Teil 7

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Die ersten zwei Wochen verliefen schleppend. Lola merkte schnell, dass zaubern ihr nicht besonders lag. Sie hang in den meisten Fächern hinterher und selbst Robins Nachhilfe-Stunden schienen nicht wirklich zu helfen. Die einzigen Fächer, in denen Lola gerade gut genug war, waren Verteidigung gegen die Dunklen Künste mit Ms. M und der Zaubertrank-Unterricht von Professor Adyanthaya, einer alten Frau, die aussah, wie eine liebevolle indische Großmutter, aber so hart und kalt wie Stein werden konnte. Neben all den Fehlschlägen, konnte sich Lola jedoch immer auf ein Fach ganz besonders freuen: Kräuterkunde. Es machte dem Mädchen unfassbar viel Freude, über Heilkräuter und ihre Wirkung zu erfahren und über die verschiedenen Anwendungsweisen zu diskutieren. Auch, als es daran ging, eine berüchtigte Alraune umzutopfen, machte sie begeistert mit. Sie wusste, dass ihr sowas lag. Schon bevor sie nach Ilvermorny gekommen war, hatte sich Lola mit Heilkunde beschäftigt und war immer zur Stelle, wenn es jemandem schlecht gegangen war. Sie erinnerte sich noch gut an den Igel, den sie im letzten Winter gefunden hatte.

Er lag eines Morgens schwach und blutend auf der Veranda. Anscheinend hatten sich die Nachbarskatzen um ihn geprügelt. Lola hatte ihn behutsam mit Handschuhen ins Haus genommen und ihm Wasser gegeben. Irgendwann war ihr Vater gekommen und hatte versucht ihr zu sagen, dass es wahrscheinlich keinen Zweck hätte und der Igel die Nacht vermutlich nicht überleben würde. Aber Lola hatte das nicht hören wollen. Sie hatte ihn aus dem Zimmer geschickt und sich den ganzen Tag um den Igel gekümmert. Sie hatte ihn gestreichelt und immer aufmunternde Worte zugesprochen. Sie hatte seine Wunden versorgt und ihm Futter gekauft. Bis spät in die Nacht hatte sie an ihrem Schreibtisch gesessen und den Igel beobachtet. Dann war sie irgendwann eingeschlafen. Am nächsten Morgen konnte sie es kaum fassen. Dem Igel schien es sichtlich besser zu gehen. Er hatte gefressen, seine Wunden bluteten nicht mehr und er schien viel aufgeweckter zu sein, als noch am Vortag, obwohl Mitten am Tag war. Stolz hatte sie ihn ihrem Vater gezeigt, der sich ebenfalls sehr wunderte. "Du hast anscheinend wirklich ein Händchen für so etwas", meinte er und half ihr, den Igel innerhalb der nächsten Tage wieder auszuwildern.

"Tagträumst du etwa wieder?" Malbo riss sie aus ihren Gedanken. Es war Abend und sie saßen beim Essen. Malbo war mittlerweile ihr bester Freund geworden, sie verbrachten jede freie Minute miteinander. Natürlich verstand sie sich auch gut mit den Pukwudgie-Schülern, aber dieser Junge hier hatte etwas an sich, dass sie faszinierte. Sie störte auch gar nicht sein wankender Gang oder seine blöden Sprüche, die er manchmal von sich gab. Dazu war Malbo einfach viel zu liebenswert. Jetzt gerade schaufelte er sich eine neue Portion Erbsen auf den Teller. Das war noch etwas, das Lola an ihm faszinierend fand: Malbo aß kein Fleisch und generell keine Tierischen Lebensmittel. Er verzichtete darauf und es schien ihm auch ziemlich gut zu gelingen. Auch Fisch rührte er nicht an. Lola hatte ihn einmal gefragt, warum und er hatte ihr geantwortet: "Kein Tier soll für mich leiden. Das geht gegen Pans Gesetz!" "Wer ist Pan?", hatte Lola gefragt, aber Malbo hatte nicht geantwortet, sondern war einfach rot geworden. Sie hatte nicht darauf bestanden, ihn noch weiter in Verlegenheit zu bringen und hatte nicht noch einmal nachgefragt.

"Äh... Ja. Hast du was gesagt? Es tut mir leid", stotterte sie nun. Malbo verdrehte die Augen: "Man Lola. Ich hab dich gefragt, ob wir nachher mal zusammen Geschichte der Zauberei durchgucken wollen? Ich verstehe ein, zwei Sachen nämlich nicht." Lola dachte nach und schüttelte dann traurig den Kopf: "Du, das geht leider nicht. Ich bin mit Olivia verabredet. Sie möchte mir heute endlich mal etwas richtig tolles zeigen." Als Olivias Namen fiel, hätte Malbo fast vor Schreck seine Gabel fallen gelassen. "Olivia? Mit der hast du noch Kontakt?", fragte er mit großen Augen. Lola konnte seinen Blick nicht deuten und schaute ihn verwirrt an: "Äh ja... Wieso? Sie hat mir am ersten Abend schon ein Angebot gemacht. Und ich finde, so langsam sollte ich ihr mal entgegen kommen. Deswegen hab ich mich jetzt gleich mit ihr in der Bibliothek verabredet. Aber du schaffst das mit dem Aufarbeiten bestimmt auch alleine. Sonst frag einfach einen Vertrauensschüler."

Malbo rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Das war gar nicht gut. "K-Kann ich mitkommen?", fragte er leise. Lola lachte und wurde dann wieder ernst: "Warum? Nein... Tut mir leid, aber Olivia sagte, das ist nur ein Treffen für Mädchen." Mist. Das lief gar nicht gut. Er durfte Lola der Chimäre nicht einfach so ausliefern. Lola hätte keine Chance gegen sie. Denn die Chimäre hatte sich schon viel zu lange zurück gehalten. Sie musste schon am verhungern sein. Schweigend aß der Junge seine Erbsen. Fieberhaft dachte er nach, was er tun könnte. Er versuchte noch einmal, Lola zum bleiben zu bewegen, aber das Mädchen schlug lachend aus. Sie verstand einfach nicht, in was für einer Gefahr sie schwebte. Irgendwann erhob sie sich und entschuldigte sich mit einem Lächeln. "Bis Morgen dann." "Warte-", rief Malbo, aber es war zu spät. Sie war schon weg.
Es gab immer noch eine Möglichkeit. Es war vielleicht dumm und Lola würde ihm bestimmt nicht glauben, aber es war seine letzte Chance. Er schnappte sich seinen grünen Rucksack, den er immer dabei hatte, stolperte dem Mädchen hinterher und fiel fast über seine Robe. "Bei den Göttern!", fluchte er leise. Er konnte sich einfach nicht bewegen. Diese Robe war nichts für einen wie ihn. Aber er konnte seine Hose jetzt auch nicht öffnen, denn sonst würden alle Schüler ihn anstarren. Also humpelte er so schnell es ging hinter Lola her. Er schaffte es nicht, sie einzuholen und blieb keuchend an der Tür zur Bibliothek stehen. Dunkle Schatten krochen durch die Flure, das Licht der Wandfackeln war schwach und schien die Dunkelheit nicht durchdringen zu können. Es wurde kalt. Zu kalt für Malbos Geschmack. Aber ehe er richtig darüber nachdenken konnte, löste sich eine grausige Gestalt aus dem Schatten. "Nana. Was haben wir denn hier? Einen Satyrn? Ohoho. Da werden meine Schwester und ich uns dran erfreuen", fauchte das Ding. Es war eine löwenartige Kreatur, welche halb so groß, aber doppelt so breit wie Malbo war. Sie besaß einen langen, schuppigen Schwanz, wie der einer Schlange und ihrem Rücken entwuchs ein grausiger Ziegenkopf, der Malbo mit schwarzen Augen anstarrte. Langsam begann das Wesen, Malbo zu umkreisen. Dieser zückte ohne groß nachzudenken den Dolch und umklammerte ihn fest. "Ein echter Satyr. Was für eine Freude", brummte der Löwenkopf, blieb stehen und pustete heißen Atem aus. Malbo zitterte. Sein Rucksack rutschte aus seiner Hand und fiel zu Boden. Er stand noch nie einer Chimäre gegenüber. "Warum freust du dich, mich zu sehen?", fragte er und versuchte eine möglichst selbstbewusste Stimme. Er bezweifelte, ob er sie richtig getroffen hatte. "Siehst du nicht? Wir sind praktisch verwand!", meckerte jetzt der Ziegenkopf und die schwarzen Augen blinzelten dämlich. "Ich mit dir verwand?", rief Malbo, jetzt etwas mutiger, "niemals!" Und er setzte zum Angriff an. Aber die Chimäre war stark. Sie wehrte jeden Schlag gekonnt ab und schlug mit den kräftigen Löwenpranken zurück, während der Ziegenkopf Malbo wüste Beschimpfungen an den Kopf warf. Selbst sein Speer aus himmlischer Bronze schien sie nicht zu treffen. Malbo wusste, dass er sie nur einmal verletzen müsste, um sie zu besiegen. Doch die Chimäre war schlau und setzte ihren Schlangenschwanz gezielt ein, sodass Malbo plötzlich stolperte und nach vorne fiel. Der Speer fiel mit einem lauten Geräusch auf den Steinboden neben ihn. Der Junge wollte sich gerade auf den Rücken drehen und ihn greifen, da hatte sie sich schon über ihn gebeugt und der Löwenkopf bleckte seine Zähne. Er atmete ruhig und tief, heiße Luft strömte über Malbos Gesicht und versetzte ihn in Panik. Das war sein Ende. Die Chimäre würde ihn jetzt fressen und er könnte seinen Auftrag nicht vollenden. Er würde Elliot nie wiedersehen. Er würde das Camp nie wieder sehen. Er hätte Lola nicht beschützen können.
Der Satyr schloss seine Augen und wartete auf den sicheren Tod. Wieso dauerte das so lange? Oder war er schon tot? War er schon längst in der Unterwelt. Prüfend öffnete er ein Auge, aber sah zu seinem Erschrecken die Chimäre immer noch über sich stehen. Anscheinend überlegte sie. "Willst du mich jetzt töten, oder was?", fragte Malbo. "Pssscht", fauchte der Löwe. "Ich weiß nicht." Der Ziegenkopf beugte sich vor und betrachtete Malbo eindringlich. "Ich kann dich alleine essen... Aber dann bekommt sie das ganze Halbblut für sich allein..." Das war seine Chance. Vielleicht konnte er Lola doch noch retten, wenn... "Ich habe gehört, dass Halbgötter viel besser schmecken sollen, als Satyrn", sagte Malbo so überzeugt, wie es ging. "Also ist es dir überlassen. Entweder gibst du dich mit einem Zweite-Klasse-Menü wie mir zufrieden, oder du und deine Schwester teilt euch das Premium-Angebot mit mir als Beilage!" Es gefiel ihm selbst nicht, sich als optionale Beilage darzustellen, aber er musste es irgendwie hinbekommen, dass die Chimäre ihn in die Bibliothek brachte. Zum Glück schien dieses Biest nicht das Schlauste zu sein. Es grinste hämisch: "Keine Schlechte Idee. Ich bekomme sonst immer nur den Rest ab. Wir sollten das gleichberechtigt teilen!" Dann packte der Löwe Malbo mit seinem kräftigen Gebiss und trug ihn in die Bibliothek. Der Satyr schaffte es gerade noch so, den Speer zu schnappen und ihn als Dolch an seinen Gürtel zu klemmen.

Die Kinder der Aphrodite • HP × PJ FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt