Teil 1

140 12 0
                                    

Lola schleppte den letzten Koffer zum Auto. Es war der erste September und heute würde sie ihr Schuljahr in Ilvermorny beginnen. Anfang des Jahres hatte sie einen Brief erhalten, in dem Stand, was sie alles benötigte und was sie alles lernen würde. "Hast du alles?", fragte ihr Vater. Er war stolz auf seine Tochter. Die magische Welt war ihnen nicht fremd. Lolas Großmutter, väterlicherseits, war eine bekannte Hexe. Ihr Sohn, Lolas Vater, war jedoch ein Squib. Ihre Mutter kannte Lola nicht. Sie hatte oft versucht, ihren Vater auf sie anzusprechen, doch er wechselte sofort das Thema. Das war seltsam, denn er legte viel Wert auf Ehrlichkeit.

Das Mädchen nickte und stieg zu ihrem Vater in den Wagen. Lola betrachtete sich im Rückspiegel. Braune Augen blitzten unter einem gewellten Pony hervor. Lola hatte diese blonden Locken von ihrer Mutter geerbt. Es war das einzige, was ihr Vater ihr erzählt hatte. Er dagegen hatte die gleichen, dunkelbraunen Augen, wie seine Tochter und ebenso dunkelbraune Haare. Lolas Vater lächelte und steckte den Schlüssel ins Schloss:
"Dann kann es ja los gehen." Er drehte den Zündschlüssel und das kleine, blaue Auto machte sich auf den Weg zum Mount Greylock. Die Fahrt dauerte knappe drei Stunden. Sie redeten  nicht viel, nur ab und an versuchte der Vater ein Gespräch zu starten. "Na, bist du schon gespannt in welches Haus du kommst?", fragte er nun seine Tochter. Diese zuckte jedoch nur gelangweilt mit den Schultern und starrte weiter aus dem Fenster: "Nö. Eigentlich nicht. Ich nehme das, was mich am ehesten anspricht." "Also ich finde, du würdest nach Donnervogel passen." Ihr Vater redete so oft über Ilvermorny und immer wenn er es tat, so bekamen seine Augen einen traurigen Ausdruck. Lola hatte es schon oft beobachtet und ihr brach es immer wieder das Herz. Es musste schwer für ihn gewesen sein, dass er ohne magische Fähigkeiten geboren wurde. Seine beiden Geschwister, Tante Henley und Onkel Steve, konnten auf eine der bekanntesten Schulen für Hexerei und Zauberei gehen und magische Dinge erlernen, während er sich mit No-Maj abgeben musste. "Du schreibst mir doch jede Woche oder? Ohne dich wird es ganz schön trostlos sein." Er schaute sie etwas traurig, aber doch glücklich an. "Ja. Versprochen." Zufrieden lehnte sich der ältere Mann zurück und trommelte mit den Fingern die Melodie des Liedes nach, was im Radio gespielt wurde. Mit jedem Kilometer wurde Lola ein bisschen aufgeregter. Es würde so toll werden. Da war sie sich sicher. Und erst ihr Zauberstab. Sie hatte noch nie einen gehalten. Das war ihr verboten. Aber jetzt endlich würde sie einen bekommen.

Langsam setzte sich die Sonne zu ruh. Die letzten Strahlen funkelten auf der Motorhaube auf, die nun zum Stillstand kam. Sie waren da.
Am Fuße des Berges. "Ab hier musst du allein weiter", erklärte Lolas Vater und half ihr, die zwei Koffer aus dem Kofferraum zu hieven. "Ganz allein?" Lola schaute den grauen, riesigen Schatten, der sich vor ihr auftürmte, hinauf. Oben erwartete sie ein riesiges Schloss mit vielen Türmen und hell erleuchteten Fenstern. Ilvermorny war eindrucksvoll und wunderschön. "Nein", lachte ihr Vater und machte eine allumfassende Geste, "ich glaube nicht, dass du ganz allein sein wirst." Da hatte er Recht. Von überall her strömten mittlerweile Kinder und Jugendliche. Die älteren flogen mit ihren Besen über sie hinweg, die Neulinge wanderten schon gespannt die vielen Pfade hinauf. Zum Glück war es Nacht, sonst kämen bestimmt Fragen bei den No-Maj auf. Sie konnten das Schloss nicht sehen, da es raffiniert getarnt wurde, aber all diese Schüler. Lola umarmte ihren Vater. "Danke. Wir sehen uns bald. Im Winter." Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn: "Pass auf dich auf, ja? Und schreib, wie du es versprochen hast." Lola nickte, dann packte sie die Koffer und folgte einer Gruppe Erstklässler den Pfad hinauf. Ihr Vater schaute ihr nachdenklich hinterher.

Hoffentlich war sie hier sicher.

Lola wanderte den Berg hinauf. Es war schwer, ihre Sachen hinter sich her zu ziehen, aber was blieb ihr anderes übrig. Sie dachte an die anderen Zauberschulen, die sie kannte. Hogwarts zum Beispiel. Da fuhren die meisten mit dem Zug hin und mussten nicht einen schnöden Berg erklimmen. Lola war so außer Atem und auf ihr Ziel fixiert, dass sie gar nicht bemerkte, dass plötzlich ein Junge keuchend und schnaubend neben ihr her ging. Erst als er sprach, schrak sie auf: "Puh. Das ist aber anstrengend, nicht wahr?" "Was?" Sie schaute hoch in leuchtend grüne Augen. Dann betrachtete sie den, dem die Stimme gehörte. Der Junge schien so alt zu sein wie sie. Rotbraune Haare fielen ihm strubbelig ins Gesicht und bedeckten dicht seinen Hinterkopf. Er war größer als Lola. Kein Wunder, fast jeder war größer als sie. Der Junge trug ein orangefarbenes T-shirt mit ausgewaschenen Buchstaben, die Lola nicht lesen konnte, darüber eine graue Jacke und eine viel zu große schwarze Hose, die er mit einem großen, slibergrauen Gürtel um seine Taille geschnürt hatte. Große, bunte Turnschuhe stapften auf der Erde neben ihr.
Auf seinen Schultern hatte er einen grünen Rucksack, hinter sich her zog er einen hellblauen Rollkoffer. Jetzt lächelte er Lola verschmitzt an. "Ist n langer Weg bis oben. Aber wir schaffen das schon. Ich bin übrigens Malbo!" Er hielt ihr eine Hand hin. Seine Stimme war höher, als Lola gedacht hatte, aber das war okay. "Lola", sagte sie und setzte kurz einen Koffer ab, um ihm die Hand zu geben. "Ah, Lola. Nett dich kennen zu lernen. Ich hoffe wir werden gute Freunde." "Ähm. Ja..." Lola war nicht ganz so begeistert von ihrem neuen Freund, aber wenigstens war sie nicht allein.

Es dauerte ungefähr drei Stunden, um hoch zu wandern. Der Weg führte durch Wälder und immer weiter hinauf. Es war anstrengend, aber die Mühe lohnte sich. Als sie endlich oben waren, erblickten sie direkt die dunklen Mauern und das große Holztor. Es war geöffnet und mehrere Schüler standen mit Fackeln am Eingang, um sie zu begrüßen. Sie alle trugen die Cranberry und Blau gefärbten Roben mit dem gordischen Knoten. Dieser ging auf die Anfangszeit von Ilvermorny zurück. Die Gründerin der Schule, Isolt Sayre, war in Irland geboren und der gordische Knoten für sie ein wichtiges Symbol. Die Erstklässler sammelten sich unter dem großen Torbogen und warteten. Malbo hatte sich mit seinem Gepäck neben Lola gestellt und schaute dem Feuer der Fackeln beim Tanzen zu. Er hatte Lola auf dem Weg nach oben unfassbar viele Dinge über sie gefragt. Wie und wo sie bisher gelebt hatte, was ihre Hobbys waren, ob sie Freunde hatte...
Am seltsamsten fand Lola die Frage, ob sie eine Aufmerksamkeit-Defizit-Störung hatte oder Legastheniker war. Aber wahrheitsgemäß hatte sie geantwortet, dass es ihr tatsächlich schwer fiel, Texte zu lesen und zu verstehen. Dann hatte Malbo sie endlich für ein paar Minuten in Ruhe gelassen.
Sie hatte es nicht bemerkt, bis sie oben auf dem Gipfel standen. "Bist du verletzt?" Malbos Gang war auf ebenem Gelände etwas unbeholfen, er knickte oft zur Seite. Er lächelte verlegen und schüttelte den Kopf: "Ein Geburtsfehler. Tut mir leid, falls es dich abschreckt."
Lola erwiderte direkt: "Nein, nein. Das ist doch nicht deine Schuld." Sie wollte ihn nicht als möglichen Freund verlieren, auch wenn er etwas nervig werden konnte.

Sie alle tuschelten aufgeregt vor sich hin. Dicht an dicht standen sie dort. Es war etwas kalt, aber Lola trug ihren dicken Mantel, also war es schon okay. "Willkommen liebe Erstklässler", ertönte plötzlich eine laute Männerstimme. Sie war rau und grob, doch der Mann, der auf sie zu kam strahlte Wärme und Herzlichkeit aus. Er war groß und hatte schwarzes Haar, welches größtenteils von einem großen, blauen Hut bedeckt war. Er trug eine dunkelblaue Robe und eine goldene Kette mit dem Ilvermorny Wappen. Er kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu und lächelte. "Willkommen. Ich bin Schulleiter Laray. Ich heiße euch herzlich Willkommen in Ilvermorny!"

Die Kinder der Aphrodite • HP × PJ FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt