklich nicht schlecht aus. Kurze, blonde Haare, schlank mit muskulösen Armen. Vom Aussehen her wäre er wirklich mein Typ gewesen, doch wusste ich nicht wie sein Charakter sein würde. „Na los, sprech ihn doch an!" forderte sie mich auf, als sie bemerkt hatte wie rot ich bei dem Gedanken wurde. Ich konnte nicht mit fremden Leuten reden. Dafür war ich einfach viel zu schüttern. Außerdem war die Wahrscheinlichkeit groß, dass er mich aufgrund meines viel zu schlanken Körpers für eine, an Bulimie erkrankte Frau hielt. Von den Narben, die meinen Körper zeichneten, brauchte ich erst gar nicht anzufangen. Beschämt schaute ich aus dem Fenster. Ich hasste mich selbst für mein Aussehen und meine Vergangenheit. Manchmal verfluchte ich die Tage, am denen ich in meinen Spiegel schaute und mein entstelltes Ich sah. Wäre ich doch lieber in eine Pflegefamilie oder in ein Heim gekommen...
„Darf ich dir meine beste Freundin vorstellen? Sie ist recht schüchtern, aber sie mag dich", hörte ich meine Freundin Lesslie mit dem gutaussehenden Mann, welcher an der Theke saß reden. Gespannt schaute ich zu, was er wohl sagen würde. Wie er reagieren würde. Zugleich verfluchte ich Lesslie dafür. Ich hasste es zunehmend, wenn sie sich in die Angelegenheiten anderer einmischte, die sie einen feuchten Dreck interessieren sollte! Plötzlich blickte mich der Mann von der aus Theke an. Unsere Blicke trafen sich. Meine kristallblauen Augen trafen in seine Schokobraunen. Mir wurde warm und kalt zugleich. Es war ein so seltsames Gefühl. Als würde ich keinem Menschen, sondern einem Engel in die Augen blicken. Doch dieses Gefühl währte nur kurz, dann lösten sich unsere Blicke und ich wandte meinen Kopf blitzschnell von ihm ab.
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Des Lords Creepypastas
KorkuWillkommen in meiner unheiligen Sammlung von all meinen bisherigen und noch kommenden Creepypastas. Tauche ein, in die finstersten meiner Gedankengänge und erfreue dich des Augenblickes, in der diese auf dich übergehen! Viel Freude....und....Erzähl...